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16.03.13 / Politik machtlos vor Investoren / Europacity am Berliner Hauptbahnhof: »Mehrwert« siegt über lebendige Stadtgestaltung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-13 vom 16. März 2013

Politik machtlos vor Investoren
Europacity am Berliner Hauptbahnhof: »Mehrwert« siegt über lebendige Stadtgestaltung

Berlins größtes Bauprojekt, die 40 Hektar große Europacity zwischen dem Berliner Hauptbahnhof und der Perleberger Brücke in Moabit bekommt Zuwachs. Zugleich kündigt die Senatsverwaltung für Stadtentwick-lung an, hier künftig selbst zu planen. Ob die neue politische Hoheit über dem Reißbrett nach der Katastrophe des Flughafenprojekts BER einen Gewinn darstellt, bleibt fraglich.

Lange lag die Europacity als Planungsbrache offen dar, erkennbar bestenfalls am Turm der französischen Erdölgesellschaft Total. Am Hauptbahnhof Ankommende blicken auf Straßentunnel und sandige Leere hinterm Bauzaun. Seit Kurzem kommt Leben in die Baustelle. Zugleich beschließt Berlins Senat, das Gelände um die Heidestraße zu einem Gebiet von „außergewöhnlicher stadtpolitischer Bedeutung“ zu ernennen.

Die Landespolitik zieht symbolisch die Planung an sich. Das Gelände ist die größte Zukunftsfläche für Stadtentwicklung der Hauptstadt, gut doppelt so groß wie einst der Potsdamer Platz. Nirgendwo bietet sich Investoren zentrumsnah so viel Raum, entsprechend hoch sind die öffentlichen Erwartungen an die Qualität und Dauerhaftigkeit der Nutzung. Der Bezirk Mitte ist nun mit den neuen Zuständigkeiten einverstanden, legt sogar selbst die Hoheit über das Wohnungsbauen dem Land in die Hände. Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und seine Parteifreunde Raed Saleh (Fraktionschef) und Jan Stöß (Parteichef) hatten jüngst in einem Positionspapier mit einer derartigen Übernahme gedroht. Nun muss die regierende SPD liefern. Gut 20 Millionen Euro Steuergeld pumpt sie über den Senat in Grünanlagen und Straßenumbauten der Europacity. Ob ein lebendiges, attraktives Stadtviertel entsteht, bleibt indes weiter privaten Investoren überlassen, eine Gewichtung, die selten zu ausgewogener Bebauung führt. Berlins Erfahrungen mit Gebieten außergewöhnlicher stadtpolitischer Bedeutung sind entsprechend: Auf dem 2008 in diesem Sinn erweiterten Messegelände siedelte sich der gewünschte Investor BMW erst mit Jahren Verspätung an.

Für erbitterte Dis­kussionen sorgt hingegen bis heute das Meininger-Hotel in der nun im Mittelpunkt der Berliner Investitionshoffnungen stehenden Europacity. Das Zwei-Sterne-Hostel löste eine Debatte um Berlins eintönige Gegenwartsarchitektur aus. Dessen Investor CA-Immo will jetzt nach den drei Hotelbauten Meininger, InterCity und Steigenberger erneut in der Europacity bauen. Das Hostel hatte der Senat noch ohne Auflagen entstehen lassen. Schon 2014 soll der Grundstein für ein rund 22000 Quadratmeter großes Büro- und Geschäftshaus gelegt werden. Der österreichische Konzern wirbt mit bis zu 800 neuen Arbeitsplätzen. Vier Neubauten mit 30 Metern Traufhöhe verdecken in Zukunft den Blick auf das Meininger Hotel. Noch fehlen dem Senat allerdings Investoren, um den anspruchsvollsten Bau des Ensembles nahe dem Bahnhof, den Kubus, zu verwirklichen. Glanzlichter der Gesamtplanung bleiben also in der Schwebe.

Wie begrenzt der politische Einfluss ist, lässt der vom Senat gewünschte Kunstcampus erkennen. Um den Hamburger Bahnhof projektiert der Senat ein Kunstquartier und hofft auf zahlungskräftige Kunstsammler. Dieser „Kunstcampus“ belebt nach Senatsberechnungen schon 2015 das Gelände am Museum für Gegenwart. Einen Gebäudeentwurf haben die Stadtentwickler zusammen mit dem privaten Bauherrn Edel AG gerade preisgekürt, einen Bau, der womöglich in „Betonfertigteilen“, also als Plattenbau entsteht. Prägende „Verdrehungen lassen ein auffallendes Gebäude entstehen, das die Hinterhofruhe zwischen der Rückseite der Galerien und dem Invalidenfriedhof konstruktiv stört“, lobt das von Privat wie Senat besetzte Preisgericht. Ein eher öffentlich genutztes Erdgeschoss trägt drei Büroetagen – finanziell ist es umgekehrt.

Wenn in zehn bis 15 Jahren das Gelände der Europacity für mehrere Milliarden Euro bebaut ist, geben Firmen-, Büro- und Geschäftshäuser den Stil vor. Der Senat kommt nur durch die Privaten voran: Die sagen nun Fahrradstellplätze und diesmal anspruchsvolle Fassaden zu.

Die neue Handschrift der Politik erlahmt darüber. So gehören auch Luxuswohnungen des Unternehmers Klaus Groth, der gerade am Mauerpark investiert und dort angesichts der verlangten Kaltmieten von 11,50 Euro pro Quadratmeter Kritik wegen mangelnder Sozialverträglichkeit erntet, zur Europacity. Sein Kunstcampusbeitrag sind nun Galerieräume mit Deckelmiete.

Wenn Ende des Jahres der Vertrieb darüber liegender Wohnungen startet, bewahrheitet sich für Berlins Politik erneut, dass privat erstellter Wohnraum mit ortsüblichen Mieten an derart prominenter Stelle kaum realisierbar ist. Senatsbaudirektorin Regula Lüscher preist den Kunstcampus dennoch als „wichtigen Baustein für die Europa-City“. Und auch Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) betonte am Montag, die Stadt lasse sich nicht „erpressen“. Stolze Worte, doch der gestalterische Erfolg Berlins hängt wegen der Kassenlage in Wahrheit stärker denn je von Investoren ab. Die erteilen dem Senat eine klare Ansage: Gemischte Quartiere mit günstigen Wohnungen, gern, doch zuerst müsse „Mehrwert abgeschöpft werden“, so CA-Immo. Die Bauwirtschaft hat die Erpressbarkeit des Senats erkannt. Sverre Gutschmidt


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