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09.03.13 / Wer zieht den Schwarzen Peter? / Vier Jahre nach dem Einsturz des Stadtarchivs in Köln harrt die Schuldfrage noch immer der Klärung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-13 vom 09. März 2013

Wer zieht den Schwarzen Peter?
Vier Jahre nach dem Einsturz des Stadtarchivs in Köln harrt die Schuldfrage noch immer der Klärung

Am 3. März 2009, um 13.58 Uhr, stürzte das Archiv der Stadt Köln in der Severinstraße ein. Wenn auch die Frage der Schuld noch ungeklärt ist, so weiß man vier Jahre nach dem Unglück doch wenigstens Näheres über die Größe des angerichteten Schadens und die Höhe der verursachten Kosten.

Das größte Kommunalarchiv Deutschlands mit unschätzbar wertvollem Archivgut ging im wahrsten Sinne des Wortes „den Bach hinunter“, verschwand im Grundwasser eines riesigen Kraterlochs. Wertvolle Dokumente aus über 1000 Jahren Stadtgeschichte, unter anderem Urkunden, Siegel, Noten und Privatarchive, lagen zwischen Gebäudeschutt bis in einer Tiefe von rund 30 Metern. Was nicht versank ragte als Schuttberg acht Meter in die Höhe.

Um aus der Tiefe zu retten, was noch zu retten war, wurde eine „Bergungsbaugrube“ für 13 Millionen Euro errichtet. Taucher der Feuerwehr und andere Spezialkräfte holten bis August 2011 Archivreste aus der Tiefe. Nach zweieinhalb Jahren erklärte die Stadt Köln dann die Bergung offiziell für beendet. Von den verschütteten 30 Regalkilometern konnten rund 95 Prozent geborgen werden. „Die restlichen fünf Prozent“, so Inge Schürmann vom Presseamt der Stadt Köln, „gelten als verloren.“ Vom geretteten Archivgut sind 35 Prozent „schwerst beschädigt“, 50 Prozent weisen schwere und mittlere Schäden auf, 15 Prozent sind leicht beschädigt.

Aber wohin mit den geretteten Archivalien? Wohin mit knapp 29 Regalkilometern Material? Das teilweise durchnässte, zerrissene, verschmutzte und zerbrochene Archivgut wurde bundesweit auf 20 „Asylarchive“, von Schleswig bis Freiburg im Breisgau, verteilt. Dort versuchen nun Restauratoren und andere Fachleute, die Materialien zu identifizieren und wiederherzustellen – soweit das überhaupt noch möglich ist. Kritiker Reinhard Matz bemerkt bissig: „Das Historische Archiv der Stadt Köln ist auf unbestimmte Zeit nur sehr eingeschränkt zu nutzen. Drei Jahre nach dem Einsturz ist erst zirka ein Prozent aller Bestände wieder einzusehen.“ In der Tat wird sich die Wiederherstellung bis 2040 hinziehen. Die Stadt suchte und sucht immer noch dringend ausgebildete Restauratoren.

Die Mitarbeiter des Stadtarchivs zogen – bis zur Fertigstellung eines Neubaus – in ein nahe gelegenes Gebäude. 2017 soll dann das neue Stadtarchivgebäude in der Nähe der Universität eingeweiht werden. Fast schon beschwörend äußerte sich die Archivdirektorin Bettina Schmidt-Czaia bei der Neubau-Planung: „Wir werden alles tun, um eine weitere Katastrophe zu verhindern. Beim Neubau werden daher keine Kompromisse im Bezug auf Sicherheitsbestimmungen geschlossen.“ Diese Kompromisslosigkeit schlägt sich natürlich in den Kosten für den Neubau nieder: Von rund 100 Millionen Euro ist die Rede.

Ein im Jahr 2010 neu geschaffenes Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum (RDZ) im Stadtteil Köln-Porz erfasst, digitalisiert und archiviert alles aus den „Asylarchiven“ zurückkommende Archivgut.

Inge Schürmann vom Presseamt der Stadt Köln: „Die Kosten für die Restaurierung werden auf 300 bis 400 Millionen Euro geschätzt.“

Die Kosten galoppieren davon: 100 Millionen für das neue Archivgebäude, fast 400 Millionen für die Restaurierung des Archivmaterials, Schadenersatzzahlungen für Betroffene und die „ruhende“ Stadtbahnstrecke verursachen enorme Kosten. Der Einsturz wird mit Sicherheit die Milliardensumme übersteigen. Fast schon „Peanuts“: Das dem Stadtarchiv gegenüberliegende Friedrich-Wilhelm-Gymnasium galt als einsturzgefährdet und musste für rund zweieinhalb Jahre evakuiert werden. Kosten allein der Auslagerung: 2,2 Millionen Euro. Für 26 Millionen Euro wurden die Gebäude des Gymnasiums komplett saniert. Schüler und Lehrer sind mittlerweile in ihre „alte“ Schule zurückgekehrt.

Nach der Bergung der Archivreste begann die Suche nach den Ursachen des Einsturzes. Das Alter des Archivgebäudes – Baujahr 1971 – konnte nicht der Grund sein. Schnell und eindeutig wurde der unter dem Archiv vorangetriebene U-Bahn-Tunnelbau der sogenannten „Nord-Süd-Stadtbahn“ ausgemacht. Diese rund vier Kilometer lange unterirdische Strecke soll die bestehende U-Bahn-Haltestelle Dom/Hauptbahnhof mit den südlichen Kölner Stadtteilen verbinden. Zeitgewinn der U-Bahn gegenüber den derzeit auf der Strecke fahrenden Bussen: acht Minuten.

Aktionskünstler Reinhard Matz: „Für acht Minuten künftiger Zeit­ersparnis wurden Menschenleben, Nachbarschaften und über tausend Jahre Geschichtsschreibung riskiert, beschädigt und verloren.“

Auch die Kunsthistorikerin und ehemalige Kölner Stadtkonservatorin Hiltrud Kier meint, „dass der Bau dieser U-Bahn-Linie absolut unnötig war und die dadurch in Nord-Süd-Richtung aufgebrochene und unterhöhlte Altstadt von Köln insgesamt schwer beeinträchtigt hat. Dies betrifft insbesondere die wichtigen historischen Bauten: das Rathaus, die Kirchen St. Maria im Kapitol, St. Georg, St. Johann Baptist und St. Severin.“

Das sieht die Pressesprecherin der Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) Gudrun Meyer ganz anders: „Die acht Minuten Zeitersparnis waren nicht ausschlaggebend für die beschlossene Streckenführung der Nord-Süd-Stadtbahn. Diese sollte vielmehr eine bereits bestehende, völlig überlastete U-Bahn-Strecke entlasten.“

Die angestrebte Entlastung ist durch den Einsturz des Stadtarchivs allerdings erst mal auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Verschiedene Prognosen gehen zurzeit davon aus, dass die „Nord-Süd-Stadtbahn“ wohl erst zwischen 2018 und 2023 ihre Fahrt aufnehmen kann. Denn zunächst muss die Schuldfrage geklärt werden.

Klar ist, dass bei der Schadensumme von über einer Milliarde Euro keiner der am U-Bahn-Bau Beteiligten den Schwarzen Peter ziehen will. Bauherr (KVB) und Bauunternehmen (Arbeitsgemeinschaft der Bauunternehmen für die Nord-Süd-U-Bahn, Arge) sehen die Schuld für die Katastrophe jeweils beim anderen. Die KVB wirft der Arge Schlamperei beim Bau der unterirdischen Mauern der U-Bahn-Röhre vor. Die Arge hält dem Bauherrn mangelhafte Bauaufsicht vor. Das Kölner Landgericht hat daher einen Gutachter beauftragt, die bis in 40 Meter Tiefe reichenden Wände zu überprüfen. Dafür muss nun ein „Besichtigungsschacht“ errichtet werden. Der mit fünf mal zwölf Metern dimensionierte Bau soll Ende 2013 fertiggestellt sein und 17 Millionen Euro kosten. Das Gutachten ist für frühestens Juli 2014 eingeplant. Erste Terminverzögerungen gab es bei den Bohrungen für die Pfähle des Besichtigungsschachtes. Die Tertiärschicht im Erdreich widerstand dem Bohrer. „Sicheres Bauen und Beweissicherung gehen vor Termineinhaltung“, sagt KVB-Vorstand Jörn Schwarze.

Derweil laufen die Restaurierungsarbeiten auf Hochtouren. Sieben der 20 Asylarchive haben ihre Arbeiten abgeschlossen und das bearbeitete Material dem Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum (RDZ) in Köln-Porz übergeben.

Die Frage welche Archivalien unwiederbringlich verloren gegangen sind, lässt sich derzeit nicht beantworten, meint Claudia Tiggemann-Klein, Sprecherin des Stadt-Archivs. „Erst wenn alle verschütt gegangenen Archivalien erfasst wurden, wissen wir, was fehlt.“

Der 3. März 2009, der Tag, an dem das Stadt-Archiv Köln einstürzte: „Es war der Tag, an dem unsere Stadt ihr kollektives Gedächtnis verloren zu haben schien. Wir erinnern uns daran, wie unsere Stadt in wenigen Minuten ihre eigenen Erinnerungen in Trümmern liegen sah. Wir sind uns alle bewusst, dass dieser Tag eine Katastrophe für unsere kulturelle Identität war, eine Katastrophe, die weit über die Grenzen der Stadt und unseres Bundeslandes hinausreicht“, so Jürgen Roters, Kölns Oberbürgermeister. Siegfried Schmidtke


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