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09.03.13 / Dem Nachbarn in den Kochtopf geguckt / Gerichte und Geschichten aus dem kulinarischen Hohenhorst

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-13 vom 09. März 2013

Dem Nachbarn in den Kochtopf geguckt
Gerichte und Geschichten aus dem kulinarischen Hohenhorst

Wenn man zu einer „Reise durch das kulinarische Hohenhorst“ aufgefordert wird – wie der Titel eines neuen Kochbuches verheißt –, dann fragt man sich zuerst, wo denn diese Hochburg der Esskultur überhaupt liegt, die eine Reise wert sein soll. Inzwischen ist ja die Zahl dieser lukullischen Tempel aufgrund der die Medien überfluteten Genusswelle so angewachsen, dass man selbst als Autorin einiger Kochbücher den Überblick verlieren kann. Und dann stellt man fest, dass dieses Hohenhorst kein Treffpunkt kulinarisch ambitionierter Prominenz ist, sondern eine an der östlichen Peripherie der Stadt Hamburg gelegene Siedlung, die nach dem Krieg auf der grünen Wiese entstand. Heute zählt Hamburg-Hohenhorst 11500 Bewohner mit einem erfreulich hohen Anteil an Kindern, Jugendlichen und Senioren, ein sehr homogener Stadtteil, wie man aus den vielen gemeinsamen Aktivitäten der Hohenhorster entnehmen kann. In ihnen spiegelt sich auch die Vielzahl der Kulturen jener Bewohner wider, die aus Krisengebieten flüchteten oder aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Auch wenn der Exodus schon mehr als 60 Jahre zurück­liegt wie bei der aus Arys stammenden Margot Gehrmann, die als Neunjährige aus ihrer masurischen Heimat fliehen musste und seit 1968 in Hohenhorst lebt. Ihr ist vor allem dieses von Jörg Meyer und Michael Schulze herausgegebene Kochbuch mit seinem bunt zusammen gewürfelten Kulinarium zu verdanken, das neben den in der Region beheimateten auch viele Spezialrezepte aus den Heimatländern der heutigen Hohenhorster enthält. Sie lassen sich gerne in den Kochtopf gucken und geben ihre Lieblingsrezepte gerne weiter. Samt den Geschichten, die sich um die jeweiligen Speisen ranken und die das Buch besonders lesens- und liebenswert machen. „Gerichte und Geschichten“ könnte man es auch betiteln – und zu beiden haben Margot Gehrmann und andere Ostpreußinnen erheblich beigetragen. Einige ihrer Rezepte zeigen deutlich, dass sie noch aus einer Zeit stammen, als die Regale noch nicht so prall gefüllt waren. Da ist die „Schnelle Kartoffelsuppe“, die weder viel Zeit noch Zutaten benötigt, oder die „Sauerkrautsuppe“, wie man sie wahrscheinlich nur in Ostpreußen kannte, allerdings auch auf Sparflamme gekocht. Sie trägt im Buch den Zusatz „Tante Anna“, denn von Margots Patentante stammte dies Rezept. Obgleich deren Schwestern, zu denen auch Frau Gehrmanns Mutter gehörte, einhellig der Meinung waren, dass Anna nicht kochen könne, hatte sie es zur Chefköchin in einem norddeutschen Hotel gebracht. Diese kleinen

Anekdoten bilden die eigentliche Würze, und wenn sie noch mit heimatlichen Ausdrücken wie „Spirgel“ oder „Schmand“ versehen sind, munden sie uns schon beim Lesen. Dem Standardrezept ihrer Familie widmet Margot Gehrmann besonders viel Platz, denn es handelt sich um „Piroggen“, jene Hefeteigtaschen, die man mit allen nur möglichen Resten füllen kann und ob salzig oder süß – immer mundeten. „Warm schmecken Piroggen am besten“, erklärt die Autorin, „falls Gelegenheit war, habe ich sie heimlich vom Blech genascht, und meine Mutter hat dann immer denselben Satz gesagt: Komm’ mir nachher nicht mit Bauchschmerzen!“ Die hat später die ganze Familie bekommen, als ein Schwein geschlachtet wurde und die nur halbgeräucherten Würste schnell verbraucht werden mussten. Da kamen Piroggen mit Mettfüllung so oft auf den Tisch, dass die Familie dann einhellig beschloss: Nie wieder Piroggen!“ Aber daran dürfte sich Frau Gehrmann nicht gehalten haben, denn sie schwärmt ja noch heute von den Hefetaschen. Unter den weiteren Rezepten, die sie dem Buch beisteuert, greife ich noch das für mein Leibgericht heraus: Sauerampfersuppe. Hier allerdings mit Kartoffeln gekocht als „Sauer­ampfertopf“, aber die hart gekochten Eier dürfen nicht fehlen. Die Autorin schickt die Hohenhorster gleich auf die Weide: „Sauerampfer findet man auch hier, so auf der Wiese hinter der Grunewaldstrasse!“ Zum Beweis gibt es ein Foto von dem Sauerampfer in Hohenhorst, aber da ist er schon reichlich ins Kraut geschossen – Sauerampfer muss vor der Blüte gepflückt werden! Bald zeigen sich die sattgrünen, lanzenförmigen Blätter, und wenn die erste Sauerampfersuppe auf den Tisch kommt, dann ist der Frühling da! Es ist ein preiswertes Gericht wie die meisten der hier in dem Buch aufgeführten Rezepte. Man spürt, dass sie aus dem Alltag der Menschen kommen, für den kleinen Geldbeutel bestimmt sind und leicht hergestellt werden können. Und dass man dabei weltweit über den Tellerrand schauen kann, beweisen die Rezepte anderer Hohenhorster: Patat Oorlog, Hop Sing, Kadi Chawal oder Quabuli, eine afghanische Spezialität. An ostpreußischen Rezepten seien noch die für „Königsberger Marzipankartoffeln“, beigesteuert von Christa Schmidt, und „Rote-Bete-Suppe“ erwähnt, das Mira Kreska, Gründerin des Deutschen Vereins „Rosch“ im masurischen Johannisburg und heute noch dort lebend, übermittelt hat. („Reise durch das kulinarische Hohenhorst“, Roßbändiger Verlag J. Meyer, Twistringen/Delme, ISBN 978-3-943975-00-0, gebunden, 196 Seiten, 7,96 Euro.) R.G.


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