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02.02.13 / Dem Vergessen entrissen / Autor besucht »Die letzten Deutschen« in Schlesien und Ostpreußen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 05-13 vom 02. Februar 2013

Dem Vergessen entrissen
Autor besucht »Die letzten Deutschen« in Schlesien und Ostpreußen

Jahrzehntelang waren die nach 1945 in ihrer ostdeutschen Heimat verbliebenen Deutschen verfemt, ja ihre Existenz wurde regelrecht geleugnet. Nach der Wende 1989 aber gab es schon bald offizielle Verlautbarungen, wonach noch rund 150000 Deutsche in der Republik Polen lebten, nicht mitgerechnet jene früheren Deutsche, die sich, aus welchen Gründen immer, den Umständen gefügt, einen polnischen Pass und damit eine neue Nationalität angenommen hatten. Polnische Deutsche oder deutsche Polen? Eine müßige Frage.

Der in der DDR aufgewachsene Autor Hans-Dieter Rutsch, schon bei der Defa durch erste Dokumentarfilme bekannt geworden, hat sich seit der „Wende“ mit Dokumentationen und Reportagen zum Thema Vertreibung einen Namen gemacht. Sein aus Schlesien stammender Vater hatte ihn schon 1965 zu Besuchen jenseits der Oder mitgenommen, und immer wieder ist er dorthin zurückgekehrt. In diesem Buch ist er auf der Spur noch lebender Deutscher in Schlesien und Ostpreußen. Es ist ein Buch mit einer Fülle von Erinnerungen an schwere, aber auch wieder durch große Menschlichkeit geprägte Zeiten, aber ohne jene verklärende Nostalgie.

Im schlesischen Neusalz [Nowa Sol] findet der Vater einen alten Jugendfreund wieder. Er gehört zu jenen Deutschen, die nach 1945 nicht vertrieben wurden. Teils wurden die Deutschen als Facharbeiter oder Spezialisten in Betrieben und auf dem Land gebraucht, teils konnten sie mit Glück und enormer Hartnäckigkeit wohnen bleiben, teils nahmen sie, die Frauen etwa durch Heirat, die polnische Staatsbürgerschaft an. Die deutsche Sprache beherrschen die heute alten Menschen oft nur noch mühsam. Eine 80 Jahre alte Dame in Breslau – Rutsch beschreibt sie wie manch andere als ebenso tapfere, wie geduldige und sozial denkende Frau – sagte ihm: „Ich sage Breslau, wenn ich deutsch rede, und Wroclaw, wenn ich polnisch spreche. Auf einen Brief schreibe ich Wroclaw, weil die Stadt heute offiziell so heißt. Aber deswegen lebe ich doch auch in Breslau.“

Die Reisen führen Rutsch auch zum Annaberg, nach Hirschberg, nach Bunzlau und ins Riesengebirge. Manchmal sind es fast unglaubliche Geschichten, die ihm erzählt werden. Heute, so sein vorsichtiges Fazit, können die Menschen in Ruhe leben, sie können zu Verwandten nach Deutschland reisen, und das genügt ihnen. Die alten Geschichten möchten sie auf sich beruhen lassen. Und: Der polnische Staat wird toleranter. In Breslau wurde ein Denkmal aus Grabsteinen evangelischer, katholischer, orthodoxer und jüdischer Friedhöfe aus der Vorkriegszeit errichtet; auf einer Tafel steht in Deutsch: „Zum Andenken an die früheren Einwohner unserer Stadt, die auf Friedhöfen beigesetzt wurden, die heute nicht mehr bestehen.“

Das Ostpreußenkapitel widmet sich, vor Ort vor allem in Tauroggen und Eydtkuhnen, in besonderem Maße den „Wolfskindern“. Gemeint sind deutsche Kinder, die 1945 in Ostpreußen, vor allem in Königsberg, durch die Kriegswirren ihre Eltern und Geschwister verloren, vom Hunger getrieben über die Memel streunten und bei mitleidigen litauischen Bauern Aufnahme fanden und oft genug an Kindes Statt angenommen wurden. Sie sind durch Eberhard Fechners großartige Fernsehdokumentation aus den 1980er Jahren bundesweit bekannt geworden. Erst viele Jahre später konnten manche Schicksale geklärt werden. Andere aber bis heute nicht. Rutsch kommt mit einem Mann zusammen, der nur noch dunkel weiß, dass er ein deutsches Kind war; aber alle Spuren haben sich verloren, längst ist er ganz in der litauischen Nationalität aufgegangen.

Es sind berührende Schicksale, die der Autor in einfühlsamen Reportagen ausbreitet, etwa wenn sich zwei Brüder nach fast 60 Jahren durch den Verein der Wolfskinder „Edelweiß“ wieder gefunden haben.

Schade, dass dem Verlag ein gewisser Sinn für das Thema fehlt, hätte er doch sonst für die ja doch meist landesunkundlichen Leser entsprechende Karten der Regionen beigegeben. Es ist ein Buch, das sensibel und nachdenklich macht angesichts des ambivalenten Fazits: Die Wunden sind verheilt, aber ihre Narben schmerzen immer noch. Dirk Klose

Hans-Dieter Rutsch: „Die letzten Deutschen. Schicksale aus Schlesien und Ostpreußen“, Rowohlt Berlin, Berlin 2012, gebunden, 286 Seiten, 19,95 Euro


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