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19.01.13 / Nur Mittel zum Zweck / Tarifverhandlungen für 12,5 Millionen Arbeitnehmer: Interessen prallen aufeinander

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-13 vom 19. Januar 2013

Nur Mittel zum Zweck
Tarifverhandlungen für 12,5 Millionen Arbeitnehmer: Interessen prallen aufeinander

2013 dürfte das Jahr der deutschen Arbeitnehmer werden, will man nicht nur den Prognosen der Gewerkschaften, sondern auch der Wirtschaftsexperten und der Politiker Glauben schenken. Von vier, ja sogar sechs und mehr Prozent Lohnerhöhung ist die Rede. Allerdings haben die wenigsten der Genannten dabei das langfristige Wohl der deutschen Arbeitnehmer im Blick.

Das Jahr ist noch jung, aber bei Eon ließ die Gewerkschaft verdi ihre Mitglieder bereits für mehr Lohn marschieren. 6,5 Prozent wurde auf den Plakaten gefordert – bei einem vorhergesagten deutschen Wirtschaftswachstum von 0,5 bis 07, Prozent. In der Größenordnung von 6,5 Prozent bewegen sich auch die Lohnforderungen, die bei den Ende Januar startenden Verhandlungen für die eine Million Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes der Länder von verdi und dem Beamtenbund genannt werden. Insgesamt laufen in diesem Jahr die Tarifverträge für 12,5 Millionen Arbeitnehmern aus. Da im Herbst Bundestagswahlen sind, ist davon auszugehen, dass die Politik die Gewerkschaften nicht zur Mäßigung aufrufen wird, denn schließlich ist ja alles zum Wohle der Arbeitnehmer und der Binnennachfrage, die dabei angekurbelt wird. Zufriedene Arbeitnehmer drohen nicht so schnell zu Protestwählern zu werden, was ganz im Sinne der großen sogenannten Volksparteien ist.

Doch die anstehenden Tarifverhandlungen sollen noch viel mehr, denn geht es nach dem Wirtschaftsweisen Peter Bofinger und dem gewerkschaftsnahen Wirtschaftsforschungsinstitut IMK, dann sollen sie Europa aus der Krise helfen. „Deutschland muss teurer werden“, so das ständige Mantra von Bofinger. Er ist überzeugt, dass, wenn die Löhne sehr stark steigen, die Deutschen auch mehr aus dem EU-Ausland importieren und dort neue Arbeitsplätze schaffen. Und da, ganz nebenbei, die Produktion in Deutschland teurer wird, das Land also seine Wettbewerbsfähigkeit einbüßt, eine Produktion im südeuropäischen Ausland für Unternehmen wieder attraktiver wird und auf diese Weise dort ebenfalls Arbeitsplätze entstehen. Dies sei ein Beitrag zur Stabilisierung der Euro-Zone und „kein Opfer“, springt ihm IMK-Direktor Gustav Horn bei. Und auch der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble betont, dass steigende Löhne zum Abbau von Ungleichgewichten in Europa beitragen würden.

Joachim Scheide vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel (ifw Kiel) reagiert, als ihn die PAZ mit den Argumenten von Bofinger und dem IMK konfrontiert, ablehnend. „Im Interesse von Europa? Gemeint ist wohl die Idee, Deutschland solle seine Wettbewerbsfähigkeit bewusst verschlechtern (Löhne stärker rauf als anderswo) mit dem Ziel, dass andere Länder auch ihre Exporte steigern können und so die Leistungsbilanzdefizite verringern. Das ist aber aus verschiedenen Gründen absurd. Erstens, warum sollte Deutschland das tun? Wie kann es anderen besser gehen, weil es uns schlechter geht“, fragt der Leiter des ifw-Prognose-Zentrums. „Zweitens würde dann die Arbeitslosigkeit höher sein als bei einem nicht so starken Anstieg der Löhne. Wollen wir das? Schließlich werden die Löhne danach bestimmt, wie die Situation in den Firmen ist und in welcher Verfassung der Arbeitsmarkt ist.“

Schäuble hat zudem noch ein anderes Interesse, denn wer profitiert schließlich am meisten von Lohnerhöhungen der Arbeitnehmer? Dank der kalten Progression landet mehr als die Hälfte der Lohnerhöhungen entweder bei den Sozialversicherungen oder durch die Einkommenssteuer direkt beim Staat. Und dank Mehrwertsteuer und Ähnlichem profitiert der Staat auch, wenn der Bürger den Rest für den Konsum verwendet. Neben der Inflation hat die kalte Progression dazu geführt, dass die Arbeitnehmer in den letzten Jahren real keine oder nur geringe Lohnerhöhungen hatten. Zugleich wird aber der Standort Deutschland teurer.

Dass all dies nicht grundsätzlich gegen Lohnerhöhungen spricht, wird dadurch bestätigt, dass sich selbst arbeitgebernahe Ökonomen für Lohnerhöhungen aussprechen. Doch sollte der Arbeitnehmer stets wissen, dass seine Interessen keineswegs im Fokus seiner scheinbaren Fürsprecher stehen. Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), merkt an, dass neben Lohnerhöhungen noch andere Aspekte im Interesse der Arbeitnehmer stünden. So müsse es auch Ziel sein, die Zahl der Erwerbstätigen allgemein zu erhöhen beziehungsweise sollten sich die Lohnerhöhungen in einem Rahmen bewegen, der keine Entlassungen zur Folge habe. Denn, so betont auch Scheide vom ifw Kiel: „Zwar geht es denen, die beschäftigt bleiben, relativ gut, sie haben eine höhere Kaufkraft. Andere werden aber entlassen, und ihre Kaufkraft sinkt massiv. Insgesamt gibt es also weniger, nicht mehr Nachfrage.“ Rebecca Bellano


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