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02.02.13 / Subventionen als Lebenselexier / Die EU ist nicht einmal in der Lage, ihre Agrarförderung zu reformieren, dabei ist das dringend notwendig

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-13 vom 02. Februar 2013

Subventionen als Lebenselexier
Die EU ist nicht einmal in der Lage, ihre Agrarförderung zu reformieren, dabei ist das dringend notwendig

Brüssels Agrarreform schwankt zwischen einer Bürokratie für wachsende Ökolandwirtschaft und dem Status Quo – die Systemfrage bleibt ungestellt.

Europa steht eine Agrarreform bevor. Die Gelder für die Landwirtschaft stellen mit rund 40 Prozent (2012) traditionell den größten EU-Haushaltsposten dar. Doch trotz Euro-Krise und europaweitem Spardruck aus Brüssel sollen die 2012 gezahlten 59 Milliarden Euro für die Landwirtschaft auch künftig kaum sinken oder gezielter verteilt werden. Umweltaktive und viele Bauern sehen daher eher ein Reförmchen. Ökologen bemängeln dessen anhaltende Ausrichtung an Weltmarkt und Massenproduktion. Anderen Landwirten geht die Reform schon zu weit. Der Verbraucher verliert angesichts der agrarpolitischen Pirouetten von ökologischer Komponente („Greening“) bis zum undurchsichtigen System verschiedener EU-Kassen für Subventionen den Überblick. Dabei geht es um den Preis gesunder Nahrung wie Landwirtschaft.

„Sie sind der VIP ihres MEP!“, ruft die Lobbygruppe „meine-landwirtschaft.de“ Verbrauchern zu. Wie ein Prominenter solle man die Europaabgeordneten (MEP) jetzt mit Anfragen bestürmen, selbstbewusst nachhaken, vor allem freitags und zwischen dem 11. und 15. Februar, wenn die Abgeordneten sich ihren Wahlkreisbüros widmen. Im März entscheidet das Europaparlament und damit jeder Abgeordnete über die Reform. Die Lobby-Gruppe ist nur eine von vielen in der EU, die den anstehenden Agrarkurs noch ändern will. Das scheint aus mehreren Gründen dringend nötig. Seit Jahren bereitet Brüssel eine grundlegende Reform vor, bisher ohne Erfolg. Wo viel Geld über lange Zeiträume verteilt wird, haben sich Gewohnheiten und Abhängigkeiten eingeschlichen. Viel des letztlich aus Steuern finanzierten EU-Geldes versickere als kaum geprüfte Zahlung pro Hektar bewirtschafteten Landes, so Kritiker. Statt Zuwendungen an Auflagen wie Landschaftpflege zu knüpfen, erhielten vor allem die Landbesitzer Geld aus Brüssel, außerdem alle, die viel Fläche mit Massenproduktion bearbeiteten und somit kaum Unterstützung bräuchten. Immerhin sollte die Umwelt profitieren: 30 Prozent der Mittel sollten über das sogenannte „Greening“ gebunden an umweltgerechte Bewirtschaftung den Bauern zugeteilt werden. Doch nach manchen Änderungen in den Gremien der EU ist von dem Vorstoß des EU-Agrarkommissars Dacian Ciolos wenig übrig.

„Es ist wichtig, dass bewilligte Mittel wirtschaftlich sinnvoll verwendet werden und einer strikten Haushaltsdisziplin unterliegen“, fordert das Bundesfinanzministerium in seinem Internetauftritt zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Davon scheint die Gemeinschaft weiter entfernt denn je. Der Europäische Rechnungshof kritisierte jüngst viele Ungereimtheiten und manche Verschwendung im Agrarsektor. Brüssel hatte teils ungewollt und ungeprüft Landwirtschaftsmittel für Wohnhäuser und Industrie locker gemacht. Allein fünf Milliarden Euro flossen zudem 2011 in die Landwirtschaft Osteuropas aus dem Topf „Single Area Payment Scheme (SAPS)“ mit der einzigen Bedingung, dass die Flächen in wirtschaftlich gutem Zustand sein mussten. Auch hier sprudelten laut Rechnungshof Mittel ungeprüft, kassierten Landbesitzer, die selbst nichts bewirtschafteten. Doch die wiederholte Kritik der Rechnungsprüfer hatte bisher kaum Einfluss auf die Reform.

Das Brüsseler Zuwendungssystem sei nur teilweise nachvollziehbar, bemängelt auch die Organisation „farmsubsidy.org“. Sie listet die bekannten und damit vor allem die großen Empfänger Brüsseler Agrarmittel auf. Kleinere und mittlere Empfänger hält die EU anonym. Die Höhe der einzelnen Fördermittel wie die Nutzer überraschen. Die britische Königin erhielt aus Brüssel demnach seit 1999 gut elf Millionen Euro. Deutsche Großbetriebe wie Nordmilch und Südzucker profitieren ebenfalls ganz groß. Aber auch Gefängnisgärtnereien wurden bezuschusst. Brandenburgs Landesumweltamt bekam seit 2002 über 31 Millionen Euro. Dem Verbraucher ist kaum zu vermitteln, wozu ein Staatsoberhaupt, agrotechnische Großbetriebe sowie Behörden sein aus Brüssel verteiltes Steuergeld als Hilfe brauchen.

Prämien für die Stilllegung von einstigem Acker- und Weideland sind ein weiterer aktueller Streitpunkt. Ilse Aigner (CSU), Bundesministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz, fordert einen neuen Reformentwurf. „Sieben Prozent ökologische Vorrangfläche brachliegen zu lassen, das wäre absurd.“ Ciolos Mitarbeiter reagieren mit neuen „Greening“-Vorschlägen, Kennziffern und Prozentzahlen. Vor allem die EU-Kommission sowie die Lobbygruppen prägen somit das bis 2020 gültige Reformpapier. Die grundsätzlichen Mängel der EU-Agrarwirtschaft kommen nicht auf die Tagesordnung. Nur die Debatte ums „Greening“ nimmt Fahrt auf: Bauernverbände begrüßen die jüngste Abschwächung des Prinzips durch den Ausschuss des EU-Parlaments. Die Klärung der Frage, wie viel Fläche pro Betrieb brach bleiben und trotzdem bewirtschaftet werden dürfen, solange nur mineralische Dünger zum Einsatz kommen, bessert aber kaum die Umweltbilanz noch schmälert sie die Bürokratie. Auch die jüngste Demonstration für eine umweltgerechte Reform der Reform spart das Grundproblem aus. Gegen Bienensterben und Agrarfabriken gingen in Berlin laut Kampagnennetzwerk Campact 25000 Menschen auf die Straße. Konventionell wie „bio“ wirtschaftende Landwirte, die auf Subventionen verzichten, haben in Brüssel indes keine Lobby. SV


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