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23.02.13 / Kein Rütteln am Tabu / Vielen Armeniern gilt die Türkei noch immer als gefährlicher Ort

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-13 vom 23. Februar 2013

Kein Rütteln am Tabu
Vielen Armeniern gilt die Türkei noch immer als gefährlicher Ort

Hunderttausende Nachkommen der Überlebenden des Genozids von 1915 in der Osttürkei haben auch heute noch Angst, sich als Armenier zu bekennen, denn die Türkei gilt ihnen noch immer als gefährlicher Ort. Eine halbe Autostunde von Antakya entfernt liegt Vakifli, das letzte armenische Dorf der Türkei. Die Einwohner sind die Nachkommen von Menschen, die den Todesmarsch aus der Türkei durch die syrische Wüste zum Musa Dagh überlebt haben. Aber auch das Ende von Vakifli ist absehbar: Hatte es 1964 noch 320 Einwohner, waren es 2000 nur noch 145 meist alte Leute. Vakifli ist das erste Dorf der Türkei, das von ökologischem Anbau lebt, 35 Familien betreiben ein ökologisches Gemeinschaftsprojekt. In die kleine Marienkirche kommen auch immer mehr Touristen, einen armenischen Pfarrer gibt es in dem Ort jedoch seit Jahren nicht mehr. Laut Bürgermeister Cem Çapar ist die Selbstständigkeit der Gemeinde durch ein neues Kommunalgesetz in Gefahr, das die kleineren türkischen Ortschaften größeren städtischen Zentren zuordnet.

Nach 1920 lebten im Hatay-Gebiet so viele Armenier aus dem benachbarten Kilikien (Klein Armenien), dass die Franzosen sogar eine Heimstätte für Armenier in dieser Provinz einrichten wollten, ähnlich der jüdischen Heimstätte im britischen Palästina. Das Gebiet von Alexandrette wie es damals offiziell genannt wurde, kam 1920 unter französische Mandatsverwaltung und wurde erst 1939 der Türkei zugeschlagen. Damals sind viele Armenier in den Libanon geflüchtet. Andere Armenier aus Alexandrette haben sich in der Hoffnung auf die schützende Wirkung großstädtischer Anonymität in der Metropole Istanbul neu angesiedelt. Unter deren über 13 Millionen Einwohnern leben nach Angaben ihres dort residierenden Patriarchen Mesrob II. heute noch etwa 60000 Armenier – mit sinkender Tendenz.

Das Thema Armeniergenozid bleibt eines der letzten Tabus des türkischen Staates, denn eine Anerkennung des Völkermordes würde den Gründungsmythos der Republik ins Wanken bringen. Führende Vertreter der 1923 gegründeten Republik waren in die Armenier-Massaker verwickelt. „In unserer Geschichte wurde kein Völkermord begangen“, hat Premier Recep Tayyip Erdogan mehrmals behauptet, obwohl er das „staatlich geplante Massaker“ an der kurdisch-alewitischen Minderheit im ostanatolischen Dersim in den 1930er Jahren mittlerweile anerkannt hat. Auch gegenüber den Armeniern gab es einige hoffnungsvolle Zeichen. So durften sie in den letzten Jahren einige seit Jahrzehnten geschlossene Kirchen zumindest vorübergehend wieder benutzen. Obwohl im Ok­tober 2009 die Türkei und die Republik Armenien ein Abkommen über die Normalisierung ihrer Beziehungen unterzeichnet hatten, haben die beiden Staaten noch immer keine diplomatischen Beziehungen. Im April 2010 fror Armenien das Abkommen ein, nachdem Erdogan den mehreren hunderttausend illegal in der Türkei lebenden Armeniern aus der ehemaligen Sowjetunion mit Abschiebung gedroht hatte. Im Gegenzug ließ Erdogan das bereits fertiggestellte Versöhnungsdenkmal im türkischen Kars, unweit der armenischen Grenze, wieder abreißen. B. Bost


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