25.04.2024

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16.02.13 / Die ostpreussische Familie / Leser helfen Leser

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07-13 vom 16. Februar 2013

Die ostpreussische Familie
Leser helfen Leser
von Ruth Geede

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

während ich diese Zeilen schreibe, steht mein Geburtstag vor der Türe – wenn Sie diese Zeilen lesen, ist er vorbei, und ich bin 97 Jahre alt, stehe also im 98. Lebensjahr, und kann das immer noch nicht so recht begreifen. Wenn man einmal die Jüngste im Kreis der schreibenden Zunft war und nun die Älteste ist, ja, das ist schon ein großer Bogen, der ein wechselvolles Leben überspannt, das von der Kaiserzeit bis zum Atom(abschalt)zeitalter reicht. Und dass ich so vieles, was ich in allen Phasen dieser mit Ereignissen randvoll bestückten Lebensbahn noch in Erinnerung habe, weitergebe, ist für mich als Schriftstellerin und Journalistin nicht nur Verpflichtung, sondern auch ein dankbar empfundenes Geschenk, das mir hilft, so manches altersbedingte „Maladchen“ zu überspielen. Das hat die Hamburger Autorin Uta Buhr so einfühlend in ihrem Beitrag zu meinem Geburtstag zum Ausdruck gebracht, denn auch als weitaus jüngere Kollegin weiß sie ja um die Probleme der schreibenden Zunft. Ich möchte ihr sehr herzlich für diese geschriebene Laudio danken, ebenso der Redaktion der PAZ, dass sie ihr dafür den Platz eingeräumt hat. Zuvor hatte Uta Buhr, die unseren Lesern vor allem durch ihre informativen Reisereportagen bekannt ist, schon einen sehr ausführlichen Bericht über mich als „älteste noch schreibende Journalistin der Welt“ ins Internet gestellt. Ich habe es lange nicht wahrhaben wollen, und es erscheint mir noch immer kaum glaubhaft. Und gänzlich unerwartet kam dann noch die Gratulation auf der Glück­wünschseite, die Ditmar Hinz im Namen der „Ostpreußischen Familie“ ausspricht, und über die ich sehr, sehr glücklich bin. Also, Kinderkes, dat is meist e bätke toveel! Was für Formulierungen sind Ihnen da eingefallen, lieber Ditmar Hinz! Gerne nehme ich die Bezeichnung „Gesicht unserer Heimat“ an, und denke an den von mir kürzlich erwähnten Königsberger Dichter Walter Scheffler, der in einem seiner schönsten Gedicht schrieb: „Ich trag’ meiner Heimat Gesicht.“ Und ein wenig gegrifflacht habe ich über den Ausdruck „Galionsfigur unseres Flaggschiffes“. Das hätte mein Mann erleben sollen, der aus einer alten Seefahrerfamilie stammte! Übrigens kam der erste Glück­wunsch ganz passend über das große Meer: Geschrieben von unserer treuen Leserin Frieda Lukner aus Orlando, Florida, die ihre Segenswünsche unter diesen Spruch setzte: „This is your day, so what ever you do, this day will be full oft great things … like you!“

Aber es läuft ja eben nicht immer nach Wunsch. Es gibt auch – sagen wir behutsam: „Missgeschicke“. Sie passieren in unserer Familie selten, aber sie geschehen. In diesem Fall ausgerechnet mit einer Königsbergerin, die schon einmal monieren musste. Es geht wieder um ihr Geburtshaus an der Straßenkreuzung Stägemannstraße/Boyenstraße in Königsberg. Frau Brigitte Krüger und ihr Bruder Manfred W. Krüger hatten auf die Skulptur hingewiesen, die noch heute an der Fassade des Hauses Stägemannstraße 44A zu sehen ist. Herr Krüger hatte mir schon vor längerer Zeit ein Foto zugesandt, das ich nun mit der betreffenden Erklärung in Folge 51/52, der letzten PAZ-Ausgabe von 2012, brachte. Ich hatte es extra für die Weihnachtsausgabe, die „Schokoladennummer“, reserviert. Da nun diese als Doppelausgabe konzipiert und dazu die Folge 1/13 in Vorbereitung war, kam es bei dieser bei dem Straßennamen zu einem Fehler: Die Boyenstraße erschien im Text als Boysenstraße. Nun kann man diesen Königsberger Straßennamen beim besten Willen nicht mit dem Familiennamen „Boysen“ in Verbindung bringen, wenn zu dieser auch bekannte Persönlichkeiten – Schauspieler, Theologen, Politiker, Sportler und der amerikanische Züchter der leckeren „Boysen­beere“ – gehören, sondern mit dem preußischen Kriegsminister und Generalfeldmarschall Leopold Ludwig Hermann von Boyen (*1771 in Kreuzburg, †1848 in Berlin). Und nun kommt das, was ich in diesem Falle Missgeschick nenne: Ich hatte, da ich wegen des Zeitdrucks bis in die Nacht hinein am PC saß, erst am nächsten Morgen den Fehler erkannt und an dem noch auf dem Monitor stehenden Manuskript eine Änderung vorgenommen. Aber da war bereits die erste Fassung überspielt, die Korrektur kam zu spät, eine Korrektur war nicht mehr möglich. Trotzdem möchte ich mich für diesen Fehler bei den Geschwistern Krüger entschuldigen, auch bei anderen ehemaligen Bewohnern der Boyenstraße, die seit 1911 den Namen dieses großen Ostpreußen trug.

Kommen wir zu erfreulicheren Dingen. Und dazu gehört – um noch einmal und abschließend das Thema zu behandeln – die von Frau Ursula Karge zusammengestellte Präsentation ostpreußischer Konfirmationsurkunden. Ich war überrascht, als ich ein Paket erhielt, in dem ein Exemplar dieser Sammlung enthalten war, die sich als ein erstaunliches Ergebnis der durch unsere Ostpreußische Familie erfolgten Suchaktion erwies. „Ohne Sie hätten wir einen leeren Ordner auf die Reise schicken müssen“, schreibt Ursula Karge, die selber, als wir gemeinsam diese Aktion starteten, nicht an einen Erfolg geglaubt hatte. Aber ich schon, denn ich kannte ja unsere Ostpreußische Familie. Zwar hielt sich auch mein Optimismus in Grenzen, denn wir Vertriebenen haben ja – wenn überhaupt – nur das Nötigste retten können, und das waren ja nicht gerade die Konfirmationsurkunden der Eltern oder Großeltern. Und was ist gekommen? Ein mit viel Liebe gestalteter Ordner mit fast 60 Kopien von Originalurkunden aus Ostpreußen, Pommern und Schlesien. „Ermöglicht durch Veröffentlichungen im Ostpreußenblatt von Frau Ruth Geede“ ist auf der Einführungsseite zu lesen. Dann folgen Ausschnitte aus verschiedenen Veröffentlichungen auf unserer Familienseite, die über den Verlauf der am 8. September 2012 in Folge 36 gestarteten Suchaktion unterrichten, die Frau Karge bereits zum Jahresende mit dem nun vorliegenden unerwarteten Ergebnis abschließen konnte. Es ist interessant, wie sich die Zeitläufe in diesen kirchlichen Dokumenten widerspiegeln. Die älteste Urkunde, ein „Denkspruch am Confirmationstage“ stammt aus dem Jahre 1835 aus Czarnikau in Hinterpommern, zugesichert für Wilhelmine Mittelstaedt von ihrem „Lehrer und Seelsorger“, dem Prediger Grützmacher: „Die Gerechten werden ewiglich leben, und der Herr ist ihr Lohn, und der Höchste sorget für sie.“ Das schmucklose Blatt wurde rot besiegelt! Die älteste ostpreußische Konfirmationsurkunde stammt aus dem Jahr 1867 und ist etwas rätselhaft, wie sich auch aus dem beiliegenden Schriftwechsel der Einsenderin mit Ursula Karge ergibt. Als Wohnort des Konfirmanden Klaus Federau ist „Gudmin“ eingezeichnet und so hat Frau Karge ihn auch in der Beschilderung angegeben. Nun gab es aber keinen Ort dieses Namens in Ostpreußen. Anhand des Kirchensiegels von Langlau, Kreis Rastenburg auf der Urkunde müsste es sich um „Gudnick“ handeln, das in diesem Kirchspiel lag. „Vielleicht hat sich da ein Schreibfehlerteufel eingeschlichen“, vermutet die Übersenderin, und damit dürfte sie Recht haben. Der spukte also auch in alten Kirchenbüros (und nicht nur heute auf meinem PC). Überhaupt sind die Begleitschreiben zu den Dokumenten sehr interessant, und man kann ersehen, wie dieses Thema die Betreffenden berührt hat. So wurden Abbildungen der Gotteshäuser beigefügt, sofern sie nicht die oft künstlerisch gestalteten Urkunden schmückten, oder Familien- und Ortsgeschichten beigelegt. Mit dieser Sammlung wird ein kleiner, aber feiner Beitrag zur ostdeutschen Kirchengeschichte geleistet, und deshalb verbleibt er auch nicht in privater Hand. Ich bin nur „Zwischenstation“ für diese Dokumentation, denn ich soll sie im Auftrag von Ursula Karge dem Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg übergeben, eine zweite ist für das Ostpreußische Kulturzentrum Ellingen bestimmt. Zwar habe ich gesagt, dass dies nun eine abschließende Besprechung sei, aber die Sammlung ist so faszinierend, dass ich noch einmal auf sie zurückgreifen möchte: Mit einem Abbild zur Konfirmationszeit!

Was wäre unsere Ostpreußische Familie ohne Suchwunsch? Auch in unserer heutigen Folge darf er nicht fehlen, und er kommt diesmal aus Lilienthal/Worps­we­de bei Bremen. Gestellt wird er von einer Ostpreußin, die schon sehr lange Leserin unserer Zeitung ist und so klar ihren Wunsch zu formulieren vermag, dass ich ihn im Wortlaut bringen kann. Frau Barbara Palfner geborene Lindenblatt schreibt: „Im letzten Jahr verstarb mein Mann, Hans-Martin Palfner, früher Gut Kauschen, Kreis Tilsit. Meine Eltern hatten in Battau, Kreis Samland eine Landwirtschaft. Erst 1948 kam meine Mutter Elsa Lindenblatt mit meinem Bruder Frank und mir aus Ostpreußen nach Münster zu meinem Vater, der nach nur zweimonatigem Zusammensein im Juni 1948 verstarb.“ Frau Palfner hat jetzt sehr viel Zeit zum Nachdenken, deshalb gehen ihre Gedanken oft in die Vergangenheit zurück, vor allem in die glücklichen Tage ihrer Kindheit auf dem elterlichen Hof im Samland. Im Kriegssommer 1940, noch vor ihrer Einschulung, wurde Barbara von ihren Eltern in das Krankenhaus der Barmherzigkeit in Königsberg gebracht. Dort operierte sie ihr Onkel Dr. Gerd oder Gerhard Lilienthal am Bein. Es muss eine schwierige Operation gewesen sein, denn nach vier Wochen wurde sie in seine im oberen Stock des Gebäudes gelegene Privatwohnung verlegt, und auch als sie später nach Battau zurück durfte, war die Wunde noch nicht verheilt. Um diesen Dr. Gerd Lilienthal geht es nun bei dem Suchwunsch von Frau Palfner, in den auch seine Eltern eingebunden sind: „Diese Eltern waren Onkel Fritz, ein Lehrer, und Lise Lilienthal, eine Schwester meiner Großmutter Clara Lindenblatt. Sie wohnten in der Mozartstraße in Königsberg, waren sehr oft in Battau und gingen im Januar 1945 mit uns auf die Flucht. Mit dem Schiff nach Gotenhafen, von dort ging es nicht weiter. Wir machten uns wieder auf den beschwerlichen Weg nach Hause, kamen auch nach Battau, das mitten im Kampfgebiet lag. Onkel Fritz und Tante Lise waren noch immer bei uns. Beim Russeneinmarsch wurden gleich an einem der ersten Tage meine Tante Hilla, Schwester meiner Mutter, unter Fluchen und Gröhlen der Russen verschleppt, dann auch Onkel Fritz und Tante Lise, die oft hinfielen und weiter fortgerissen wurden. Wir haben nie wieder etwas von ihnen gehört. Auch von meinem Onkel Gerd/Gerhard Lilienthal fehlt jede Spur. Blieb er im Krankenhaus, wurde er noch als Militärarzt eingesetzt oder ist er in Königsberg verhungert, verstorben? Was wurde aus seiner Frau Doris und ihrem Sohn, der genau so hieß wie mein Bruder – Frank – und mit dem 1938 Geborenen etwa gleichaltrig war. Mir ist nicht bekannt, ob Doris Lilienthal und Frank dem Inferno entkommen sind. Meine Frage ist nun, ob über die Ostpreußische Familie etwas über den Verbleib dieser Familie zu erfahren ist. Ich wäre so glücklich, wenn ich wenigstens einen kleinen Erfolg haben könnte.“ Das ist also der Suchwunsch von Frau Palfner, leider sehr spät gestellt, aber immerhin noch teilweise erfüllbar. Wir haben jedenfalls mit dieser Veröffentlichung einen ersten Schritt dazu getan. (Barbara Palfner, Worphauser Landstraße 75 in 28865 Lilienthal.)

Eure Ruth Geede


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