18.04.2024

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02.03.13 / Die ostpreussische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-13 vom 02. März 2013

Die ostpreussische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

die Zeit heilt nicht immer alte Wunden, manche reißen immer wieder auf, nach Jahren, nach Jahrzehnten, nach einem halben Jahrhundert. Auch bei der Frau, die als Waltraut Ketturkat vor nunmehr 84 Jahren in der Elchniederung geboren wurde, sind sie nicht vernarbt, immer noch quält sie die Frage, warum sie und ihre Geschwister nicht bei ihren Eltern aufwachsen durften, sondern schon früh in Kinderheime kamen und später adoptiert wurden. Es gibt wohl noch Verwandte, die vielleicht etwas über die Familiengeschichte wissen, aber sie hüllen sich in Schweigen. Das hat das Ehepaar Gudrun und Gerd Fischer aus Bischofswerda veranlasst, sich dieser Schicksalsfrage anzunehmen und sie an uns weiterzuleiten. Herr Fischer bearbeitet für die Kreisgemeinschaft Ortelsburg die Seelenlisten und ist dadurch mit Frau Waltraut, die heute einen anderen Nachnamen trägt, bekannt geworden. Ihr Schicksal hat ihn so bewegt, dass er alle Möglichkeiten nutzen will, um ihr Informationen über ihre Familie zu beschaffen. Und ein – hoffnungsvoller – Weg führt eben über uns. Aus den gut aufgelisteten, informativen Angaben, die Herr Fischer uns übersandt hat, ist ersichtlich, wie intensiv er und seine Frau sich bereits mit dieser Angelegenheit beschäftigt haben, und das erleichtert uns die Weitergabe an unsere Leserinnen und Leser mit der Bitte um Mithilfe. Waltraut Ketturkat wurde am 14. Februar 1929 als Tochter des Bahnbeamten Heinrich Ketturkat, *1902 in Ragnit, und seiner Ehefrau Wilhelmine Skrebat (Skrebbat) in Groß Brittanien, Kreis Elchniederung geboren. Sie hatte noch zwei Geschwister: Eva, *um 1927, und Bruno, *2. Dezember 1931. Großvater Ferdinand Ketturkat war Bahnbeamter. Er und seine Frau Friederike geborene Gurszdat hatten insgesamt zehn Kinder, Heinrich hatte also viele Geschwister. Von seiner Frau Wilhelmine ist bekannt, dass sie einen Bruder Franz und noch mindestens eine Schwester hatte. Im Jahr 1933 wurden alle drei Kinder des Ehepaares in Heime gegeben. Bruno kam in ein Waisenhaus nach Rastenburg, das in der Nähe des Bahnhofs lag, wie Waltraut sich erinnern will. Er soll nach einem kurzen Aufenthalt in einer Familie in ein anderes Heim in Rastenburg gekommen sein, das vermutlich schwer erziehbare Kinder aufnahm. Die Mädchen fanden zuerst in einem Kinderheim in Königsberg Aufnahme, wurden dann in Fürstenwalde und später in Schützendorf, Kreis Ortelsburg getrennt in Pflegefamilien untergebracht. Eva wurde von der Familie Posdziech, Waltraut von der Familie Nikutta aufgenommen. Sie wurde erst als Vierjährige in Fürstenwalde getauft. Aus Schützendorf stammt auch die Mutter von Herrn Fischer, deshalb steht er mit ehemaligen Bewohnern in Verbindung, die Waltraut Ketturkat kennen, aber nichts über deren Kindheit in der Elchniederung wissen. „Wir vermuten, dass die Auflösung der Familie irgendwie in Zusammenhang mit Hitlers Machtergreifung stehen könnte“, schreibt Herr Fischer. Von Heinrich Ketturkat ist bekannt, dass er 1939 in der Schwedenstraße 25 in Tilsit gewohnt hat. Auch Großvater Ferdinand lebte bis zu seinem Tod 1944 in Tilsit, Niederunger Straße 10. Von ihrer leiblichen Mutter hat Waltraut nie etwas gehört. Warum gab das Ehepaar seine drei Kinder fort – oder wurden sie ihnen weggenommen? Das ist die Frage, die Waltraut zeit ihres langen Lebens beschäftigt hat. Ihre ältere Schwester kann sie nicht befragen, Eva verstarb 1952 in Nareythen. Von Bruno fehlt jede Spur. Deshalb die Frage, was mit den Kindern aus den Rastenburger Heimen geschah: Wurden sie vor Kriegsende evakuiert und wohin? Überlebte der Vater Heinrich Ketturkat den Krieg? Wenn sich nur einige Fragen klären ließen und damit ihre frühe Kindheit etwas erhellt würde, wäre Frau Waltraut schon geholfen. Auch dem Ehepaar Fischer wäre zu wünschen, dass ihre Suchhilfe endlich Erfolg hätte. (Gerd Fischer, Maximilian-Kolbe-Straße 6 in 01877 Bischofswerda, Telefon 03594/703855, E-Mail: gudfisch@gmx.de)

Manchmal genügt nur ein kleiner Anstoß, um vergessen geglaubte Familiengeschichte wieder lebendig werden zu lassen, der dann zu intensiven Nachforschungen führt, die Unerwartetes an den Tag bringen. So erging es Frau Ingeborg Karpati aus Köln, die sich mit dem Schicksal ihrer Eltern befassen musste, als ihre Tochter sie bat, die eigene Lebensgeschichte aufzuschreiben. Bisher hatte Frau Karpati die Vergangenheit ihrer Eltern wenig interessiert, zumal die inzwischen Verstorbenen über viele Vorgänge, die vor allem die Flucht betrafen, geschwiegen hatten. Das damals jung verheiratete Ehepaar Meta und Gustav Kalwa stammte aus Allenstein und floh zusammen mit Metas Mutter Frieda Stryjewski aus der Heimat – wann und wie ist nicht bekannt, denn die erste nachweisbare Spur führt nach Wismar. Dorthin hatten sich Anfang Mai 1945 viele Menschen aus den Ostgebieten geflüchtet in der Hoffnung, den russischen Truppen zu entgehen. Tatsächlich hatte ein kanadischer Trupp die Stadt, die sich kampflos ergab, besetzt und stieß nun auf die von Osten kommenden ersten Russen. In diesem Chaos gelang es etwa 300 Flüchtlingen, an Bord des Dampfers „Pallas“, einem Rhein-Küstenschiff der Reederei Neptun, Bremen, zu gelangen, das Verwundete und Vertriebene nach Dänemark bringen sollte. Das Schiff nahm am 3. Mai Kurs auf die Insel Langeland, aber ehe es die Küste erreichte, wurde es im Langeland Belt von der britischen Luftwaffe bombardiert. Die „Pallas“ ging unter und mit ihr ein Teil der Flüchtlinge und Verwundeten. Ingeborgs Eltern und ihre Großmutter überlebten! Über dieses dramatische Ereignis hatten die Eltern kaum etwas berichtet. Meta Kalwa hatte nur einmal ihrer Tochter erzählt, dass sie sich als junge Ehefrau an Bord eines sinkenden Schiffes befunden habe – und sie konnte doch nicht schwimmen! Aber was sich genau hinter diesem Vorgang verbarg, setzte Ingeborg Karpati erst im Alter von 63 Jahren Teil für Teil zusammen. Denn nun wollte sie – auch im Interesse ihrer eigenen Tochter – mehr über die Fluchtgeschichte ihrer Eltern wissen, soweit sie noch nachvollziehbar war. Die heute in Köln wohnende Lehrerin begann zu recherchieren und fuhr zweimal nach Dänemark, um dort den Spuren ihrer Eltern auf deren Weg durch die Internierungslager nachzugehen. Sie fand vor allem auf Langeland in der Archivleiterin Else Wolsgard eine bereitwillige und hilfsbereite Informantin, mit der sie zusammen das Byhistoriske Archiv in Rudkøbing nach Unterlagen durchsuchte und fündig wurde. Das Archiv besitzt vollständige Listen über die gut 900 Flüchtlinge, alles ist dort registriert, was das damalige Lagerleben bestimmte, wie Eigentum, Ordnungsregeln, Verpflegung, Hygiene. Ingeborg Karpati erhielt die gewünschten Kopien wie die eines Attestes vom damaligen Amtsarzt, das ihren Vater betraf. Gustav Kalwa war zuckerkrank und erhielt zusätzlich ein Kilo Haferflocken pro Monat samt einem halben Liter Milch, was sonst kein erwachsener Lagerinsasse bekam. Neu war für Ingeborg auch, dass ihr Vater als Sanitätshelfer im Lager von Lohals gearbeitet hatte, weil er sich als deutscher Reichsbahner auf diesem Gebiet qualifiziert hatte. Nach einem ersten Winter in Rudkøbing verlebten die Flüchtlinge ihre längste Lagerzeit auf Langeland in einer ehemaligen Sommerpension in Lohals. Ihre letzte Station war dann das Lager Grove-Gedhus in Jütland, das Gustav Kalwa 1946 als Erster verließ. Seine Frau und seine Schwiegermutter kehrten erst ein Jahr später nach Deutschland heim. Um dieses bei Karup gelegene Lager Grove-Gedhus geht es auch bei der Suchfrage, mit der sich Frau Karpati an unsere Ostpreußische Familie wendet. Sie fand ein Abschiedsgedicht, das die Stubengemeinschaft der Baracke 7 für ihren Vater geschrieben hatte, als er das Lager verließ. Ihre Namen sind noch gut leserlich: Antonie Sommer – Kohnert – Klempert – Licht – Leßheim (?) - Familie Jacoby und Rück, Familie Hesse. Es spricht von der Hoffnung der Internierten auf ein besseres Leben in der Geborgenheit von Heim und Heimat. „Lebt noch jemand von den darauf Verzeichneten oder ihren Familien?“, fragt Ingeborg Karpati. Gibt es weitere Zeitzeugen, die vielleicht ihre Eltern oder Großmutter kannten, aus den genannten Lagern oder aus Allenstein, wo die Familie am Hohenzollerndamm und später Wagnerstraße 17 wohnte? Oder Vertriebene, die dem Ehepaar auf dem Fluchtweg bis Wismar begegnet sind? Besonders erfreut wäre Frau Karpati, wenn sich ebenfalls Gerettete von der „Passat“ bei ihr melden würden. (Ingeborg Karpati, Am Braunsacker 38 in 50765 Köln, Telefon 0221/9465412, E-Mail: Ingeborg.karpati@koeln.de)

Für unsern Landsmann Bernhard Ax aus Halle-Neustadt ist unsere Ostpreußische Familie der Ankerplatz für alle Landsleute, ob aus dem Samland oder aus Masuren, aus dem Ermland oder dem alten Grenzgebiet der „Großen Wildnis“, aus dem auch seine eigene Familie stammt. „In einer Welt, in der die Vertriebenen und Flüchtlinge des deutschen Ostens immer weniger beachtet und ihre Probleme gerne unter den Tisch gekehrt werden, ist es umso wichtiger, dass die Ostpreußische Familie und damit Ostpreußen weiterlebt. Wir alle appellieren an Sie: Machen Sie weiter wie bisher, wir brauchen Sie!“, fordert Herr Ax, und lädt mir damit ein ganz schönes Pungelchen auf die Schultern. Aber ich kann es ja weitergeben an unsere Leserinnen und Leser, die auch im Falle von Herrn Ax mitgeholfen haben, wie er berichtet: „Ich bedanke mich auch für so manche Veröffentlichung meiner Fragen, im Ergebnis erhielt ich durch verschiedene Landsleute Hinweise und Beweise landsmannschaftlicher Solidarität, die mich sehr erfreuten. Besonders hervorheben möchte ich Frau Ruth Griegoleit aus Geseke, früher wohnhaft Grenzhöhe, Kreis Schloßberg. Sie hatte meine Mutter noch persönlich gekannt und mir einige Fotos geschickt.“ Durch eine so direkte Verbindung wird die Vergangenheit besonders transparent und dafür ist Herr Ax dankbar. Aber auch Frau Erna Preuß aus Hamburg möchte er hiermit einen großen Dank abstatten, denn die Königsbergerin überraschte ihn mit einem Angebot, das ihn sehr erfreute: Sie wollte ihm, der nur eine sehr kleine Rente erhält, eine Heimatreise ermöglichen. Die 93-Jährige kann ob ihres Alters nicht mehr reisen, sie lebt allein in ihrer kleinen Wohnung in Hamburg, ist die einzige Überlebende ihrer Königsberger Familie. Und auch Herr Ax verzichtete nach langem Überlegen aus gesundheitlichen Gründen auf das großzügige Angebot, obgleich es wohl seine „letzte und wohl einzige Chance“ war, noch einmal die Heimat zu sehen. Zumal er von Frau Griegoleit erfuhr, dass von Auertal und Grenzhöhe nur noch ein Haus steht, alle andere Gebäude sind abgebrannt oder wurden zerstört, sogar die Pflastersteine wurden herausgerissen, die Gräber auf dem Friedhof verwüstet. Ich möchte mich jedenfalls dem Dank von Herrn Ax an Frau Preuß anschließen, und sie sehr herzlich grüßen. Die von ihr bezeugte Hilfsbereitschaft ist eben „echt Ostpreußische Familie“, und darauf können wir stolz sein.

Eure Ruth Geede


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