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19.01.13 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-13 vom 19. Januar 2013

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

die stille Zeit zwischen den Feiertagen hat manche Leser bewegt, über ihr Leben nachzudenken, in die eigene Vergangenheit zurückzukehren und die Erinnerungen zu wecken, die von Alltag und Alterssorgen überlagert werden. Sie niederzuschreiben und an uns zu senden mit der Bitte, diese zu veröffentlichen. Nun sind Weihnachten und Neujahr vorbei, das neue Jahr hat uns voll im Griff und damit auch die Themen, die wir bereits in der letzten Folge ansprachen: die große Flucht im Januar 1945. Da sich in der Mitte der nächsten Woche auch das große Zugunglück von Grünhagen zum 68. Mal jährt, bringen wir heute wie angekündigt dieses Kapitel aus dem Buch „Letzte Flüchtlingszüge aus Ostpreußen“ von Heinz Timmreck als Extrabeitrag auf unserer Familienseite. Jeder von uns, der jenen Fluchtwinter erlebte, könnte ein Buch schreiben und selbst, wenn es alle täten, würde keine Darstellung der anderen gleichen. Die Bandbreite der Einzelschicksale ließe sich bis zum Anschlag auffächern und jedes würde von einem anderen Verlauf berichten. So hat Herr Bernhard Ax aus Halle-Neustadt, der zu den Lesern gehört, die ihre „Gedanken zur Weihnachtszeit“ niedergeschrieben haben, in dem mehrseitigen Bericht auch seine Flucht geschildert, die allerdings in keinem der letzten Züge erfolgte, sondern in einem Treck über das zugefrorene Haff führte. Es ist die Stelle, die mich in seinen Memoiren am meisten erschütterte, und sie soll für die vielen ähnlichen Schicksale stehen, die Landsleute im Kindesalter dort erleiden mussten. Begonnen hatten die Schrecken schon vor der Flucht auf dem Hof der Großeltern in Auertal/Stumbern im östlichen Grenzgebiet an der Scheschuppe. Die Großmutter war bereits im Sommer auf der Weide beim Kühe melken von einem russischen Flugzeug aus beschossen worden, wenige Tage später wurde auch der Großvater auf dem Rübenacker Ziel eines russischen Tieffliegers, sie konnten sich aber beide retten. Bernhards Vater wurde seit Februar vermisst – und blieb es bis heute −, der Junge ging mit den Großeltern, Mutter und Schwester am 20. Ok-tober 1944 auf die Flucht. Und so hat er noch heute diese furchtbaren Wochen in Erinnerung, obgleich er damals erst vier Jahre alt war: „Die Großeltern vergruben unter dem Birnbaum verschiedene Sachen, denn sie glaubten an eine baldige Wiederkehr wie damals im Ersten Weltkrieg. Aber diesmal gab es keine Heimkehr. Fast ein Jahr waren wir unterwegs, wir mussten mit unseren Landsleuten durch die Hölle gehen, erlebten Hunger, Angst, Kälte, Lebensgefahr und den Tod. Wir gingen mit vielen, vielen anderen über das Frische Haff und erlebten die barbarische Bombardierung der Flüchtlinge auf dem Eis. Mit Pferdefuhrwerken waren wir aufgebrochen, dann wurde ein Pferd von einer Kugel getroffen, ein anderes wurde uns weggenommen, zuletzt musste alles stehen gelassen werden. Der Großvater „organisierte“ einen größeren Handwagen, es wurde nur das Allernötigste aufgeladen, Großvater spannte sich nun selbst vor den Wagen, alle anderen mussten laufen und schieben. Unterwegs starben die Schwester meiner Großmutter und eine Cousine von mir. Dann hatten uns die Russen überrollt, ein Soldat wollte mich erschießen, ich lief fort, und er zielte immer mit der Maschinenpistole auf mich, aber dann nahm er sie plötzlich herunter, winkte mit der Hand ab und fuhr weg. Dieses Erlebnis verfolgte mich noch jahrelang im Traum, immer wieder lief ich mit bleiernen Knien fort, kam aber nicht von der Stelle und schrie wie am Spieß ….“ Auch nach der Flucht gingen für das Kind die Schrecken weiter, seine Mutter verstarb in Berlin an Lungenentzündung und Typhus. Sie bat auf dem Sterbebett den Großvater, sich ihrer Kinder anzunehmen, und er hat es gehalten bis zu seinem Tod im November 1966. „Ohne unseren Großvater würden wir heute nicht mehr leben. Nach seinem Tode war ich jahrelang allein in der Wohnung und verlebte auch drei Weihnachten ganz allein, was unerträglich war…“ Diese Erinnerung hat wohl Bernhard Ax veranlasst, während der Weihnachtstage seine Erlebnisse aufzuschreiben, die ich ja leider nicht in voller Länge bringen kann. Aber auf diese oder jene Stelle in dem handgeschriebenen Lebensbericht des über 70-Jährigen werde ich mit Sicherheit zurückkommen und danke ihm für die Überlassung seiner Aufzeichnungen, die für uns von dokumentarischem Wert sind.

Über ein Buch haben wir öfters berichtet oder es jedenfalls erwähnt: „Frauen in Königsberg 1945 bis 1948“, zumeist in Zusammenhang mit der geplanten Übersetzung in das Estnische und der damit verbundenen Herausgabe in dieser Sprache. Frau Anna Rekkaro wollte sie vornehmen und stieß dabei auf große Schwierigkeiten. Erst mit Hilfe ihrer Freundinnen und Freunde in Deutschland, die zumeist wie sie aus Königsberg stammten, gelang es, die Genehmigung zu erhalten. Frau Rekkaro übersandte uns nun die estnische Ausgabe, und wir hoffen mit ihr, dass sie auf ebensolch großes Interesse stoßen wird wie ihre erste Arbeit auf diesem Gebiet, die estnische Ausgabe von „Iwan, das Panjepferd“ von Heinz Buchholz. Wir freuen uns mit ihr, dass alles so gut gelungen ist und gratulieren ihr dazu. Ich habe mich besonders über ihren lieben, langen Brief gefreut, in dem sie Einblick in ihre Kindheit in der estnischen Adoptivfamilie gewährt, in der vor allem die älteren Frauen besser deutsch sprachen als sie, das Königsberger Kind. Und kommt dabei auf ihren Vornamen zu sprechen: „eigentlich bin ich ja Roswitha-Anne, aber die Russen haben mir bei der Adoption meinen ersten Vornamen geraubt. Meine leibliche Mutter hatte mich Röschen genannt, und so nannte man mich auch hier in Estland, als ich Kind war, aber nur im engen Familienkreis. Später wurde aus Röschen eine estnische Roosi, was ja beinahe dasselbe ist.“ Damit unterzeichnet Frau Rekkaro auch ihren Brief, und im Namen der „Roosi“ soll ich auch einem Leserpaar ihren herzlichen Dank übermitteln. Er geht an Meta und Horst Lindemuth in Weissach, die für Frau Rekkaro das Patenschaftsabonnement der PAZ schon vor Jahren übernahmen und es weiter führen. „Ein wunderschönes Weih-nachtsgeschenk, das erfreut mich und bewegt mich jedes Mal sehr.“ Auch ich schließe mich ihren Dankesworten an, denn jedes Patenschaftsabonnement hilft mit, unsern Leserkreis zu festigen und zu erweitern. Und damit auch unsere Ostpreußische Familie, die ihre Erfolge ja nur mit Hilfe der treuen Leserinnen und Leser gewinnen kann. Die Hauptautorin des Buches „Frauen in Königsberg 1945 bis 1948“, Frau Hannelore Müller, gehört der kleinen Gruppe „Königsberger Kinder“ an, mit der wir ständig in Verbindung stehen. So übersandte uns Frau Helga van de Loo, Bonn, im Namen der Gruppe herzliche Grüße zum Jahreswechsel und betonte diesen zwanglosen, aber festen Zusammenhalt der bei Kriegsende allein in und um Königsberg zurückgebliebenen Kinder, die – trotzdem sie nun das Seniorenalter erreicht haben – noch immer in Verbindung stehen. „Unsere kleine Gruppe pflegt nach wie vor engen Kontakt und ist harmonisch verbunden, es ist eben eine ganz besonders innige Verbindung von Schicksalsgefährten“, schreibt Helga van de Loo. Vom 3. bis 6. Mai 2013 wollen sie sich wieder im Ostheim in Bad Pyrmont treffen. Von einigen, in Gesprächen festgestellten Begebenheiten, Begegnungen, Gemeinsamkeiten aus jener schrecklichen Zeit werden sie uns berichten. Wer sich für das Treffen interessiert kann sich an Helga van de Loo, Fonckstraße 1 in 53125 Bonn, Telefon (0228)

Das heitere Gänsegedicht in der Weihnachtsnummer war als kleiner Dank für Frau Ursula Karge aus Norden gedacht, die sich um die Sammlung und Bewahrung alter Konfirmationsurkunden bemüht. Ihre Mutter hatte die Verse geschrieben, nur für sich und ihre Familie – aber das sind oft die schönsten Gedichte, weil sie aus innerem Impuls erfolgen. „Wenn meine Mutter das noch erlebt hätte, dass ihr Gedicht gedruckt wurde, dann hätten wir Gesprächsstoff für die ganze Familie gehabt“, schreibt Frau Karge. Sie will nun ihre Sammlung abschließen, aber ich glaube, da kennt sie unsere Ostpreußische Familie schlecht.

Gerade habe ich wieder die Anfrage eines Lesers bekommen, ob er den Einsegnungsschein seiner in Lötzen konfirmierten Mutter aus dem Jahr 1919, der wie durch ein Wunder gerettet wurde, der Sammlung überlassen soll. Er selber hofft noch auf ein anderes Wunder, denn seine Hauptfrage, die nach Großmedien führt, blieb bisher ohne Antwort – gut, dann werden wir sie demnächst wiederholen. Spät kommt sie manchmal, die Resonanz, wie wir immer wieder feststellen müssen, denn die PAZ wird ja in der ganzen Welt gelesen, und die Wege sind manchmal weit, wenn sie von Hand zu Hand wandert. So erhielt auch Frau Karin Brandt aus Elmshorn erst kürzlich die Folge mit dem Bild der Kirchenruine von Lappienen / Rauterskirch, und das berührte sie sehr. Frau Brandt war bereits elfmal in dem Königsberger Gebiet unterwegs, die Landschaft zieht sie immer wieder an, vor allem die Elchniederung. So hat sie schon zweimal die Ruine dieses einstmals so schönen Gotteshauses besucht und die Storchennester fotografiert. Dabei war ihr ein Grabstein aufgefallen, dessen Inschrift noch gut leserlich war. Unter einem gebogenen Doppelfüllhorn, aus dem Rosen fallen, stand da zu lesen: „Zu früh entblätterst und sankst Du junge Rose, da Dich mit kalter Hauch der Todesengel brach. Nun schlummre sanft im kühlen Erdenschosse, geliebte Tochter, bis zum Auferstehungstag.“ Es ist gut, dass Karin Brandt diesen Stein im Jahr 2003 fotografiert hat, denn nach zwei Jahren war er verschwunden. So konnte sie uns aber jetzt ein Bild zusenden, auf dem besonders die Marmortafel mit der Inschrift gut zur Geltung kommt. Wir danken ihr sehr für dieses Bild.

Eure Ruth Geede


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