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16.02.13 / Ich entschuldige mich!

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-13 vom 16. Februar 2013

Moment mal!
Ich entschuldige mich!
von Klaus Rainer Röhl

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle hat sich immer noch nicht dafür entschuldigt, dass er einer „Stern“-Redakteurin, die ihn vor einem Jahr mitternächtlich angesprochen hatte, ein höfliches Kompliment über ihren von ihr als zu klein empfundenen Busen gemacht hat. Die Sache wurde bundesweit diskutiert. „Seit die Lokale rauchfrei sind und nur noch nach abgestandenem Bratfett riechen, sind die SäuberInnen anderswo unterwegs“, sorgte sich die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „die gefühlten 50 öffentlich-rechtlichen Talk-Sendungen je Woche haben den Part der Hexenverfolgungen und der Exorzisten der alten Zeiten übernommen“. Die Sorge war glücklicherweise verfrüht. Die Kampagne gegen Brüderle ist da gelandet, wo sie hingehört – beim Karneval und bei den Kabaretts. Dieter Nuhr vom Satire-Gipfel in der ARD bedauerte die „arme unglückliche“ „Stern“-Redakteurin Laura Himmelreich, die von Brüderles Worten so verletzt gewesen sei, dass sie ein ganzes Jahr gebraucht habe, um sich endlich zu offenbaren (just an dem Tag, an dem Brüderle im Einvernehmen mit seinem Parteivorsitzenden Rösler Spitzenkandidat der FDP geworden war!).

Der ganze Spott der Kabarettisten und der Karnevalisten an Main und Rhein traf mit satirischer Sicherheit nicht etwa den FDP-Mann Brüderle, sondern den „Stern“ selbst und seine allzu durchsichtige „Sexismus-Kampagne“. Ein Schuss, der nach hinten losging, die Redakteurin aber in ihrem beruflichen Ansehen beschädigt zurückließ. Herr Chefredakteur, entschuldigen Sie sich!

Jeder, der sich heute noch nicht entschuldigt hat, wird morgen aufgefordert, sich zu entschuldigen. Bei den Frauen, bei den Männern, bei den Schwulen und Transvestiten, beim ganzen deutschen Volk. Auch die Eingebürgerten bleiben nicht verschont vom Entschuldigungs-Marathon. Die türkischstämmige Integrationsministerin von Baden-Württemberg hatte Kolleginnen angegriffen, die angeblich „die Nähe zu wohlhabenden und mächtigen Männern suchen ...“. „Es ist mehr als verwunderlich, welche Äußerungen Bilkay Öney zur aktuellen Sexismus-Debatte gewählt hat“, empörten sich die Frauen der CDU-Landtagsfraktion. Das sei eine Diskreditierung all derjenigen, die diesen Berufen nachgehen. „Wir fordern Ministerin Öney daher auf, sich für ihre unqualifizierten Äußerungen zu entschuldigen!“ Jeden Tag muss sich in Deutschland mindestens ein prominenter Politiker entschuldigen. FDP-Präsidiumsmitglied Dirk Niebel forderte eine Debatte über den Sexismus gegenüber Männern. Bedauerte die „taz“: „Die Brüderle-Affäre mutiert zum Witz!“ Fein beobachtet.

Der Karneval ist vorbei. Nun aber Spaß beiseite. Unsere Kanzlerin Angela Merkel hat dem Begriff „Ich entschuldige mich!“ eine ganz neue Bedeutung verliehen. Sie entschuldigt sich für eine Sache, an der sie selber nicht schuldig, nicht einmal mitschuldig sein kann. Sie entschuldigt sich stellvertretend. Merkel entschuldigt sich bei den Opfern des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) und deren Angehörigen für die Morde, die Uwe Mundlos und Uwe Böhnhard begangen haben sollen. Der Bundespräsident denkt und äußert sich ähnlich.

Das finde ich neu und kühn. Aber da fällt schon auf den ersten Blick eine gewaltige Schieflage der Entschuldigungs-Initiative auf. Denn: Wer entschuldigte sich bei den Opfern der RAF und ihren Angehörigen? Ist Terror von rechts nicht gleich zu verdammen wie Terror von links?

Der Prozess gegen Beate Zschäpe beginnt im nächsten Monat. Die sich NSU nennende Gruppe, jene aus drei Personen bestehende Terrorzelle, die der Verfassungsschutz mal beobachtet und mal wieder aus den Augen verloren hatte, arbeitete in vieler Hinsicht nach dem Vorbild der Roten Armee Fraktion. Man könnte sie als eine von den Behörden auch immer befürchtete „Braune Armee Fraktion“ bezeichnen. Für ihre Untaten entschuldigte sich die Kanzlerin. Keine Kanzlerin und kein Kanzler entschuldigte sich bei den Opfern der RAF und ihren Angehörigen. Meines Wissens niemand. 55 Menschen wurden ermordet, die Mörder aber sind nicht bekannt, weil die Gruppenmitglieder eisern schweigen. Wie bei Siegfried Buback, dessen Sohn jahrzehntelang verzweifelt die Namen der Mörder seines Vaters zu erfahren suchte. Noch völlig unbekannt sind die Beteiligten an dem tödlichen Anschlag auf den Sprecher des Vorstands der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, und auf Karlheinz Beckurtz, Mitglied des Vorstands der Siemens AG. Niemand entschuldigt sich bei ihnen und ihren Hinterbliebenen. Stattdessen gibt es viele, die in Büchern und Zeitschriften offen, oder doch klammheimlich, mit der RAF sympathisieren. Oft sind es Leute, die bei jeder Gelegenheit den Kampf gegen „rechts“ vorantragen – worunter sie mehr oder weniger alle verstehen, die nicht stramm links sind wie sie. Sie sind zum Beispiel der Meinung, dass die „Linke“ eine demokratische Partei sei, die völlig zu Unrecht von Verfassungsschutzämtern beobachtet werde.

Von den Opfern und Angehörigen der RAF spricht man nicht. Deshalb möchte ich einen Anfang machen. Ich entschuldige mich. Bei allen 55 Opfern und ihren Angehörigen. Für die Mordserie der RAF, die ich zwar von der ersten Stunde an bekämpft habe, aber nicht hart und nachhaltig genug und mit zu wenigen Mitkämpfern. Wir alle sind mitschuldig an der Ausartung der 68er-Bewegung zur RAF, die auch einmal ihre Speerspitze genannt wurde. Viele der heute kaum mehr verständlichen absurden Gedanken und Handlungen, die damals in Mode kamen und heute noch nachwirken, sind 1968 diskutiert und veröffentlicht worden. Die Beliebigkeit aller menschlichen Beziehungen, die Abwertung aller tradierten Wertvorstellungen und vor allem die Verharmlosung der Gewalt.

Als die RAF Ernst machte und aus Worten 9-mm-Geschosse wurden, war der Spaß von 1968 vorbei. Die Heiterkeit und Leichtigkeit vergingen uns. Und die Illusionen unserer Anfänge und unserer Höhepunkte, der Glaube an die schöpferische Kraft und die Allmacht der friedlichen Revolution, die Begeisterung für die „dritte, gemeinsame Sache“ wollte sich nach dem ersten Menschenopfer nie wieder einstellen. Alle Gewichte verschoben sich. Leichtigkeit begann sich als Leichtfertigkeit zu entlarven. Das Leben des einzelnen, konkret erfahren in seiner Gefährdung, wurde wieder höher bewertet, und die Zukunft und die schöne neue Welt, für die es geopfert werden sollte, wurden fragwürdig. Doch die Gedanken, die wir nicht zu Ende gedacht hatten, hatten sich längst in tödliche Geschosse und Sprengfallen verwandelt. Deshalb entschuldige ich mich.

„Wer vom Stalinismus nicht sprechen will, sollte auch vom Faschismus schweigen“, schrieb einst Jorge Semprún, spanischer Kulturminister, Widerstandskämpfer in Frankreich und Überlebender des Konzentrationslagers Buchenwald. Wir würden ergänzen: Wer von der NSU spricht, sollte von der RAF nicht schweigen. Wer von den Helfern und Sympathisanten der braunen Zelle redet, sollte über die Helfer und Sympathisanten der RAF nicht schweigen.


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