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02.03.13 / Der Irak im Sog des Syrien-Kriegs / Machtkämpfe zwischen Sunniten und Schiiten spalten das Land

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-13 vom 02. März 2013

Der Irak im Sog des Syrien-Kriegs
Machtkämpfe zwischen Sunniten und Schiiten spalten das Land

Die von den USA aufgebaute fragile Machtteilung zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden, die einzige Chance für einen Fortbestand des Staates Irak, droht infolge der Zuspitzung des syrischen Bürgerkrieges zu scheitern.

Amerika hinterlasse ein „souveränes, selbstständiges und stabiles Land“ hatte US-Präsident Barack Obama beim Abzug seiner letzten Truppen aus dem Irak im Dezember 2011 verkündet. Bereits kurz nach dem Ende dieses Abzugs waren im Irak alte Spannungen zwischen den Religionsgruppen offen ausgebrochen. Auslöser der Spannungen waren zunächst ein Haftbefehl und später ein Todesurteil in Abwesenheit wegen Terrorverdachts gegen den sunnitischen Vizepräsidenten Tarik al-Haschemi, der sich durch Flucht der irakischen Justiz entzog. Al-Haschemi, der ranghöchste sunnitische Politiker im Irak, war ein scharfer Kritiker und Rivale des schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki. Al-Haschemi soll Morde und Anschläge auf Regierungsvertreter sowie auf den Regierungschef befohlen haben.

Noch bis zum vergangenen Herbst blieb jedoch das von den Amerikanern aufgebaute fragile Gleichgewicht zwischen den Religionsgemeinschaften sowie Ethnien des Irak halbwegs intakt. Die Zahl der Anschläge ging zurück, die Ölexporte stiegen. Die Konflikte zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden im Land waren zwar nicht gelöst, aber eingedämmt.

Ende 2012 brach jedoch der Streit zwischen der seit fast zehn Jahren autonomen und wirtschaftlich florierenden kurdischen Region im Norden des Irak und der Regierung in Bagdad wieder auf: Premier al-Maliki und der Präsident der kurdischen Gebiete, Masud Barsani, mobilisierten ihre Truppen. Es kam zu Kämpfen zwischen irakischen Soldaten und Kurden-Milizen. Nur eine Drohung von US-Vizepräsident Joe Biden an den irakischen Premierminister, dass Gefechte eine rote Linie seien, die eine US-Militärintervention auslösen würden, konnte den Konflikt fürs Erste entspannen. Wie lange die Ruhe jetzt andauert, bleibt fraglich. Eine Einigung über die umstrittenen Grenzgebiete ist nicht in Sicht.

Seit mehreren Jahren versucht Ministerpräsident al-Maliki, die arabische Bevölkerung im „nationalen“ Widerstand gegen die Kurden hinter sich zu vereinen. Aber auch innerhalb des arabischen Lagers steigen die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten, vor allem seit dem Todesurteil gegen Haschemi. Die Minderheit der Sunniten fühlt sich gegenüber der schiitisch-dominierten Regierung immer mehr diskriminiert. Sunnitische Rebellen, darunter Al-Kaida im Irak, verüben regelmäßig Anschläge auf mehrheitlich von Schiiten bewohnte Orte, die mit Gegenterror antworten. Zehntausende Sunniten demonstrieren seit Monaten für mehr Rechte.

Die jüngsten Attentate von Al-Kaida und die Massenproteste von Sunniten sind auch eine Folge des syrischen Bürgerkriegs. Mit dem Sturz Saddam Husseins war vor zehn Jahren die sunnitische Herrschaftselite im Irak entmachtet worden, die schiitische Mehrheit kam durch Wahlen an die Macht. Wenn der Assad-Clan in Syrien stürzt, käme dort ein umgekehrtes Szenario zum Zuge. Der Herrschaft der schiitischen Alawiten würde eine Machtergreifung islamistischer Sunniten folgen, viele davon, wie die berüchtigte Al-Nusra-Front, stammen aus dem Irak. Dies würde auch die Stellung der schiitischen Mehrheit im Irak schwächen. Premier al-Maliki bliebe dann kaum eine andere Möglichkeit, als sich der angehenden schiitischen Führungsmacht der Region, dem Iran, anzubiedern. Die gemeinsame schiitische Religion dürfte diese ungleiche Verbindung zwischen dem Irak und dem Mullahstaat fördern. Staatspräsident Dschalal Talabani, einem Kurden, fiel im irakischen Machtpoker bislang die Rolle des Vermittlers zu. Der 79-jährige erlitt jedoch im Dezember einen Gehirnschlag und wird in einer Klinik in Berlin behandelt. Die Genesung des irakischen Staatspräsidenten Talabani macht nach Angaben seiner Ärzte zwar Fortschritte, wie lange er allerdings noch in Berlin bleibt, ist unklar.

Im März jähren sich zum zehnten Mal der Beginn der US-Invasion und der Sturz Husseins. Im April sollen erstmals Wahlen in den Provinzen stattfinden, für Anfang 2014 sind Parlamentswahlen angesetzt. Unter Führung der USA hatten sich die Volks- und Religionsgruppen des Irak in den vergangenen Jahren auf eine Machtteilung geeinigt. Demnach hat der schiitische Ministerpräsident einen sunnitischen und einen kurdischen Stellvertreter. Dem kurdischen Präsidenten stehen je ein schiitischer und ein sunnitischer Vize zur Seite. Die Sunniten stellen wiederum den Parlamentspräsidenten – mit einem schiitischen und einem kurdischen Stellvertreter. Die Sunniten haben bereits zwei ihrer drei höchsten Posten im Staatsapparat verloren. Diese komplizierte Machtteilung weicht jetzt jedoch immer mehr einer Parteien und Ethnien überschreitenden Unzufriedenheit über die exorbitante Korruption, die marode Infrastruktur, fehlende Jobs, steigende Preise und über die weiterhin instabile Sicherheitslage, unter der alle Volks- und Religionsgruppen leiden.

Die Wirtschaft des Irak ist nach 9,9 Prozent im Jahr 2011 im Jahre 2012 ersten Prognosen zufolge um 11,1 Prozent gewachsen, 2013 sehen die Prognosen ein Wachstum von 13,5 Prozent voraus. Die steigenden Öleinnahmen bieten der irakischen Regierung mittel- und langfristig großen Spielraum für den Auf- und Ausbau der Basisinfrastruktur, wodurch sich für deutsche Unternehmen wichtige Geschäfts- und Kooperationspotenziale ergeben. Verkehrsminister Peter Ramsauer flog deshalb im Februar mit einer Delegation von 50 führenden Repräsentanten der deutschen Wirtschaft nach Bagdad. Gigantische Infrastrukturprojekte sind in Planung, wie der Bau von Bagdads U-Bahn und ein riesiger Staudamm bei Mosul. Auch zehn Jahre nach Kriegsende liegt Iraks Infrastruktur noch völlig am Boden. Stromnetze, Wasserleitungen, Schienen und Straßen müssen erneuert werden. Auch im Wohnungsbau hat das Land Großes vor. Der langfristige Investitionsbedarf im Irak wird von Ramsauers Ministerium auf über 500 Milliarden Euro geschätzt. Nicht die Sicherheit ist heute das größte Hemmnis für ausländische Unternehmen im Irak, sondern die oft undurchschaubaren und quälend langen Entscheidungsprozesse der öffentlichen Hand sowie die Korruption. Bodo Bost


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