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13.04.13 / Forscher entdecken Prussia-Sammlung wieder / Durch gemeinsame Anstrengungen deutscher, polnischer und litauischer Wissenschaftler entstanden Prussia-Inventarbücher

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-13 vom 13. April 2013

Forscher entdecken Prussia-Sammlung wieder
Durch gemeinsame Anstrengungen deutscher, polnischer und litauischer Wissenschaftler entstanden Prussia-Inventarbücher

Bis zum Zweiten Weltkrieges galt Ostpreußen als eine der archäologisch am besten untersuchten Provinzen des Deutschen Reiches. Mit über 400000 Exponaten bildete die Prussia-Sammlung im Königsberger Schloss eine archäologische Sammlung von europäischem Rang.

Dieser Bestand galt ab 1945 als verschollen und schien für die archäologische Forschung verloren. Ab 1943 wurde die Prussia-Sammlung kriegsbedingt an unterschiedliche Orte ausgelagert, so dass die Sammlung auseinandergerissen wurde. Die Überraschung war groß, als 1990 124 Holzkisten mit etwa 50000 archäologischen Objekten und 50000 Seiten Archivmaterialien in Ost-Berlin in der Akademie der Wissenschaften der DDR auftauchten, die dort seit 1949 aufbewahrt und über die von den Beteiligten Stillschweigen vereinbart worden war.

Dieser Bestand befindet sich heute am Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte. Weitere Teilbestände liegen in Allenstein [Olsztyn] und Königsberg [Kaliningrad]. Über den Verbleib von 300 bis 400 Kisten, die nach 1945 Richtung Moskau verbracht worden sein sollen, herrscht bis heute Unklarheit.

Seit über 20 Jahren arbeiten nun Archäologen aus Deutschland, Polen, Russland, Litauen und Lettland gemeinsam an der Wiederentdeckung der archäologischen Funde aus der ostpreußischen Frühgeschichte. Auf diese Weise werden die Objekte praktisch zum zweiten Mal ausgegraben. Da nun aber oftmals der archäologische Kontext verloren ist, also die Information zu Fundort, -umständen, Grab- oder Siedlungszusammenhängen fehlen, kommt den Archivalien und den wissenschaftlichen Aufzeichnungen zum Verständnis der Bodenfunde eine besondere Rolle zu. Mit den beiden hier vorgestellten Bänden liegen zwei wichtige Bausteine aus Polen und Lettland vor, die für die aktuelle Forschung einen wertvollen Beitrag bei der Rekonstruktion der Archäologie Ostpreußens leisten werden.

Unter der Leitung von Anna Bitner-Wróblewska (Archäologisches Museum Warschau) sind 2008 die alten Inventarbücher des Prussia-Museums konserviert und vorgelegt worden. Die Inventarbücher und zahlreiche archäologische Funde konnten 1967/68 in den Ruinen des Südflügels des Königsberger Schlosses geborgen werden, bevor dieser Schlossteil gesprengt wurde. Wie viele Funde und eventuell weitere Inventarbücher dieser Sprengung zum Opfer gefallen sind, wird für immer unklar bleiben. Erst seit 2007 konnten die Inventarbücher durch die Unterstützung des Polnischen Staatsarchivs in der Konservierungswerkstatt von Allenstein restauriert und dokumentiert werden. Es handelt sich um 15 Bücher mit 1584 Seiten. Die Bücher waren im Jahre 2007 in einem ka-tastrophalen Zustand. Es ist die große Leistung der beteiligten Restauratoren und Archäologen, die Bücher vor einem erneuten Verlust bewahrt und der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung gestellt zu haben. Da auch zahlreiche archäologische Fundobjekte nach 1945 verloren gegangen sind, sind die Zeichnungen und Angaben in den Inventarbüchern zum Teil die einzigen Informationen, die sich zu den Objekten erhalten haben. Der Band stellt nicht nur die restaurierten Prussia-Inventarbücher als Faksimile vor, sondern bietet auch einen Überblick über die historischen und archäologischen Quellensammlungen und Forschungen in Ostpreußen vom

16. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg. Außerdem werden die Geschichte des Königsberger Prussia-Museums und der Prussia-Sammlung und die Arbeiten in Berlin und Königsberg nach 1990 zusammengefasst.

Ein bedeutender Aspekt dieser Publikation ist die gelungene Zusammenarbeit deutscher, polnischer, russischer und litauischer Kollegen, die das gemeinsame Interesse an der Aufarbeitung der ostpreußischen Vor- und Frühgeschichte verbindet. Anna Bitner-Wróblewska beschreibt diese Kooperation mit der Perspektive auf zukünftige gemeinsame Projekte so: „Glücklicherweise haben in Anbetracht der neuen politischen Realitäten alle verstanden, dass ein freier Informationsaustausch und Zugang zu den Sammlungen eine grundlegende Form des Kontakts zwischen Institutionen und Forschern darstellt.“ Bei der Identifizierung der Objekte aus den Inventarbüchern des Prussia-Museums haben die Aufzeichnungen des lettischen Archäologen Felix Jakobson (1896–1930) eine bedeutende Rolle gespielt, dem der zweite hier vorgestellte Band gewidmet ist. Jakobson studierte Archäologie bei Max Ebert in Riga und Königsberg und hat während seiner Studienzeit Tausende von archäologischen Objekten in den für ihn zugänglichen Sammlungen des östlichen Ostseeraums dokumentiert. Das Material dieses Bandes umfasst den „preußischen“ Teil seiner Aufzeichnungen, den Felix Jakobson in verschiedenen Museen, vor allem aber im Königberger Prussia-Museum angefertigt hat.

Der „lettische“ Teil ist bereits von Archäologen des Nationalen Museums der Geschichte Lettlands in Riga publiziert worden. Mit dem vorliegenden Band werden etwa 1600 Skizzenblätter, Karteikarten und Fotografien mit mehreren tausend archäologischen Objekten für die archäologische Forschung zur Verfügung gestellt. Die Bearbeiter geben dem Leser die hervorragend aufbereiteten Informationen zu 208 ostpreußischen Fundorten in einem Fundkatalog an die Hand und versammeln die Zeichnungen Felix Jakobsons auf einer CD. Mit Hinblick auf die großen Verluste der Prussia-Sammlung sind beide Materialvorlagen von unschätzbarem Wert für die archäologische Forschung in Ostpreußen. Dabei ist zu hoffen, dass auch in Zukunft die Wissenschaftler und Institutionen in den beteiligten Ländern gemeinsam daran arbeiten, dieser historisch gewachsenen europäischen Kernregion, trotz aller historischen Brüche, einen wichtiger Teil ihrer über die Grenzen hinweg identitätsstiftenden Geschichte zurückzugeben, die über Jahrzehnte verloren schien.

Seit 2011 werden mit der Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft die mittelalterlichen Funde der Prussia-Sammlung, die sich heute im Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte befinden, wissenschaftlich aufgenommen und der Forschung zur Verfügung gestellt. Somit wird auch von deutscher Seite ein Baustein bei der gemeinsamen Wiederentdeckung der ostpreußischen Archäologie beigesteuert. Die aktuellen Forschungsergebnisse lassen sich unter www.prussia-museum.eu und www.smb-digital.de (Museum für Vor- und Frühgeschichte/Prussia-Sammlung) abrufen. Leitgedanke dieser gemeinsamen Bemühungen ist die fast zweitausend Jahre alte Weisheit des römischen Philosophen Seneca, die er in seinen Epistulae morales an seinen Freund Lucilium richtet und die das Motto des Felix Jakobson-Bandes bildet: „Niemals wird mir etwas Freude machen, mag es auch noch so trefflich und heilsam sein, was ich für mich allein wissen soll. Würde mir die Weisheit unter der Bedingung dargeboten, sie verschlossen zu halten und nicht zu verkünden, so würde ich sie zurückweisen. Ohne einen Genossen gibt es keinen erfreulichen Besitz irgendwelchen Gutes.“ Es bleibt zu hoffen, dass in diesem Sinne auch in Zukunft die noch ungehobenen Schätze und das „unausgesprochene“ Wissen Ostpreußens ans Licht kommen werden. N. Goßler/C. Jahn

A. Bitner-Wróblewska (Red.), Archeologiczne ksiegi inwentarzowe dawnego Prussia-Museum / Die archäologischen Inventarbücher aus dem ehemaligen Prussia-Museum. Aestiorum Hereditas I (Olsztyn 2008) und T. Nowakiewicz, (Red.), Archeologiczne dziedzictwo Prus Wschodnich w archiwum Feliksa Jakobsona / Das archäologische Vermächtnis Ostpreußens im Archiv des Felix Jakobson. Aestiorum Hereditas II (Warszawa 2011), je 30 Euro. Zu beziehen über die Prussia-Gesellschaft, Phoebener Chausseestraße 10, 14542 Werder (Havel), Fax (03212) 1051308, E-Post: prussia.gesellschaft@googlemail.com.


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