25.04.2024

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04.05.13 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-13 vom 04. Mai 2013

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

von solch engagierten Mitdenkern, wie sie unsere Ostpreußische Familie hat, können andere Kolumnisten nur träumen. Ihnen sind die Erfolge zu verdanken, die unsere Sucharbeit weit über den – durch den Titel begrenzt erscheinenden – ursprünglichen Rahmen hinaus so bekannt gemacht haben, dass sich die Zuschriften von bisherigen Nichtlesern mehren. Zu den eifrigsten und erfolgreichsten Mithelfern gehört seit langem Herr Peter Perrey aus Neustadt, und er war auch der erste, der auf unsere in Folge 10 erschienenen Frage nach der Herkunft des von Herrn Peter Timnik in einem dänischen Antiquitätenladen entdeckten Rettungsringes mit dem Namen „Frisches Haff“ antwortete. Er wie auch Herr Prof. Döhler, Elmshorn, wiesen aufgrund der auf dem Ring vermerkten Nummer BX 706 auf Bremerhaven als Heimathafen hin. Von dem Ergebnis weiterer Nachforschungen sollten wir unterrichtet werden. Und nun kam es mit einer E-Mail von Peter Perrey vom 22. April:

„Am heutigen Sonntagmorgen rief mich in aller Frühe Herr Bernhard Mey aus Heikendorf an, um mir Neues über das Fischereifahrzeug ,Frisches Haff‘ mitzuteilen. Der inzwischen 90-Jährige, der einer über Jahrhunderte in Lochstädt ansässig gewesenen Fischerfamilie entstammt, war ab 1937 in der Heimat und nach dem Krieg in Heikendorf selber Fischer. Herr Mey berichtet, dass die amerikanische und britische Kriegsbeute der ehemaligen Kfk (Kriegsfischkutter) der Kriegsmarine nach dem Krieg an deutsche Fischer aus dem Osten verchartert wurden. Waren diese Kfk von den Briten gechartert, so trugen sie die Kenn-Nummern ihrer neuen Heimathäfen. Die von den Amerikanern gecharterten Kfk waren jedoch alle in Bremerhaven registriert und trugen deshalb BX-Nummern, auch wenn sie in der Ostsee stationiert waren. Der KfK ,Frisches Haff‘ war von dem ostpreußischen Fischer Hans Prengel gechartert und in Rendsburg stationiert. Er stammte aus einem Ort an der Festlandsküste des Frischen Haffs. Ob sein Kfk tatsächlich die Nummer BX 706 getragen hat, wusste Herr Mey allerdings nicht mehr zu sagen, ist aber anzunehmen. Hans Prengel fischte mit seinem Kutter sowohl in der Ostsee als auch in der Nordsee. Zu Beginn der 50er Jahre haben sich dann viele der ostdeutschen Fischer ihre eigenen Kutter bauen lassen und die Charterfahrzeuge an die Alliierten zurückgegeben, sie in einigen Fällen auch gekauft. Eine Reihe von ostdeutschen Fischern, die nach dem Krieg zunächst in Travemünde und Niendorf ansässig waren, ging nach Bremerhaven und fischte dann von dort aus. Diese Fischer seien sehr erfolgreich gewesen.“

Soweit das Ergebnis dieses Telefongespräches, dass Herr Perrey mit dem ehemaligen Lochstädter Fischer geführt hat. Information aus erster Hand – das muss man wohl sagen. Herr Timnik, der den Stein mit seinem Fund ins Rollen brachte, dürfte schon überrascht sein ob dieser so erfolgreichen Spurensuche, und wir sind es auch. Für uns ist es aber wieder einmal eine Bestätigung, wie ungemein wichtig heute die Aussagen von Zeitzeugen sind, wenn sie solche fundierten Angaben machen können. Für viele Leser, vor allem Heimatchronisten, wird dieses nun durch Herrn Perrey ergänzte Kapitel ostdeutscher Fischereigeschichte interessant und überaus informativ sein.

Immer für eine Überraschung gut ist Frau Ute Eichler aus Hamburg. Sie, die für Archiv und Heimatmuseum der Kreisgemeinschaft Lötzen in Neumünster verantwortlich zeichnet, stöbert gerne in Antiquariaten und Bibliotheken, um fündig zu werden. Dass sie dabei auch auf unerwartete Schätze stößt, ist schon fast programmiert. So fand sie in einem alten Fotoband, den sie auf einem Museumsmarkt „margrietsch“ – also als Zugabe – bekam, zwischen Buchdeckel und Vorsatzblatt einen Brief, dessen Inhalt für unsere Arbeit so interessant ist, dass Frau Eichler uns eine Kopie zusandte. Da es sich um ein Schreiben handelt, das an das Amtsgericht in Hannover gerichtet war, können wir leider keine Namen angeben, nur so viel, dass der Verfasser, Dr. Ing. Erich B., diese Angaben zu der beantragten Todeserklärung einer Frau machte, die aus Ostpreußen stammte und deren Schicksal ungewiss war. In dem Brief mit dem Datum 13. Januar 1950 teilt der Schreiber mit, das ihn über das Geschick dieser ihm unbekannten Frau nichts bekannt sei, beschreibt aber, um dem Gericht die Schwierigkeit der Informationsbeschaffung zu verdeutlichen, so eingehend wie möglich die Lage in dem von den Russen okkupierten Königsberg und dem nördlichen Teil Ostpreußens, in dem wahrscheinlich auch die vermisste Frau gewohnt hatte. Der Schreiber lebte selber dreieinhalb Jahre unter russischer Besetzung hauptsächlich in Königsberg und kann aus eigenem Erleben umfangreiche Angaben über das Geschick der im Raum Ostpreußen zurückgebliebenen Bevölkerung machen, die uns verdeutlichen, wie wichtig Aussagen von Zeitzeugen sind – eine Bestätigung unserer unermüdlichen Arbeit. Leider kann ich die sehr ausführlichen Aufzeichnungen nicht in voller Länge bringen, werde aber in späteren Folgen auf einzelne Angaben, wenn sie zu dem betreffenden Thema passen, zurückkommen. Heute will ich mich auf die Passagen beschränken, die sich mit der Situation der in Königsberg verbliebenen Menschen befassen, und das aus gutem Grund: An diesem Wochenende findet das Treffen der „Königsberger Kinder“ im Ostheim in Bad Pyrmont statt, und sie werden, wenn sie diese Angaben lesen, sich mit ihnen aus eigener Erfahrung beschäftigen. Herr Dr. B. führt Folgendes aus: „Bei der Einnahme der Stadt Königsberg durch die sowjetischen Truppen am 9. April 1945 waren von den rund 350000 Einwohnern noch 90000 Menschen ohne die Truppen in der Stadt. Diese Zahl ist mir von dem Leiter des Ernährungsamtes als Anzahl der zuletzt ausgegebenen Lebensmittelkarten wenige Tage vor der Einnahme genannt worden. Ich schätze, dass 5000 bis 10000 Menschen ins Reich oder nach Litauen fliehen konnten und schätze weiter, dass etwa 50000 Königsberger umgekommen sind. Die Mehrzahl ist zweifellos verhungert. Es dauerte bis zum September 1945, bis eine Lebensmittelversorgung allmählich in Gang kam, und dann erhielten auch nur diejenigen Lebensmittelkarten, die in Arbeit standen. Die Bevölkerung, die keine bekam, musste sich die Lebensmittel auf dem ,Bazar‘, auf dem schwarzen Markt, besorgen, wo etwa der vier- bis sechsfache Preis verlangt wurde. Deshalb war die Sterblichkeit unter den Kindern und den älteren Menschen sehr hoch. Zur Arbeit melden konnte sich nur, wer körperlich kräftig war, eine handwerkliche oder technische Ausbildung besaß und den hohen Anforderungen hinsichtlich der Erfüllung des Arbeitssolls genügen konnte. Angehörige von Berufen wie Kaufleute, Beamte, Rechtsanwälte, Pfarrer und Lehrer waren übel dran und gingen vielfach zugrunde. Das russische Standesamt wurde erst verhältnismäßig spät eingerichtet, deshalb sind Zahlen über die Todesfälle nicht zu erlangen. Ein Teil starb geschwächt durch Hunger, an Typhus und auch Malaria, die durch die russischen Truppen eingeschleppt worden war. Eine nicht unerhebliche Zahl von Menschen musste bei Überfällen, Raubversuchen und Plünderungen ihr Leben lassen. Erschwert wurden die Lebensverhältnisse dadurch, dass nach der Einnahme der Stadt fast die gesamte deutsche Bevölkerung aus der Stadt hinausgeführt und teilweise zu verschiedenen Lagern und mehrere Tagesmärsche entfernt liegenden Sammelpunkten verschleppt wurde. Es sind viele Menschen an der Straße verendet. Ich weiß von zahlreichen Berichten der vom Lande nach Königsberg kommenden Bevölkerung, dass dort die Verhältnisse bei der Besetzung durch die Russen unvergleichlich schwer gewesen sind. Das lag wohl daran, dass die verstreut lebenden Menschen der Willkür der russischen Soldateska völlig ausgeliefert waren. Besonders hatten es die Russen auf Bauern und Gutsbesitzer abgesehen, diese sind fast immer erschlagen oder zu Tode gequält worden.“ Soweit unser heutiger Auszug aus dem Schreiben des Königsbergers nach seinen damaligen Kenntnissen und Schätzungen. Ein Dokument, nach 63 Jahren in einem alten Buch gefunden. Wir danken Frau Ute Eichler für die Übersendung und – hoffen auf weitere Funde!

Eure Ruth Geede


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