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23.02.13 / In die Länge gezogen / Doppelausstellung in Hamburg zeigt den Meister dürrer Plastiken: den Schweizer Alberto Giacometti

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-13 vom 23. Februar 2013

In die Länge gezogen
Doppelausstellung in Hamburg zeigt den Meister dürrer Plastiken: den Schweizer Alberto Giacometti

Hamburg ist derzeit Welthauptstadt für Fans von Alberto Giacometti. In gleich zwei Häusern werden Skulpturen und Porträts des Schweizer Künstlers gezeigt, der vor allem durch seine magersüchtigen Bronzefiguren weltweit berühmt wurde.

Ende Mai 2002 geschah in der Hamburger Kunsthalle ein dreister Kunstraub. Bei der jährlich in der Hansestadt stattfindenden „Langen Nacht der Museen“, bei der Zehntausende Menschen in den späten Abendstunden den freien Eintritt in allen Museumseinrichtungen der Stadt nutzen, mischten sich Diebe unter das Gedränge in der Kunsthalle. Sie hatten es auf eine 32 Zentimeter große, gertenschlanke Bronzeskulptur Giacomettis abgesehen, die unter einer Vitrine stand. Offenbar unbemerkt vom übrigen Publikum und den vom Massenandrang abgelenkten Mu­seumswächtern hoben sie die unbefestigte Plexiglashaube an, entnahmen die 500000 Euro teure Skulptur, ersetzten sie durch ein billiges Holzimitat und verschwanden unerkannt mit ihrer Beute. Erst drei Tage später erkannten Museumsmitarbeiter, dass es sich bei der Holzfigur in der Vitrine um einen falschen Giacometti handelte.

Es ist nicht ohne Ironie, dass elf Jahre später in der Kunsthallen- Galerie der Gegenwart und im Bucerius Kunst Forum eine der größten Giacometti-Schauen stattfindet, die es jemals gegeben hat. Die Leihgeber müssen Mut be­wiesen haben, indem sie ihre kostbaren Werke noch bis zum

19. Mai ausgerechnet an die Hamburger verliehen haben. Kunsthallen-Direktor Hubertus Gaßner merkte nicht ohne Stolz an, „dass es schon schwierig ist, nur einen Leihgeber für die zerbrechlichen Figuren zu finden, wir aber haben 80 Leihgeber aus aller Welt“.

Bedeutende Museen wie das New Yorker Museum of Modern Art, die National Gallery of Art in Washington oder das Pariser Centre Pompidou haben rund 200 Werke zur Verfügung gestellt. Zählt man noch die Porträts und Zeichnungen dazu, die knapp einen Kilometer weiter am Rat­hausmarkt im Bucerius Kunst Forum gezeigt werden, kommt man auf etwa 320 Giacometti-Werke, die derzeit in Hamburg zu sehen sind.

Alles Originale, versteht sich. Nach den Erfahrungen von 2002 passt ein verstärktes Sicherheitspersonal jetzt besser auf. 2010 wurde sein „Schreitender Mann I“ für 74 Millionen Euro versteigert. Ein Zwilling „marschiert“ in der Ausstellung, aber diese fast zwei Meter hohe Figur lässt sich nicht so leicht unbemerkt in die Tasche stecken.

Doch die dürren Strichmännchen aus Bronze, die den Ruhm des 1901 in einem Graubündner Bergdorf geborenen Künstlers begründet haben, stehen nicht im Mittelpunkt der mit „Die Spielfelder“ betitelten Ausstellung. Es ist das Frühwerk, das

im Fokus steht, als der Künstler erst noch zu seinem Stil finden musste. Schon während seiner Kunstausbildung in Paris experimentierte er mit kubistischen und surrealistischen Kompositionen. Da ist ein „Blickender Kopf“ von 1929 zu sehen, der aber eher ein quadratisches Gesicht besitzt und in Größe und Form eher einem heutigen Computermonitor ähnelt. Allenfalls die leicht gewölbte Oberfläche des „Bildschirms“ lässt die Ahnung eines menschlichen Antlitzes aufkommen. Andere Bronzeobjekte gleichen Tischen, denen Hörner aufgesetzt wurden. Bei anderen wuss­te Giacometti offenbar selbst nicht, was sie darstellen sollten. „Unangenehmes Ding zum Wegwerfen“ nannte er eine mit spitzen Dornen durchdrungene Platte, die scheinbar umgestürzt ist.

Ein Umstürzler der Kunstwelt war Giacometti damit gewiss nicht. An seinen frühen Arbeiten, die sich in ihrer einfachen Formgebung zum Teil an die noch kindlich-unbeholfene prähistorische Kunst der Höhlenbewohner orientieren, sind noch keine eigene Handschrift erkennbar. Nichts deutet darauf hin, dass aus ihm einmal ein bedeutender Künstler werden würde.

In Paris verkehrte er zwar mit berühmten Zeitgenossen wie André Gide oder Picasso, doch an­sonsten war er wenig erfolgsverwöhnt. Mit seinem Bruder Diego teilte er sich ein 18 Quadratmeter kleines Mini-Atelier, in dem er 40 Jahre lang blieb. Es war seine künstlerische Spielwiese. In der Kunsthalle werden dem Besucher wie in einem Erlebnispark die Arbeitsbedingungen des Künstlers nahegebracht. Vor kleinen Installationen, die sich wie Bühnenentwürfe ausnehmen, darf man auf Hockern Platz nehmen und nachempfinden, wie Giacometti gearbeitet hat. Ja, man darf selbst Giacometti sein.

Sein Atelier ist maßstabsgerecht als Raum mit Wand-Projektionen nachgebildet. Denkt man sich ein Bett dazu, auf dem der Künstler seine Nickerchen hielt oder im Sitzen skizzierte, dann wird einem klar, warum Giacometti keine voluminösen Objekte herstellte. Schlank wie eine Kleiderstange mussten sie sein, damit sie in den Raum passten. Nur nach oben hin war Luft in dem 4,50 Meter hohen Atelier.

Es waren ein Unfall und eine neue Frau in seinem Leben, die ihn zu seinem berühmten Spätstil finden ließen. 1938 wurde er als Spaziergänger auf dem Gehweg von einem Fahrzeug erfasst und erlitt schwere Fußbrüche. Die Verletzlichkeit der Glieder zeichnen auch seine Figuren aus, deren Füße meist wie bandagiert er­scheinen. Und 1943 lernte er seine spätere Frau Annette Arm kennen, die ihm Modell stand. Von nun an schossen seine Figuren in die Höhe und wurden wie auf einer mittelalterlichen Streck­bank gedehnt.

In der Kunsthalle stehen nur in den beiden letzten Ausstellungsräumen einige der länglichen Bronzefiguren. Erst kleine Studien, dann für Außenflächen gedachte großen Plastiken. Für den Platz vor der New Yorker Chase Manhattan Bank sollte Giacometti eine Figurengruppe entwerfen. Der Plan zerschlug sich. Gut für Hamburg, denn einige der bis zu drei Meter großen schreitenden oder stehenden Figuren sind jetzt hier zu sehen.

Das Bucerius Kunst Form stellt hingegen die unbekannte Seite des 1966 gestorbenen Künstlers vor: die des Porträtmalers. „Begegnungen“ heißt die Schau, in der seine Frau und Muse Anette immer wieder zu sehen ist. Kurzes Fazit: Malen konnte er gut, seinen eigenen Stil hat er aber nur in den Plastiken gefunden.

Mit Holz hat Giacometti indes nicht gearbeitet. Schade, ein Vergleich seiner Werke mit dem Holz­imitat des Diebes von 2002 wäre interessant gewesen. Zu sehen ist es in der Ausstellung nicht. Es wird im Archiv aufbewahrt. Das Original ist bis heute nicht aufgetaucht. Harald Tews


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