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09.03.13 / Von Funktionären geschultert / Eine der ältesten Sportarten der Welt soll aus dem olympischen Programm fliegen. Ein Plädoyer fürs Ringen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-13 vom 09. März 2013

Von Funktionären geschultert
Eine der ältesten Sportarten der Welt soll aus dem olympischen Programm fliegen. Ein Plädoyer fürs Ringen

Schon seit der Antike haben Ringer um Lorbeeren gekämpft, wie Wandreliefs und Verzierungen auf Amphoren beweisen. Darf diese Sportart, die selbst in der olympischen Hymne erwähnt wird, nicht mehr olympisch sein?

Dass Ringen ab 2020 nicht mehr dem Programm der Olympischen Spiele angehören soll, hat weltweit Proteste und Unverständnis hervorgerufen. Das Votum wurde vom 15-köpfigen Exekutivausschuss des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gefasst, dem kein einziger Vertreter einer der großen Ringernationen angehört.

Der Exekutivausschuss des IOC besteht aus dem IOC-Präsidenten, vier Vizepräsidenten und zehn weiteren Mitgliedern. In den deutschen Medien wurde nicht berichtet, dass diesem IOC-Vorstand kein einziger Amerikaner, Russe oder Iraner angehört – also kein Vertreter der beson­ders großen Ringernationen. Auch Japan, die Türkei oder Aserbaidschan, wo Ringen ebenfalls einen hohen Stellenwert hat, sind im IOC-Vorstand nicht vertreten. Dafür ein Vertreter Guatemalas – das Land hat nur einmal eine Medaille gewonnen, im 20-Kilometer-Gehen.

Aufgrund der Zu­sammensetzung des Ausschusses steht schon die Legitimität der Entscheidung gegen das Ringen in­frage. Zwei Deutsche gehören dem Ausschuss an, IOC-Vizepräsident Thomas Bach und Claudia Bökel, beide frühere Fechter. Fechten ist eine Disziplin des Modernen Fünfkampfes, der bei dem Votum des Ausschusses besonders mit Ringen konkurriert haben soll. Im Exekutivausschuss abstimmen durfte auch Juan Antonio Samaranch jr., Vizepräsident des Internationalen Verbandes der Fünfkämpfer. IOC-Vizepräsident Thomas Bach, der im Herbst den Belgier Jacques Rogge im Amt des IOC-Präsidenten beerben will, ist mit Klaus Schormann befreundet, dem Präsidenten des Deutschen Verbandes für Modernen Fünfkampf.

Wer meint, die Abstimmung im IOC-Vorstand sei nach „objektiven Kriterien“ gefällt worden, glaubt auch an den Weihnachtsmann. In Wahrheit geht es um Geld, Macht, Posten und darum, wer am geschicktesten lobbyiert. Das Komitee verwies auf einen Katalog von 39 Kriterien, nach denen es Sportarten bewertet habe. Wenn man sich diese Kriterien – nach denen Ringen schlecht abgeschnitten haben soll – näher anschaut, wird deutlich, dass sie frei interpretierbar sind und nicht einmal in einem technokratischen Sinne zwingende Schlüsse nahelegen.

Vielmehr verstärkt sich noch der Eindruck einer willkürlichen Entscheidung. Wenn es zum Beispiel um TV-Einschaltquoten geht, so hat der amerikanische Schriftsteller und frühere Ringer John Irving in der „New York Times“ dargelegt, dass die Einschaltquoten beim Ringen weltweit durchschnittlich fast doppelt so hoch sind wie beim Modernen Fünfkampf. Geht es um die Zahl der Länder, in denen eine Sportart vertreten ist, so ist folgendes festzustellen: An den Olympischen Spielen in London nahmen nur 26 Länder teil, in denen Moderner Fünfkampf praktiziert wird. Dagegen, so hält Irving fest, haben in London Ringer aus 29 Staaten Medaillen gewonnen und damit allein schon mehr als insgesamt an Nationen am Modernen Fünfkampf teilgenommen hatten. Während in 180 Ländern gerungen wird, ist Moderner Fünfkampf – zu dessen Disziplinen auch Reiten und Schießen gehört – nur in 53 Ländern vertreten. Aus 71 Ländern mussten Ringer harte Qualifikationstests bestehen, um an den Olympischen Spielen teilnehmen zu dürfen. Was die Attraktivität des Ringens für die Jugend betrifft – auch dies ein Kriterium im IOC-Katalog – verweist Irving darauf, dass es allein an den amerikanischen High Schools 270000 Ringer gibt, darunter 8200 Frauen.

Die konkreten Ergebnisse der Bewertung pro Sportart wurden vom IOC nicht publiziert. Schon 2008 hatte die Journalistenvereinigung „Netzwerk Recherche“ stellvertretend für das IOC dessen Vizepräsidenten Bach den Kritik-Preis „Verschlossene Auster“ verliehen. „Das IOC duldet seit vielen Jahren Korruption und Interessenkonflikte bei der Vergabe der Spiele“, hieß es in der Begründung. Und: „Das IOC betreibt mit seiner Informationspolitik das Gegenteil von Fair Play.“ Es verbreite „routiniert Teilwahrheiten“.

Auch nach dem Votum gegen das Ringen ergingen sich IOC-Funktionäre nur in Andeutungen, Ausflüchten und Ablenkungsmanövern. Sportarten müssten sich auch weiterentwickeln, hieß es. Doch wie soll sich Ringen groß „weiterentwickeln“? Auf einer Matte stehen sich zwei Ringkämpfer gegenüber, mit leeren Händen – ganz archaisch. Gewiss kann man über die eine oder andere Kampfregel diskutieren, aber das ist zweitrangig. Wer erhöbe gegenüber den Laufwettbewerben die unsinnige Forderung, sie müssten sich „weiterentwickeln“? Es gibt eine Start- und eine Ziellinie, sonst nichts. Auch hier ist kein Raum für Schnick­schnack. Die Olympische Hymne, komponiert und getextet von Kostis Palamas für die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit 1896, nennt im griechischen Original drei Sportarten namentlich: Laufen, Ringen und Weitwurf.

Ringen darf sich nun auf einer Sitzung des IOC-Komitees im Mai in einem Präsentationswettbewerb mit Baseball/Softball, Wushu, Wakeboarden, Squash, Sportklettern, Karate und Rollersport darum bemühen, vielleicht auch nach 2016 an Olympischen Spielen teilnehmen zu können. Die endgültige Entscheidung soll die IOC-Vollversammlung im September in Buenos Aires fällen. Die Mai-Sitzung findet in St. Petersburg statt, in der Höhle der russischen Ringer-Löwen. Der Ringer-Weltverband hat jetzt den Russen Alexander Karelin, den hünenhaften dreifachen Olympia-Goldmedaillengewinner und neunfachen Weltmeister, in sein Führungsgremium hineingewählt.

Der Präsident des bulgarischen Ringerverbandes, Walentin Jor­danow, hat aus Protest seine Goldmedaille von 1996 an das IOC zurückgeschickt. In einem Offenen Brief des Deutschen Ringerbundes (DRB) an IOC-Vizepräsident Bach heißt es: „Im DRB haben wir mehr als 65000 Mitglieder, 470 Vereine im Ligabetrieb, bei den Finalkämpfen bis zu 10000 begeisterte Fans. Ist dies mangelnde Attraktivität?“ Bei den Olympischen Spielen seien die Ringersportstätten sämtlich ausverkauft gewesen. Deutsche Ringer erkämpften 50 Medaillen auf Olympischen Spielen. Bis heute ist legendär, wie Wilfried Dietrich 1972 mit einem Jahrhundertwurf den amerikanischen 182-Kilo-Riesen Chris Taylor bezwang.

Ringen ist unverändert auch erzieherisch höchst wertvoll: In kaum einer anderen Sportart können Kinder und Jugendliche so gut Körpergefühl, Gewandtheit, Kraftausdauer, Selbstbewusstsein und Achtung vor einem Gegner im Kampf nach festen Regeln erwerben. Michael Leh


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