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16.03.13 / Beeindruckendes Bindeglied / Feinfühliger historischer Reisebegleiter über das Memelland

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-13 vom 16. März 2013

Beeindruckendes Bindeglied
Feinfühliger historischer Reisebegleiter über das Memelland

Bis zum Jahr 1919 war der nördlichste Punkt Preußens der kleine Ort Nimmersatt. Dort gab es eine Gaststätte „Immersatt“, so dass man in der Schule lernte: „Nimmersatt und Immersatt, wo das Deutsche Reich ein Ende hat.“ Nimmersatt war wie das ganze Memelland mit dem Zentrum Memel [heute Klaipeda] seit der frühen Neuzeit Teil des anfangs dem mächtigen König von Litauen tributpflichtigen Herzogtums Preußen, gehörte dann als Teil Ostpreußens zum preußischen Staat, wurde 1920 von Deutschland getrennt, kam 1923 zu Litauen, 1939 auf Druck Hitlers wieder zu Deutschland, wurde 1945 Teil der sowjetisch-litauischen SSR und ist heute westlichster Teil des zur EU gehörenden Litauens.

Die kurze Aufzählung zeigt, dass das kleine Land, mit seinen 2400 Quadratkilometern kleiner als das Saarland, gleichwohl ein Spielball der Mächtigen war, kreuzten sich doch hier über die Jahrhunderte die Interessen von Deutschen, Polen, Litauern und Russen.

Der in Berlin lebende Autor Hermann Pölking hat jetzt diesem einstigen deutschen Grenzland ein sehr informatives Buch gewidmet. Wohl in Abgrenzung zu seinem im Vorjahr erschienenen, vielfach gelobten Ostpreußen-Buch nennt er es einen „historischen Reiseführer“. Das stimmt insofern, als Pölking alle wichtigen Orte wie Memel, Heydekrug, Schmalleningken, Nidden (mit Thomas-Mann-Haus) ausführlich – und mit Blick auf die touristische Nutzung mit genauer litauischer Namensgebung – beschreibt. Aber letztlich ist es doch eine geografische und historische Darstellung, die nicht nur durch die Fülle der ausgewerteten Quellen besticht, sondern auch durch die vielen Abbildungen, die den Zauber dieses schönen Landes für den Leser unmittelbar lebendig werden lassen.

Das bis ins 20. Jahrhundert agrarisch geprägte Land, das mit seinen endlosen Feldern, Wäldern und Stränden schon früh zivilisationsmüde Großstädter und Künstler faszinierte, war eigentlich nur der nordöstlichste Teil Ostpreußens und damit, staatlich gesehen, preußisches, ab 1871 deutsches Land. Und doch hatte es eine Besonderheit, denn während die Bevölkerung in den Städten und größeren Ansiedlungen Deutsch sprach, sprachen viele Memelländer auf dem Land Litauisch oder Kurisch, fühlten sich weniger als Deutsche, sondern als etwas Eigenes, auch wenn die Zugehörigkeit zu Preußen lange nicht infrage gestellt wurde.

Für nationalbewusste Litauer, die schon im Zarenreich ein eigenes „Großlitauen“ anstrebten, war das Memelland „Kleinlitauen“. 1920 musste Deutschland nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages das Memelland abgeben; es kam im Auftrag des Völkerbundes unter französische Verwaltung; 1923 besetzte litauisches Militär die Stadt Memel und andere Zentren, zwei Jahre später wurde die Region in der sogenannten Memelkonvention dem litauischen Staat zugesprochen, allerdings unter Wahrung wichtiger Autonomierechte für die deutsche Minderheit. Auf Druck Hitlers musste Litauen das Land im März 1939 an das Deutsche Reich zurückgeben; die große Flucht 1945 vor der Roten Armee beendete die deutsche Geschichte des Memellandes.

Pölking erzählt die teils dramatische, dann wieder lange Zeit in ruhigen Bahnen verlaufende Geschichte des Landes anhand vieler persönlicher Zeugnisse, deren Fülle erstaunt. Das ist auch die hingebungsvolle Arbeit der 1948 in Hamburg gegründeten „Arbeitsgemeinschaft der Memelländer“, die auch Mitglied der Landsmannschaft Ostpreußen ist. Deren Archivarbeit samt Quellensammlungen erlaubt heute diese facettenreiche Darstellung. Auffallend ist, wie friedlich über Jahrhunderte die verschiedenen Nationalitäten (wenn man sie denn wegen ihrer Sprachen so nennen will) zusammengelebt haben; es war das NS-Regime, das die Menschen entzweite. Heute ist davon, wie der wachsende Touristenstrom beweist, nichts mehr zu spüren.

Pölking beschließt sein Buch mit einem anrührenden Abschnitt über den in Tilsit geborenen und im Memelland groß gewordenen Dichter Johannes Bobrowski (1917–1965), der, erstaunlich genug, als in der DDR lebender Autor dieses Grenzland in all seinen Arbeiten thematisierte und für Toleranz, Verständnis und gute Nachbarschaft warb. Nach der Lektüre dieses Buches möchte man glauben, dass das Memelland, so klein und abseits gelegen es ist, noch immer ein Bindeglied zwischen Deutschland und Litauen sein kann. Dirk Klose

Hermann Pölking: „Das Memelland. Wo Deutschland einst zu Ende war. Ein historischer Reisebegleiter“, be.bra Verlag, Berlin 2013, 430 Seiten, 24,95 Euro


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