19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
16.03.13 / Nordirische Mauerhelden / Belfast im Wandel: Einst wurde hier die »Titanic« gebaut, dann lähmte der Bürgerkrieg die Stadt, jetzt wird wieder gefeiert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-13 vom 16. März 2013

Nordirische Mauerhelden
Belfast im Wandel: Einst wurde hier die »Titanic« gebaut, dann lähmte der Bürgerkrieg die Stadt, jetzt wird wieder gefeiert

In einigen Stadtteilen von Belfast fühlt man sich an das geteilte Berlin erinnert. Hohe graffitibemalte Mauern trennen in der nordirischen Stadt die Viertel der Katholiken von denen der Protestanten. Obwohl der Konflikt zwischen den Konfessionen hin und wieder aufflammt, poliert die Stadt derzeit ihr altes Image eines florierenden Industriestandtortes auf.

Belfast scheint nicht zur Ruhe zu kommen. Der Streit um die Frage, an wie vielen Tagen im Jahr der britische Union Jack auf dem prachtvollen Rathaus der Stadt wehen dürfe, rief zu Beginn des Jahres wieder einmal Randalierer auf die Straßen. Sie setzten Autos in Brand, warfen mit Steinen und Feuerwerkskörpern. Die Polizei konterte mit Gummigeschossen und Wasserwerfern.

Im Kern geht es wieder einmal um den alten Streit zwischen den Katholiken und Protestanten. Die protestantischen Loyalisten verurteilen, dass die britische Flagge über dem Rathaus von Belfast nur noch an 20 Tagen im Jahr gehisst wird. Früher wehte sie täglich. Den jetzt wirksamen Beschluss hatte die katholisch-nationalistische Sinn-Fein-Partei vorangetrieben. Sie will die Zugehörigkeit Nordirlands zu Großbritannien beenden und strebt die Vereinigung mit der Republik Irland an.

Als die Insel 1921 in die nun von Großbritannien unabhängige Republik Irland und das weiterhin von London aus regierte Nordirland geteilt wurde, zog man die Grenze entlang der nördlichen Grafschaften der Provinz Ulster, so dass dort die Protestanten zwei Drittel der Bevölkerung stellten. Das schloss die Katholiken jahrzehntelang nicht nur von der Macht aus, sondern auch von Jobs, von Sozialwohnungen und dem Wahlrecht bei Lokalwahlen. Die Ungleichheit entlud sich Ende der 60er Jahre in einem Konflikt, der seitdem mehr als 3500 Menschen das Leben kostete.

Aber die Mehrheitsverhältnisse haben sich seither verschoben, von 2001 bis heute ist der zahlenmäßige Mehrheitsüberschuss der Protestanten von 150000 auf 50000 ge­schrumpft. Die Protestanten befürchten den Zerfall des Vereinigten Königreichs, wenn die Katholiken weiter an Einfluss gewinnen. Aber ihre Angst scheint übertrieben. Die meisten Katholiken in der nördlichen Ulster-Provinz empfinden sich heutzutage als nordirisch, sie sind mit dem Friedensprozess zufrieden und streben nicht mehr unbedingt nach der Vereinigung mit der Republik Irland.

Trotzdem sind die hohen Mauern, die in West-Belfast katholische und protestantische Straßenzüge voneinander trennen, nicht überflüssig geworden. Ein kilometerlanges Bauwerk wurde aus EU-Mitteln finanziert, trägt beschönigend den Namen „Peace Line“, Friedenslinie, und trennt das protestantische Wohnviertel entlang der Shankill Road von jenem der katholischen Falls Road. Die Durchfahrten sind mit eisernen Toren gesichert, sie werden bei Anzeichen von Unruhen umgehend geschlossen. Die Trennung zwischen den Konfessionen nimmt teilweise absurde Formen an, so wie auf dem Friedhof von Belfast, wo eine stark gebaute unterirdische Mauer aus dicken Feldsteinen sogar die Toten in ihren Gräbern voneinander trennt.

Die Friedenslinie ist wie einst die Berliner Mauer mit Graffiti besprüht, teilweise auch mit dauerhaften professionellen Kunstwerken, die beispielsweise mit Zitaten aus Reden des Dalai Lama zum Frieden mahnen.

Für jeden Belfast-Besucher unübersehbar werden die Gegensätze in den großen Wandgemälden, den sogenannten „Murals“ mit ihren propagandistischen Aussagen, die sich plakativ über komplette Giebelwände erstrecken. Es sind überwiegend martialische Darstellungen, die Kampfbereitschaft signalisieren, die dargestellten Waffen sind eindeutig Militärgewehre und ihre vermummten Träger lassen keinen Zweifel daran, bis zu welchem Grad sie die Auseinandersetzungen eskalieren lassen wollen. An anderen Stellen demonstrieren Wandbilder loyalistische Gesinnung und die Verbundenheit mit Großbritannien.

Dann wieder sind ganze Hausgiebel dem Gedenken an Männer gewidmet, die bei terroristischen Attentaten getötet oder auf andere Weise Opfer des politischen Kampfes wurden. So wie Bobby Sands, der Dichter, politische Redner, Revolutionär und IRA-Freiwillige, der 1981 während der Haft an den Folgen eines Hungerstreiks starb. An ihn erinnert ein Bild über eine gesamte Giebelwand. Die „Murals“ sind eindeutig provokativ und eigentlich auch illegal.

Aber sie werden respektiert, nirgendwo sind sie von Graffiti übersprüht, ganze Nachbarschaften unterstützen sich bei der Erstellung oder dem Erhalt. Selten nur sieht man abblätternde oder verblassende Farben, was zeigt, wie lebendig diese Gemälde für die Anwohner sind.

Die Bilder spiegeln die verschiedenen Dimensionen des nordirischen Konflikts wider. Da gibt es einerseits die politischen und sozialen Ansprüche und Forderungen der katholisch-republikanischen Bevölkerungsminderheit, die immer noch um Gleichberechtigung kämpft, auf der anderen Seite die Parolen der loyalistischen, das heißt englandtreuen protestantischen Bevölkerungsmehrheit. Sie verteidigt ihre traditionelle, jahrhundertalte Vormachtstellung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Seit einigen Jahren tauchen nun neue Motive auf. Sie zeigen die „Titanic“, die 1912 während ihrer Jungfernfahrt einen Eisberg rammte, unterging und 1500 Menschen mit in die Tiefe riss. Das wohl berühmteste Schiff der Geschichte wurde auf der Werft Harland & Wolff in Belfast gebaut. Den 100. Jahrestag ihrer Ablieferung feierten die Menschen in Belfast mit einem Festival. Auf die Frage, ob ein Fest angesichts des Todes von so vielen Menschen angemessen sei, kommt meist die Antwort: „Als die ‚Titanic‘ Belfast verließ, war sie o.k.“

Belfast lag zu jener Zeit als Industriestandort an der Weltspitze und zählte zu den Orten mit den innovativsten Ingenieurleistungen. So war es kein Zufall, dass die „Titanic“ als seinerzeit größtes Schiff der Welt auf den Helgen von Harland & Wolff entstand. Seit dem „Titanic“-Jahrestag nutzt die Stadt Belfast die Berühmtheit des Schiffes, um ihr Image zu verbessern. In das neue Titanic-Center kamen schon 700000 Besucher, bis Ostern will man die dreiviertel Million erreichen. Werbung dafür machen auch die „Murals“, die eine florierende Industrie zeigen, in der buchstäblich die Schornsteine rauchen. Erfolgreiche Zeiten, an die das moderne Belfast wieder anknüpfen möchte, ohne das langjährige Bild von der hässlichen Industrie- und Arbeiterstadt wieder aufkommen zu lassen.

Nachdem die jahrelangen Unruhen die Stadt gelähmt hatten, wird nun wieder in die Infrastruktur investiert. Dafür ist der Bereich um den Victoria Square mit seinem modernen Einkaufs­zentrum und den unterschiedlichen Läden und Boutiquen ein gutes Beispiel. Es könnte in jeder Metropole der Welt stehen. Doch der Kontakt zu den irischen Traditionen ging nicht verloren. Gleich auf der anderen Straßenseite ist der irische Pub „Bittles Bar“ mit einer aus Gemälden, Fotos und Souvenirs angehäuften Dekoration. Es ist die Art von Pubs, in die abends Iren kommen, ein Musikinstrument unter dem Arm tragen und spontan anfangen zu musizieren. Eigel Wiese


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren