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23.02.13 / Heilsame Atomkraft / Zwischen Zerfall und Neuaufbau – Das böhmische St. Joachimsthal »verstrahlt« die Kurgäste mit Radium

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08-13 vom 23. Februar 2013

Heilsame Atomkraft
Zwischen Zerfall und Neuaufbau – Das böhmische St. Joachimsthal »verstrahlt« die Kurgäste mit Radium

St. Joachimsthal und seine Nachbarorte auf der tschechischen Seite des Erzgebirges haben schon glanzvollere Zeiten erlebt. Jetzt soll die Montanregion zum Weltkulturerbe erhoben werden und so neuen Touristenschwung in die Kurbäder bringen.

Nur wenige Kilometer hinter der deutsch-tschechischen Grenze beginnt eine andere Welt. Der Vietnamesen-Markt auf der tschechischen Seite von Johanngeorgenstadt vermittelt ein falsches Bild der Region. Das Hektische, Quirlige, Geschäftstüchtige endet hinter dem letzten Marktstand. Dann fährt der Reisende durch ein vergessenes Land. Vergessen von den Tschechen, die ihren Aufschwung auf die Zentren konzentrieren. Vergessen von den meisten Deutschen, die ohne Zwischenstopp Karlsbad und Prag besuchen, das einst deutschsprachige Böhmen jedoch kaum mehr wahrnehmen. Das tschechische Erzgebirge ist abgehängt von den Entwicklungen der Welt.

Wer kennt noch das einst so bedeutende St. Joachimsthal [Jáchymov], vor 500 Jahren eine der größten Städte Europas? Die damalige Währung, der „Joachimsthaler“, kurz „Thaler“, soll sogar Namensgeber des Dollars gewesen sein. Kennt jemand die Nachbarorte von Joachimsthal, die Bergstadt Platten [Horny Blatna] oder die Sommerfrische Bärringen [Pernink]?

Immerhin: Im Kurbezirk des ältesten Radiumheilbads der Welt werden noch Hotels und Sanatorien betrieben, hier ist die Nähe des mondänen Karlsbads spürbar – auch ein paar Deutsche verirren sich hierher. Das Hotel „Radium Palace“, vor ziemlich genau 100 Jahren im neoklassizistischen Stil erbaut, hat – fast ein Wunder – die Umwälzungen des 20. Jahrhunderts überstanden und ist noch heute eine Institution.

Doch wenn man den Kurbezirk verlässt, ist der Niedergang nicht mehr zu übersehen. Zahlreiche Häuser stehen seit Jahrzehnten leer und verfallen, darunter bedeutende Baudenkmäler aus Joachimsthals großer Zeit. Bei vielen Häusern mögen die letzten Bewohner die Deutschen gewesen sein, die vertrieben wurden. Man mag nicht glauben, dass an der Hauptachse zwischen Sachsen und Karlsbad noch heute derart traurige Zustände herrschen. Nur das Rathaus und das Museum von St. Joachimsthal sind frisch saniert; das Museum bietet einen überraschend guten und fundierten Überblick über die bewegende Geschichte des Ortes.

In St. Joachimsthal wurde erstmals Uran nachgewiesen, als Element bestimmt (nachdem es über Jahrhunderte beim Silberbergbau ebenfalls freigelegt wurde und zur Verstrahlung der Bergleute führte). Im Joachimsthaler Uran – genauer: in der „Pechblende“ – konnte Nobelpreisträgerin Marie Curie Ende des 19. Jahrhunderts das Element Radium nachweisen.

Um es kurz zu fassen: In der böhmischen Stadt St. Joachimsthal begann das Atomzeitalter! Zuerst dachte man, dass die radioaktiven Elemente ein Segen für die Menschen seien. Im „Radium Palace“ kamen radioaktive Quellwasser zur Anwendung und versprachen Linderung vielfältiger Leiden.

Doch spätestens mit dem Zweiten Weltkrieg, als die Mächte an der Atombombe arbeiteten, endeten die ersten, naiven Jahre des atomaren Jahrhunderts. Als die Möglichkeiten des Urans erkannt, als die Möglichkeiten der Atombombe und der Atomenergie erschlossen waren, begann ein schreckliches und trauriges Kapitel in der Geschichte der böhmischen Atomstadt.

Nach 1945 wurde unter Regie der Russen das Joachimsthaler Uran abgebaut. An das Wohlergehen der Bergleute dachte niemand. Russland brauchte Uran für die Atombomben, benötigte möglichst viel radioaktives Material für den Kalten Krieg.

In Joachimsthal wurden zehntausende Kriegsgefangene, internierte Deutsche und später auch politische Häftlinge beim Abbau des Urans eingesetzt. Weit über 100000 Personen starben vermutlich in den Bergwerken oder an den Folgen der Verstrahlung – genaue Zahlen sind bis heute nicht greifbar. Im Museum der Stadt erinnert ein Raum an dieses Kapitel der Stadtgeschichte. Man sieht Luftaufnahmen der Lager, auch ein Modell der unmenschlichen Anlagen, in denen die Urangewinnung Vorrang vor dem menschlichen Leben hatte.

Von Joachimsthal kommt man schnell nach Karlsbad [Karlovy Vary] und kann hier vergessen, wie hart die Geschichte mit manchen Orten und mit vielen Menschen umgegangen ist. Aber so schnell sollte man nicht wieder zurück in die Jetztzeit vordringen. Ein Begriff ist die Stadt vielen noch durch die „Karlsbader Beschlüsse“ von 1819, mit denen der österreichische Minister Metternich eine scharfe Pressezensur durchsetzte.

Über Nebenstraßen gelangt man von St. Joachimsthal in weitere vergessene Orte, die einst durch den Bergbau großgeworden sind. In Bärringen [Pernink] stammen nahezu alle Bauten noch aus der Zeit, als die Bewohner Deutsch sprachen. Viele Häuser sind baufällig, manche unbewohnbar. In der Kneipe „Kongo“ helfen sich die Gäste mit alkoholischen Getränken über die wirtschaftliche Misere hinweg und denken an bessere Zeiten. Die Kirche verfällt. Immerhin sind die Denkmäler aus deutscher Zeit erhalten und verraten auch dem unwissenden Besucher Details der interessanten Ge­schichte – wie die Dankestafel an der Schule, die nicht nur die Spender aus dem Jahre 1884 aufführt, sondern nebenbei verdeutlicht, dass Bärringen natürlich einst zu Österreich-Ungarn gehörte.

In Platten [Horni Platna] sitzen arbeitslose Einwohner vor ihren ruinösen, aber immer noch sehenswerten Häusern und blicken auf die staubige Straße. Der Zinnbergbau ist lange vergangen, eine andere Industrie ist nicht gekommen. Tourismus wäre vielleicht eine Perspektive für die Menschen hier; die Grenze nach Deutschland liegt nur wenige Kilometer entfernt. Zwar gibt es inzwischen ein neues Hotel, zwar kommen auch ein paar Wintersportler, um über die Pisten des Erzgebirges zu laufen, doch leben kann von dem mageren Touristenstrom hier kaum jemand.

Dabei hat Platten, eine Planstadt aus dem 16. Jahrhundert, Ungewöhnliches zu bieten. Am Berg sind vor vielen Jahren alte Stollen eingestürzt und haben tiefe Furchen im Fels hinterlassen. Sie sind so tief und schmal, dass hier hinein keine Sonne vordringt, so dass selbst im heißesten Sommer, selbst bei über 30 Grad im Schatten ganz tief unten der Schnee des Winters liegen bleibt.

Deutschland und Tschechien planen, das Erzgebirge zum Weltkulturerbe zu erheben. An ausgewählten Orten soll die jahrhundertealte Bergbaugeschichte nachgezeichnet werden. Auch Platten und Joachimsthal sollen Standorte der „Montanen Kulturlandschaft Erzgebirge“ werden, daneben auch Gottesgab, Abertham, Graupen und Kupferberg. Doch in diesen Orten liegen Planung und Realität noch weit auseinander. Sollen die Weltkulturerbe-Standorte nur Ruinen bieten? Doch für den, der authentische Geschichte entdecken will, bietet das böhmische Erzgebirge schon heute überraschende Einblicke in eine große und schreckliche Geschichte, dazu bedarf es keinen Unesco-Status. Man muss sie einfach nur wahrnehmen – und langsam damit beginnen, die vergessenen Orte zurückzuführen in die Mitte Europas. Nils Aschenbeck


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