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18.05.13 / Tabuisiert und gefeiert / Tolle Musik, mieser Typ – An Wagner scheiden sich die Geister

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-13 vom 18. Mai 2013

Tabuisiert und gefeiert
Tolle Musik, mieser Typ – An Wagner scheiden sich die Geister

Der 18. Juni letzten Jahres hätte in Israel ein historischer Tag werden können: Die 2010 gegründete israelische Wagner-Gesellschaft wollte das erste große Konzert des deutschen Komponisten in Tel Aviv geben. Alles war vorbereitet, das jüdische Orchester hatte schon geprobt, der Konzertsaal war gebucht und der Kartenvorverkauf gestartet. Doch nach heftigen Protesten von Holocaust-Gegnern musste das Konzert kurzfristig abgesagt werden. Obgleich nicht verboten, ist Wagner in Israel nach wie vor tabu. Als es der israelische Dirigent Daniel Baren­boim 2001 in Jerusalem wagte, das Vorspiel von „Tristan und Isolde“ als Zugabe zu spielen, endete das Konzert in einem Eklat.

Schuld an allem ist nicht allein die Kumpanei zwischen den Bayreuther Wagner-Erben und Hitler während der NS-Zeit, sondern auch eine schmale Schrift mit dem Titel „Das Judentum in der Musik“, in der sich Wagner 1850 als Antisemit outete. Als Pamphlet gegen die jüdischen Komponisten Mendelssohn-Bartholdy und Meyerbeer gerichtet, ist es tatsächlich eine üble Hetzschrift gegen jüdische Musik, die für Wagner nur eines „Sinn und Geist verwirrenden Gegurgels, Gejodels und Geplappers“ darstellt.

In seinen Opern lässt sich jedoch kein Judenhass nachweisen – bis auf eine Ausnahme: Die Figur des Sixtus Beckmesser in den „Meistersängern von Nürnberg“ gilt als Parodie des berüchtigten Wiener Kritikers und Halbjuden Eduard Hanslick. In einem früheren Opern-Entwurf trug die Figur noch den vielsagenden Namen Veit Hanslich. Der negativ gebrauchte Ausdruck „Beckmesserei“ wurde schließlich zum geflügelten Wort für „Pedanterie“.

Wagners Schicksal ist, dass er Deutscher war. Wäre er Brite, gäbe es keine Probleme mit seinem Antisemitismus. Wenn es danach ging, müssten auch Shakespeare und Charles Dickens tabu sein. Die – aufgrund ihres Namens wahrscheinlich jüdischen – Intriganten Rosencrantz und Guildenstern im „Hamlet“, der Halsabschneider Shylock im „Kaufmann von Venedig“ oder der Hehler Fagin in „Oliver Twist“ sind antisemitische Stereotypen, die ihre Autoren ordentlich in Verruf gebracht hätten, wären sie Deutsche gewesen.

Dass es ausgerechnet ein Engländer war, der den jüdischen Wagner-Boykott Vorschub leistete, entbehrt nicht der Ironie. Als Autor einer Biografie über Wagner kam der Brite Houston Stewart Chamberlain um1880 nach Bayreuth, heiratete die Wagner-Tochter Eva und wurde mit rassentheoretischen Werken zum antisemitischen Vordenker in Deutschland. Auch weil die ebenfalls aus England stammende Winifred Wagner ab 1930 als engagiertes NSDAP-Mitglied die Festspiele leitete, wurde im Ausland Richards Wagners Musik mit dem Holocaust assoziiert.

Wegen seines Antisemitismus sei Wagner, so dessen kritischer Bewunderer Thomas Mann in einem Brief von 1939, „eines der schwierigsten, das psychologische Gewissen am tiefsten herausfordernden, darum aber auch eines der faszinierendsten Vorkommnisse der Kunst- und Geistesgeschichte“. An ihm werden sich wohl noch lange die Geister scheiden. Tws


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