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02.02.13 / Goldiger Nebeneffekt / Die Stadt und ihr Festival – Wie Berlin und die vom 7. bis 17. Februar stattfindende Berlinale sich gegenseitig befruchten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-13 vom 02. Februar 2013

Goldiger Nebeneffekt
Die Stadt und ihr Festival – Wie Berlin und die vom 7. bis 17. Februar stattfindende Berlinale sich gegenseitig befruchten

Hauptsache dabei sein, egal, was läuft. Die Berlinale lockte das Publikum zuletzt oft nur mit dem Ruf als weltbekanntes Filmfestival an und weniger mit herausragenden Filmen. Profiteur ist vor allem die Stadt Berlin, die sich über Millioneneinnahmen durch die Festivalbesucher freuen kann.

Anders als ihre beiden Schwestern, die Filmkunst-Festivals in Cannes und Venedig, bietet die Berlinale kein sonnenbeschienenes Meer vor den Kinopalästen, auch kein glamouröses Flair oder eine Renaissance-Kulisse. Stattdessen bietet es niedrigere Temperaturen und eine höhere Zu­schaueranzahl. Es ist das größte Publikumsfilmfestival überhaupt. Schon deshalb wird die Stimmung auch im 63. Jahr der Berlinale wieder gespannt sein.

Dann tummeln sich unter der hängengelassenen Weihnachtsbeleuchtung am sterilen Potsdamer Platz anstelle der flanierenden Touristen aufgeregt diskutierende Festivalfans, ein großer Teil von ihnen mit Akkreditierungskarten und Berlinale-Taschen bestückt. Hier und da bilden sich Trauben, Kameras blitzen auf, weil gerade irgendein bekanntes Filmgesicht das Auto, Kino oder Hotel verlässt. Hier ein Empfang, da eine Preisverleihung, dort ein Interview, wie etwa der tägliche „Nighttalk“ von Radio Eins in der Cinemaxx-Lounge. Es summt und brummt draußen wie drinnen.

Lange Menschenschlangen ziehen sich durch die Potsdamer Arkaden hin zu den kleinen Kartenhäuschen, selbst vor den Schaltern mit den im Voraus bezahlten Tickets. Oft ist der gewünschte Film nach der Warterei ausverkauft, dann wird eben etwas anderes genommen und sei es ein noch so schwacher, unverständlicher Beitrag. Die Hauptsache ist, dabei zu sein, wenn der Vorhang aufgeht und sich explodierende Sterne zu einem Bären formieren. Das Publikum ist auffallend unkritisch und die preisgekrönten Filme sind selten Publikumsrenner.

Denn alle, die nur Verdacht laufen, Mainstream-Unterhaltung zu bieten, laufen im Wettbewerb sowieso schon außer Konkurrenz, wie dieses Jahr „Before Midnight“ von Richard Linklater, der das bereits dritte Techtelmechtel zwischen Julie Delpy und Ethan Hawke inszeniert, oder die Romanverfilmung „Nachtzug nach Lissabon“, die mit Jeremy Irons, Melanie Laurent und Martina Gedeck prominent besetzt ist.

Auch das Martial-Art-Epos „The Grandmaster“, welches das Festival eröffnet, läuft außerhalb der Wertung. Es soll bloß kein Verdacht der Vetternwirtschaft aufkommen. Denn schließlich ist der Regisseur des Films, Wong Kar-Wai, zugleich Präsident der Jury, die entscheidet, welche der 19 Filme im Wettbewerb den Goldenen oder die Silbernen Bären erhalten. Der Wettbewerb bietet den üblichen Themenmix: entweder introvertierte Geschichten oder politisch Ambitioniertes.

Da spielt Juliette Binoche eine in die Irrenanstalt verfrachtete „Camille Claudel 1915“. Oder es suchen im Auswanderer-Drama „Gold“ von Thomas Arslan, dem einzigen deutschen Regisseur im Rennen, Nina Hoss und Uwe Bohm 1897 in Kanada ihr Glück. Das in einer nuklear verseuchten Wüste spielende Drama „Dark Blood“ entstand schon vor 20 Jahren und wurde erst jetzt von dem inzwischen 80-jährigen Autorenfilmer George Sluizer fertiggestellt. Grund: Hauptdarsteller River Phoenix verstarb während der Dreharbeiten.

Aktuellere politische Filme steuern Regiegrößen wie Steven Soderbergh bei. „Side Effects“ ist ein Psychothriller um die Nebenwirkungen eines Medikaments. Regisseur Jafar Panahi, in seiner Heimat Iran immer noch unter Hausarrest, ist mit dem Film „Parde“ („Geschlossener Vorhang“) vertreten. Ein sehr brisantes Thema greift Gus Van Sant in seinem Drama „Promised Land“ auf. Hier geht es um die risikobehaftete Gewinnung von Schiefergas. Matt Damon kommt als Vertreter eines Gaskonzerns mit den Landbewohnern Pennsylvanias und mit sich selbst in Konflikt.

Weitere Gesellschaftsbetrachtungen bieten die 52 Filme im „Panorama“, der Festivalsektion für das Autorenkino mit kommerzielleren Ambitionen. Schauspieler Joseph Gordon-Levitt präsentiert hier seine erste Regiearbeit, in der er selbst das schwere Erwachsenwerden eines 30-Jährigen zeigt. Isabel Coixet zeigt ein düsteres Zukunftsdrama in Spanien. Das Independent-Kino aus ganz Amerika ist stark vertreten. Die noch individuellere Sektion „Forum“ präsentiert auffallend viele Filme aus Osteuropa. Die „Hommage“ ist diesmal Claude Lanzmann gewidmet. Neu bei dieser Berlinale ist die Reihe „NATIVe“ für indigene Filme.

Am beweglichsten und experimentierfreudigsten ist die Untersektion „Forum Expanded“, die die künstlerischen Aspekte stark betont. Neben 30 neuen Filmen, wie von Isabella Rossellini, präsentiert sie fünf Ausstellungen, unter anderem im Liquidrom und im Silent Green Kulturquartier, dem ehemaligen Krematorium von Berlin-Wedding. Immer weiter breitet sich das Festival aus. Neben allen Kinosälen am Potsdamer Platz bezieht die Berlinale besucherfreundlich lauter klassische Orte in der ganzen Stadt ein.

Die Kinder- und Jugendfilmreihe „Generation“ nimmt Platz im Haus der Kulturen der Welt, der „Talentcampus“ mit Studenten und berühmten Experten im Theater „Hebbel am Ufer“, das „Kulinarische Kino“ im Martin Gropius Bau, die Reihe „Berlinale Spezial“ mit anschließenden Diskussionen im Friedrichstadtpalast und im Haus der Berliner Festspiele. Die Retrospektive, diesmal dem „Weimarer“ Filmstil gewidmet, nutzt das Zeughauskino im Deutschen Museum. Die Reihe „Berlinale goes Kiez“ trägt neben einem „fliegenden roten Teppich“ die Wettbewerbsfilme zu den verborgenen, kleinen „Kiezkinos“ von Weißensee bis Babelsberg. Abwegig ist dies nicht. Berlin hat mit 95 Spielstätten mehr als dreimal so viele Kinos wie Hamburg.

Die Berlinale ist ein nicht unerheblicher Wirtschaftsfaktor für das Land Berlin. Das aktuelle Jahresbudget beträgt 21 Millionen Euro, 6,5 Millionen kommen aus öffentlicher Förderung. Fast 300000 Eintrittskarten wurden auf dem letzten Festival verkauft, hinzu kamen knapp 20000 akkreditierte Fachbesucher. Sie vor allem bescheren Hotels, Restaurants und Einzelhandel erhöhte Einnahmen. Die Investitionsbank Berlin hat die auf die Berlinale 2012 zurückzuführenden Umsatzsteigerungen auf 66,2 Millionen Euro geschätzt sowie daraus resultierend über sechs Millionen Euro zusätzliche Einnahmen für Berlin berechnet. Kein schlechter Nebeneffekt für die finanzschwache Stadt. Dorothee Tackmann


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