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19.01.13 / Ein dramatisches Kapitel / Vor 100 Jahren geboren: Wolf von Niebelschütz erfand mittelalterliche Romanutopien

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-13 vom 19. Januar 2013

Ein dramatisches Kapitel
Vor 100 Jahren geboren: Wolf von Niebelschütz erfand mittelalterliche Romanutopien

Sein Roman „Der blaue Kammerherr“ machte ihn zu einem viel gelesenen Autoren der jungen Bundesrepublik. Doch als die Gruppe 47 zu dominieren begann, wurde es still um Wolf von Niebelschütz. Die Prosa des als drittes von sechs Kindern einer schlesisch-böhmischen Adels­fa­milie am 24. Januar 1913 in Berlin geborenen Autors, galt bei vielen als politisch zu unaufgeregt. Dabei hatte von Niebelschütz 1937, als er als Zeitungsredakteur tätig war, sogar wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ die Kündigung erhalten. 1940 wurde er zur Wehrmacht eingezogen und nach Frankreich versetzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann er, als Schriftsteller und Journalist zu arbeiten.

Ab 1942 schrieb er am ersten Roman, der die Welt des Rokoko zum Thema hat: „Der blaue Kammerherr“ (1949), inspiriert durch Hugo von Hofmannsthals Opernfragment „Die Liebe der Danae“, spielt mit seinen fast eintausend Seiten in dem erfundenen Inselreich Myrrha. In opulenter Sprache lässt Niebelschütz in dem mythisch angehauchten „galanten Roman“ Götter der Antike, Otello und Don Giovanni auftreten. Die schöne Kronprinzessin Danae muss sich der Annäherungsversuche des Göttervaters Zeus erwehren und ihre Heimat vor dem politischen und gesellschaftlichen Zerfall bewahren. Eine Stimmung aus Vergangenheitssehnsucht und Utopie durchzieht die Handlung, was ihm sowohl Lob als auch Ablehnung bei den Kritikern einbrachte. Der Leser wird laut Heinrich Vormweg „weg von Trauer, Elend und Hunger, Gewissenserforschung und Selbstrechtfertigung“ der Nachkriegszeit geführt.

1951 erhielt von Niebelschütz für das Buch den Immermann-Literaturpreis der Stadt Düsseldorf. Walter Boehlich sagte 1955, dass es „die gesamte Elendsliteratur durch seine Schönheit, Poesie und Kunstfertigkeit überragt“. Seitdem gilt „Der blaue Kammerherr“ als ein Werk, das sich dem Zeitgeist widersetzt.

Einen Achtungserfolg erzielte Wolf von Niebelschütz 1950 mit seiner Komödie „Eulenspiegel in Mölln“ beim Publikum der „Festspiele des Nordens“, dem keine weiteren Aufführungen folgen sollten. Durch die Biografie „Ein dramatisches Kapitel deutscher Versicherungsgeschichte“ (1954) über den Versicherungs­unter­nehmer Robert Gerling er­hielt er Aufträge aus der Industrie und konnte sich Reisen nach Italien und in die Pro­vence finan­zie­ren. 1958 trug er bei der Eröf­f­nung des neuen Ver­w­altungs­ge­bäu­des der Globa­len Rück­versi­che­rungs AG des Gerling- Konzerns das Ge­dicht „Alpha und Omega“ vor.

In der fiktiven Provinz Kelgurien des 12. Jahrhunderts spielt der zweite Roman, „Die Kinder der Finsternis“ (1959). Vor dem Hintergrund der Kriege Friedrichs I. und der Verfolgung der Katharer erzählt der Autor die Geschichte des Schäfers Barral, der bis zum Markgrafen aufsteigt, seine Macht wieder abgibt und, wie von Niebelschütz schreibt, „in der Sage entschwindet“. „Die Kinder der Finsternis“ überzeugt sowohl inhaltlich mit der Darstellung des Hochmittelalters als auch sprachlich mit einem Wechsel aus ineinander verschlungenen Sätzen und einfachen Dialogen. Die Sprache ist dabei der Verskunst der mittelhochdeutschen Dichtung nachempfunden. Der Autor Alban Nikolai Herbst nannte den Roman einen überzeitlichen Totentanz und verglich ihn mit Alfred Döblins „Berge Meere und Giganten“ sowie Thomas Pynchons „Die Enden der Parabel“.

Wolf von Niebelschütz starb am 22. Juli 1960 an den Folgen einer Gehirnoperation. Im Gegensatz zu den Romanen und Erzählungen der Zeitgenossen Heinrich Böll, Max Frisch oder Arno Schmidt haben Niebelschütz’ Romane nur langsam ein breites Publikum erobert. Dennoch werden „Der blaue Kammerherr“ und „Die Kinder der Finsternis“ immer wieder neu aufgelegt und gelten als Geheimtipp. Noch steht eine ausführliche Erforschung seines Lebens, eine wissenschaftliche Beschäftigung mit den Werken und vor allem die Wiederent­deck­ung seiner ebenso lesenswerten Dramen und Gedichte aus. Ulrich Blode


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