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19.01.13 / Das Sylt der Warschauer? / Autor liefert relativ realistische Bestandsaufnahme von Masuren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-13 vom 19. Januar 2013

Das Sylt der Warschauer?
Autor liefert relativ realistische Bestandsaufnahme von Masuren

Zu den Sehnsuchtsorten der Deutschen gehören nicht nur Länder und Landschaften am Mittelmeer. Auch Ostpreußen gehörte und gehört dazu, und hier besonders die im südlichen Landesteil gelegene Wald- und Seenlandschaft Masuren. Autoren wie Ernst Wiechert, Alfred Döblin, Siegfried Lenz und Arno Surmin-ski haben sie beschrieben, und für Reisebüros ist der Masuren-Tourismus heute ein einträgliches Geschäft.

Der in Berlin lebende Journalist und Kritiker Tobias Lehmkuhl, Jahrgang 1976, wollte es genauer wissen. Er hat einen ganzen Sommer in Masuren verbracht und darüber einen anschaulichen Erfahrungsbericht veröffentlicht. Gut vorbereitet durch Berichte aus früherer (noch deutscher) Zeit, versehen mit Karten und bereit, manche Widrigkeit klaglos hinzunehmen, hat er das Land durchlaufen, mit Bus und Bahn erfahren und – was sich bei dem Wasserreichtum der Region anbot – erpaddelt. Er startete im Osterode [Ostróda], fuhr durch fast alle bekannteren Orte wie Arys, Lyck, Ortelsburg und Allenstein bis hoch an die russische Grenze und erlebte dabei sowohl das heutige Alltagsleben als auch Spuren deutscher Vergangenheit.

Seine Reaktion darauf ist ganz unterschiedlich. Eine gewisse Enttäuschung klingt an bei der Schilderung der meist nur kleinen Städte und der vielen Ortschaften, durch die der Autor kommt. Er gesteht es sich selbst ein: Bei den heftigen Kämpfen 1945 waren viele Orte bis auf den Grund zerstört worden; nach dem Krieg wurden sie ohne große architektonische Ansprüche notdürftig wieder aufgebaut, so dass noch heute viele Marktplätze öde und leer wirken. Masuren war ohnehin ein armes Land, abgesehen von seinen Naturschönheiten hatte es wenig zu bieten. Der wenig schmeichelhafte Spruch noch aus deutscher Zeit: „Wo sich aufhört die Kultur, da sich anfängt der Masur“ gilt für den Reisenden vielfach noch heute.

Ohne Nostalgie, doch mit Anteilnahme erlebt er die Zeugnisse aus deutscher Zeit. Lehmkuhl berichtet ausführlich über das Geschlecht der Dönhoffs und deren Stammsitz Schloss Friedrichstein sowie über die Lehndorffs in Steinort, erinnert an den in Neidenburg geborenen, später zu einer europäischen Größe aufgestiegenen Eisenbahntycoon und Spekulanten Bethel Henry Strousberg und besucht das Gelände von Tannenberg und die Reste der Wolfsschanze.

Zunehmend animiert aber ist der Autor dann doch von den Naturschönheiten des Landes. Eine Paddeltour durch die Kruttina, eine etwa hundert Kilometer lange Wasserstraße quer durch Masuren, angeblich eine der großartigsten in ganz Europa, hat es dem Autor besonders angetan: „Es gab auch Muscheln am Grund, Millionen Muscheln. Und Fische, ganze Schwärme. Graureiher sah ich, Kormorane und allerlei Entenartiges. Die Ufer waren dicht bewaldet, an den Flüssen standen die Bäume wie dunkle Soldaten Spalier.“

Gleichwohl spürt der Leser eine gewisse Ernüchterung; so ganz will sich das – vielleicht erhoffte - Sehnsuchtserlebnis Masuren nicht einstellen. Die stimmungsvollsten Partien des Buches sind denn auch Zitate der genannten deutschen Schriftsteller, die sich von unberührter Natur und einfachem Leben (so der berühmte Buchtitel Ernst Wiecherts) berühren ließen. Heute sei Polen langweilig, hört der Autor eine Frau sagen, und Masuren sei für die Warschauer ein bisschen wie Sylt für die Hamburger. Viele, vor allem junge Menschen, ziehen weg, das Land lebt hauptsächlich vom Tourismus (sehr stark vom deutschen „Heimwehtourismus“), der nur in den kurzen Sommermonaten gewinnbringend ist. So erlebt man keine Verklärung, sondern eine realistische Bestandsaufnahme, die nicht desillusioniert, aber auch keine heile Welt vorspielt. Dirk Klose

Tobias Lehmkuhl: „Land ohne Eile. Ein Sommer in Masuren“, Rowohlt Berlin, Berlin 2012, gebunden, 224 Seiten, 17,95 Euro


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