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23.02.13 / So viel Autonomie wie möglich / Wie die Alliierten versuchten, Litauens Souveränität über das Memelland zu beschränken

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-13 vom 23. Februar 2013

So viel Autonomie wie möglich
Wie die Alliierten versuchten, Litauens Souveränität über das Memelland zu beschränken

Die Entscheidung der Botschafterkonferenz der Alliierten und Assoziierten Hauptmächte vom 16. Februar 1923, Litauen die Souveränität über das Memelland zu übertragen, löste in dem jungen baltischen Staat ein starkes Siegesgefühl aus. Mit dem gelungenen Coup konnte quasi der Verlust des Wilna-Gebietes an Polen wettgemacht werden. Weniger Freude lösten in dem Land hingegen die mit der Souveränitätsübertragung verbundenen Auflagen aus.

Vier Tage nach dem Beschluss der Botschafterkonferenz stimmte die litauische Regierung diesem zunächst zu, dann hüllte sie sich in Schweigen. Erst auf ein Ultimatum der Botschafterkonferenz vom 7. März erklärte der litauische Außenminister Ernst Galvanauskas den Beschluss – vermutlich wegen der mit der Souveränitätsübertragung verbundenen Auflagen – für unannehmbar, lenkte aber vor der Drohung ein, jeden Akt für null und nichtig zu erklären, der ohne Zustimmung der Konferenz geschehe. Am 7. Mai verkündete Galvanauskas in Memel die Autonomie des Gebiets. Die Botschafterkonferenz machte diesen Schritt jedoch ungültig und erkannte das Recht, die Autonomie zu verleihen, nur sich selbst zu, was einen Tag später auch geschah.

Zum Streitpunkt entwickelte sich die konsequente Forderung der Alliierten, Polen im Memeler Hafen Sonderrechte einzuräumen. Dagegen wehrte sich die litauische Regierung vehement. Letztendlich wurde die Streitsache vor den Völkerbund getragen, der im Februar 1924 die „Davis-Kommission“ nach Memel entsandte, welche sich gegen die Gewährung von polnischen Sonderrechten aussprach.

Nach dieser Entscheidung war der Weg frei, dass die alliierten Großmächte Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan mit Litauen am 8. Mai 1924 die „Konvention über das Memelgebiet“ unterzeichnen konnten. Den ersten von drei Anhängen bildete dabei das „Statut des Memelgebiets“, das die Republik Litauen in Kraft zu setzen hatte. Sein Absatz 1 enthielt die Verpflichtung, in „Verwirklichung des weisen Entschlusses, dem Memelgebiet Autonomie zu gewähren und die überlieferten Rechte und die Kultur seiner Bewohner zu sichern, … dem Memelgebiet eine Verfassung einer autonomen Einheit zu gewähren“.

Litauens Souveränität über das Gebiet wurde nun vor allem durch einen Gouverneur ausgeübt, der vom litauischen Präsidenten ernannt wurde und seinerseits den Präsidenten der Memelländischen Regierung (Landesdirektorium) ernannte, der wiederum vom Vertrauen des gewählten Memelländischen Landtags abhängig war, in dem stets die deutschorientierten Parteien die Mehrheit besaßen.

Als Vertreter des Deutschen Reiches fungierte das deutsche Generalkonsulat in Memel, mit dem unter anderem Gesetzgebungsverfahren des Memelländischen Landtags abgestimmt wurden, da beide an einer weitgehenden Rechtsgleichheit zwischen Reich und Memelland interessiert waren. Diese ganze Konstellation führte zu einem beständigen Machtkampf zwischen dem litauisch orientierten Gouverneur, dem deutschorientierten Landtag und dem zwischen beiden stehenden Regierungschef des Memellandes.

Als Resümee ist zu konstatieren, dass der Bevölkerung des Memelgebiets eine Volksabstimmung, wie sie 1920 unter anderem in den anderen ostpreußischen Grenzgebieten durchgeführt wurde, letztlich sogar ihr Selbstbestimmungsrecht versagt blieb. Die weitere Entwicklung der Lage im Memelgebiet entsprach zweifels­ohne nicht dem Zustand, den die Verfasser des Statuts für notwendig gehalten hatten, um die verschiedenen Interessen in Übereinstimmung zu bringen.

Festzuhalten gilt es ferner, dass im Jahre 1923 die Vertreter der Großmächte der Überzeugung waren, dass die wahren Interessen des Memelgebiets die Errichtung eines Freistaates unter internationaler Garantie nach dem Beispiel Danzigs erforderten, und dass man, nachdem dieses Regime aus politischen Gründen oder genauer wegen des litauischen Gewaltstreichs nicht mehr eingeführt werden konnte, dem Gebiet zumindest eine möglichst weitgehende Autonomie sichern müsse.

Schließlich ist festzustellen, dass der litauischen Annexion des Memellandes eine litauische Besetzung des Memellandes vorausgegangen ist. Obwohl der entsprechende streng geheime Befehl vom 6. Januar 1923 an die Sondereinheit nur persönlich und gegen schriftliche Bestätigung ausgehändigt wurde, informierte der besorgte Gouverneur und Oberkommissar der Signatarmächte des Versailler Vertrages Gabriel Petisné Paris bereits am 7. Januar, dass die Litauer demnächst in Memel losschlagen werden. Ein Dokument des französischen Außenministeriums vom 19. Januar, das aus polnischen Quellen stammt, wiederholt die an die Sondereinheit gegebenen Befehle wortwörtlich. Nachzulesen ist das in Isabelle Chandavoines 2003 in Wilna erschienenem Buch „Les Français á Klaipeda et après (1920–1939)“. Einen Tag vor dem Einmarsch informierte der polnische Gesandte in Riga, Jodko-Narkiewicz, das polnische Außenministerium lakonisch: „Die Litauer sind bereit, Memel anzugreifen. Morgen soll es losgehen“. Und am 8. März benennt eine Information des polnischen Generalstabs ganz genau die am „Aufstand“ beteiligten Truppen.

Seit der Öffnung des Eisernen Vorhangs haben Historiker in Deutschland und Litauen die wahre Entwicklung und ihre Hintergründe anhand von Originaldokumenten weitestgehend rekonstruiert und auch publiziert. Es ist bekannt, dass selbst von der Minderheit der sogenannten Kleinlitauer im Memelland 1923 nicht einmal alle für einen Anschluss an Großlitauen eingetreten sind und die Initiative zum Einmarsch von Kaunas (Kowno) ausgegangen ist, es sich nachweislich eben nicht um einen autochthonen Aufstand gehandelt hat, wie weiland von der Republik Litauen behauptet. Und dennoch wird für dieses Jahr nach Memel zu einer Gedenkveranstaltung aufgerufen in Erinnerung an den „Aufstand im Januar 1923“. Hans-Jörg Froese


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