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27.04.13 / Immerhin überlebt / Flucht aus Westpreußen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-13 vom 27. April 2013

Immerhin überlebt
Flucht aus Westpreußen

„Zum Klagen keine Zeit. Die Lebensgeschichte einer tapferen Frau aus Westpreußen“ betitelte Inge Genzmer ihre beeindruckende Biografie über ihre Mutter Margarete Wiens (1908–1998). Der Titel bezieht sich auf den Heimatverlust der mennonitischen Familie durch den Krieg und den schwierigen Neuanfang in Schleswig-Holstein. Die Autorin wurde 1940 als eines von sechs Kindern ihrer Eltern Franz und Margarete Wiens in Ladekopp, Westpreußen, geboren. Die Eltern bewirtschafteten einen Bauernhof mit 56 Hektar Land, der aufgrund des schweren, fruchtbaren Bodens gute Erträge abwarf. Alle acht Familienmitglieder überlebten den Krieg und die Flucht, wofür Margarete Wiens zeitlebens dankbar war. Nach dem Tod ihrer Mutter beschloss Inge Genzmer, ihr ein Buch zu widmen. Dafür sichtete sie Hunderte von Briefen und wertete die Memoiren ihrer Mutter aus. Hinzu kamen Kassettenaufnahmen ihres Sohnes von den Erzählungen seiner Großmutter. Diese hatte im Alter viel über ihre Kindheit und Jugend und ihre Erlebnisse im Krieg und auf der Flucht gesprochen. Außerdem zog die Autorin Verwandte ins Gespräch und bat sie um Mithilfe.

Mitte März 1945 entkamen Margarete Wiens und die Kinder auf einem ehemaligen Frachter aus der von der Roten Armee eingekesselten Stadt Danzig. Die Fahrt des überfüllten Flüchtlingsschiffs ging nach Dänemark. Von Kopenhagen wurden sie nach Grove bei Aarhus, Jütland, gebracht, wo sie mehr als drei Jahre festgehalten wurden. Im Sommer 1948 konnten sie nach Preetz in Ostholstein übersiedeln, wo Franz Wiens nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft bei einem Bauern Unterkunft gefunden hatte. 1951 wurde der Familie im Zuge der Aufteilung ehemaliger Staatsgüter ein kleiner Bauernhof in Scharstorf bei Preetz zugesprochen.

Von dem Leben auf dem einsam gelegenen Hof bei Scharstorf erinnert die Autorin vor allem die jahrelange tägliche Schwerstarbeit. Auch die Kinder hatten nach der Schule ihr Arbeitspensum zu erledigen. Selbst am Sonntag gab es keine Ausnahme. Dabei herrschte ein strenges Regime des Sparens, nur bei Verwandtenbesuchen wurde eine Ausnahme gemacht. Manchmal bedingen sich eine eherne Arbeitsmoral und emotionale Zurückhaltung gegenseitig, was den alltäglichen Umgang zwischen Menschen, die sich nahe stehen, nicht eben leichter macht. Eltern und Kinder vermieden es, einander ihre Liebe und Zuneigung zu bekunden.

Da keiner der beiden Söhne den Hof übernehmen wollte, wurde er 1966 verkauft, was dem Vater sehr schwer fiel. Mit 60 Jahren nahm Margarete Wiens noch einmal eine Arbeitsstelle in ihrem früheren Beruf als Krankenschwester an. Ihre Töchter bemerkten, dass sie im Alter toleranter und nachgiebiger wurde, besonders ihren Enkeln gegen-über. Als Witwe fand sie mit 83 Jahren im Altersheim noch die große Liebe ihres Lebens. Drei Jahre dauerte das Glück ihrer späten Freundschaft mit Ernst.

Mit dem Buch wendet sich die Autorin hauptsächlich an ihre Verwandtschaft in Deutschland und den USA, doch sind vor allem sämtliche Kapitel des ersten Teils auch von allgemeinem Interesse. Inhaltlich weniger ergiebig und wesentlich kürzer ausgefallen ist der zweite Teil. Dagmar Jestrzemski

Inge Genzmer: „Zum Klagen keine Zeit. Die Lebensgeschichte einer tapferen Frau“, Selbstverlag, zu bestellen: Hans-Böckler-Straße 15, 65929 Frankfurt am Main, brosch., 190 Seiten, 13,90 Euro


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