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16.03.13 / Mit Essig geschrieben / Neben Wagner feiert Bayreuth auch Jean Paul – Der Schriftsteller wurde vor 250 Jahren geboren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-13 vom 16. März 2013

Mit Essig geschrieben
Neben Wagner feiert Bayreuth auch Jean Paul – Der Schriftsteller wurde vor 250 Jahren geboren

Bayreuth befindet sich dieses Jahr im Ausnahmezustand. Die Festspielstadt bereitet sich auf das Wagner-Jahr vor. Fast vergessen wird dabei, dass auch ein anderer ganz Großer hier gewirkt hat: der Schriftsteller Jean Paul.

Die Idee, den 21. März in Bayern zum Feiertag zu machen, wäre ja auch zu schön gewesen. Schüler jubelten schon, nachdem sich dank elektronischer Medien wie ein Lauffeuer die Nachricht verbreitete, am Tag nach Frühlingsanfang sei schulfrei. Dabei hat sich eine Satire-Meldung verselbstständigt, mit der ein Verlag ein neues Buch von Ulrich Hohlbein über Jean Paul mit dem Titel „Ein Chinese in Rom“ bewirbt.

Dabei hätte Jean Paul – nein, weder von Belmondo, noch von Sartre ist hier die Rede, sondern von dem Satiriker Johann Paul Richter, der seine beiden Vornamen französisierte – dabei hätte Jean Paul einen Feiertag verdient gehabt. Denn der vor 250 Jahren geborene Autor des „Titan“, „Siebenkäs“ und der „Flegeljahre“ ist einer der bekanntesten Unbekannten der deutschen Literatur. Sein Name ist ein Begriff, seine Werke sind es weniger.

Hinzu kommt, dass seine Geburts- und Todesstätten – ob gewollt oder ungewollt – zu Pilgerstätten geworden sind. Aber nicht wegen Jean Paul. In Wunsiedel im Fichtelgebirge, wo er am 21. März 1763 geboren wurde, findet alljährlich am Grab einer früheren NS-Größe ein brauner Aufmarsch statt. Und nach Bayreuth, wo Jean Paul am 14. November 1825 gestorben ist, pilgern jeden Sommer die Wagner-Freunde ins Festspielhaus. Das 1841 errichtete Jean-Paul-Denkmal am Platz, der auch den Namen des Autors trägt, fristet dann ein Schattendasein.

Nach Stationen in Leipzig und Weimar lebte er über 20 Jahre in der oberfränkischen Stadt. Und wäre Wagner nicht gekommen, dann wäre Jean Paul der berühmteste Sohn der Stadt. Zu Lebzeiten war er neben Goethe und Schiller einer der am meisten bewunderten Autoren. Dabei saß er irgendwie zwischen den Stühlen. Sein Roman „Hesperus oder 45 Hundposttage“, der ihn 1795 auf Anhieb berühmt machte, erschien im selben Jahr wie „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ des Klassikers Goethe und „William Lovell“ des Romantikers Ludwig Tieck. Für Autoren wie Hölderlin, Kleist oder eben Jean Paul, die man in dieser Zeit weder der einen noch der anderen Epoche voll zuordnen konnte, erfand man später den Begriff „Gegenklassik“.

Obwohl er Goethe als unnahbaren „Eispalast“ bezeichnet hat, so hatte er doch nichts „gegen“ den Dichterfürsten. Seine Werke schlugen da schon eine andere Richtung ein, weg von der klassischen Strenge, hin zur humoristischen Verspieltheit. Seine Bücher fahren ein geradezu operettenhaftes Arsenal auf: Es kommt zu Verwechslungen, Intrigen, Verschwörungen, Duellen, Raubüberfällen. Solche Motive fallen üblicherweise in das Gebiet der Kolportageliteratur, doch Jean Paul sorgt mit seitenlangen Abschweifungen und Fußnoten für satirische Unterhaltung, die ihn noch für viele heutige Kabarettisten zum Vorbild gemacht haben.

Als „satirische Essigfabrik“ bezeichnete er in seinem Roman­erstling „Die unsichtbare Loge“ sein Metier. Dank der Komposita der deutschen Sprache produzierte seine „Fabrik“ unentwegt Wortgerölle wie „Hundposttage“, „Schmollgeister“ oder „Waschmaschine“, lange bevor diese überhaupt erfunden wurde. Schon als Schüler galt er als kauziger Sammler von Literatur. Er notierte alles, was er gelesen hatte. In Foliobänden schrieb er Exzerpte des Gelesenen. Bis 1823 sammelten sich so 110 private Exzerptbände mit bis zu 360 Seiten an. Er schuf sich damit eine kleine Privatbibliothek, die an seine Idylle „Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal“ erinnert. Weil Wutz knapp bei Kasse ist und sich keine Bücher leisten kann, schreibt er sich eben selbst seine kleine „Taschendruckerei“ he­ran. In der Kindheit musste sich Jean Paul auf ähnliche Weise behelfen. Da der Vater früh starb, die Mutter arm war und ein Bruder Selbstmord beging, schrieb er sich ein enzyklopädisches Wissen an, um nicht als Hilfslehrer oder Dorfpfarrer zu enden.

Dank seiner „Essigfabrik“ war er einer der produktivsten deutschen Schriftsteller überhaupt. Die zehnbändige Hanser-Ausgabe sämtlicher veröffentlichter Werke bringt es allein schon auf 10500 Seiten. Rechnet man die Ex­zerptbände, Korres­pondenzen, Notizen und sonstige Aphorismen hinzu, kommt man auf eine vielfache Seitenanzahl. Für Jean Paul war Schreiben ein Genuss. In einer seiner gesammelten Sentenzen heißt es: „Man sollte nicht Zeitvertreib sagen, sondern Zeitgenuss“. Jean-Paul-Freunde sollten sich jedenfalls nicht den Zeitgenuss im neugestalteten Jean-Paul-Museum entgehen lassen, das am 21. März in Bayreuth wiedereröffnet wird. Harald Tews


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