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30.03.13 / Der Staat hört mit / Telefon- und Postüberwachung untersucht – Schockierende Ergebnisse

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-13 vom 30. März 2013

Der Staat hört mit
Telefon- und Postüberwachung untersucht – Schockierende Ergebnisse

Was, bitte schön, ist der Unterschied zwischen einer Diktatur und einer Demokratie? Eine bemerkenswerte Antwort auf diese Frage liefert Josef Foschepoth, seines Zeichens Professor für Zeitgeschichte an der Universität Freiburg, der sich als erster Historiker überhaupt der Aufgabe unterzogen hat, Art und Ausmaß der Post- und Telefonüberwachung in der Bundesrepublik und der DDR zwischen 1949 und 1989 zu erforschen: Die Diktatur in Mitteldeutschland bespitzelte ihre Bürger trotz der verfassungsmäßigen Garantie des Post- und Fernmeldegeheimnisses 40 Jahre lang, während die bundesdeutsche Demokratie mittlerweile auf 54 Jahre kommt, wobei sie freilich zu ihrer Entschuldigung vorbringen kann, dass sie 1968 zumindest das G-10-Gesetz verabschiedete, dessen Gummiparagrafen den entsprechenden Grundgesetzartikel de facto außer Kraft setzen. So ermöglicht das Gesetz die Überwachung eines jeden Bundesbürgers auch ohne konkreten Tatverdacht, wobei den Betroffenen zugleich der Rechtsweg versperrt bleibt – ein skandalöses Unding! Dennoch freilich nickte das Bundesverfassungsgericht dieses juristische Machwerk der seinerzeitigen Großen Koalition 1970 in einer der umstrittensten Entscheidungen seiner Geschichte ab.

Die „Erfolge“ der bundesdeutschen Überwachungspraxis können sich sehen lassen: Wie Foschepoth anhand bisher streng geheim gehaltener, aber nun erstmals mit einer Sondergenehmigung einsehbarer Unterlagen der Bundesregierung herausfand, existierten 25 Postüberwachungsstellen in 20 Städten der Bundesrepublik, während es die DDR-Diktatur auf 30 solcher Einrichtungen brachte. In den letzteren wurden pro Jahr um die sechs Millionen Sendungen von Stasi-Mitarbeitern geöffnet und „ausgewertet“. In der benachbarten Demokratie hingegen war dieses Geschäft zunächst vorrangig eine Domäne von Mitarbeitern der westalliierten Nachrichtendienste. So filzten allein die Amerikaner fünf bis sechs Millionen Postsendungen im Jahr, wobei die drei bundesdeutschen Geheimdienste aber Zuarbeitet leisteten. Ab 1968 arbeitete der Bundesnachrichtendienst (BND) dann auch verstärkt auf eigene Rechnung und kontrollierte weitere 1,6 Millionen Sendungen pro Jahr. Insgesamt wurden im belegten Zeitraum zwischen 1951 und 1972 rund 115 Millionen Postsendungen aus dem westdeutschen Postverkehr herausgenommen und geöffnet, darunter auch Binnenpost. Und 90 Millionen Sendungen davon landeten „aus Sicherheitsgründen“ im Reißwolf.

Ähnlich erschreckend sind die Zahlen bei der Telefonüberwachung: Bereits in den 50er Jahren hörten die West-Alliierten und ihre bundesdeutschen Handlanger etwa fünf Millionen Telefonate pro Jahr ab. Dahingegen brachte es das technisch eher prekär ausgestattete Ministerium für Staatssicherheit der DDR selbst in den 80er Jahren nur auf rund zwei Millionen überwachte Telefongespräche, von denen aus Personalmangel auch nur knapp 100000 „verschriftlicht“ werden konnten.

Nun ist die DDR zwar Geschichte, aber das G-10-Gesetz der Bundesrepublik nicht. Das heißt, die Verfassungsschutzbehörden, der BND und der Militärische Abschirmdienst dürfen weiter systematisch den Post- und Telefonverkehr im Lande kontrollieren. Das gleiche gilt darüber hinaus für die westalliierten Schlapphüte.

Wie Foschepoth herausfand, schlummern im Archiv des Auswärtigen Amtes drei geheime bilaterale Vereinbarungen aus den Jahren 1968 und 1969, mit denen den USA, Frankreich und Großbritannien auch künftig das Recht zugebilligt wurde, die Bevölkerung der BRD zu bespitzeln. Und diese Vereinbarungen sind heute noch in Kraft, denn sie beziehen sich auf das Nato-Truppenstatut, welches durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag, der dem wiedervereinigten Deutschland angeblich seine Souveränität verlieh, nicht hinfällig wurde. Wer das für unglaublich hält, studiere den 90 Seiten langen Dokumententeil in Foschepoths Buch. Wolfgang Kaufmann

Josef Foschepoth: „Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik“, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, gebunden, 382 Seiten, 34,99 Euro


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