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18.05.13 / Die Osmanen hören auf, eine Macht Europas zu sein / Vor 100 Jahren endete der Erste Balkankrieg mit dem Londoner Vertrag – Anerkennung der Unabhängigkeit Albaniens

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-13 vom 18. Mai 2013

Die Osmanen hören auf, eine Macht Europas zu sein
Vor 100 Jahren endete der Erste Balkankrieg mit dem Londoner Vertrag – Anerkennung der Unabhängigkeit Albaniens

Bereits 1852 hatte der russische Zar Nikolaus I. die Türkei als „kranken Mann am Bosporus“ verhöhnt. Das Osmanische Reich besaß zwar eine Armee von 470000 Soldaten, war im Grunde aber militärisch schwach. 99 Prozent der Soldaten waren Analphabeten, Ausrüstung und Nachschub veraltet, Luftwaffe und Marine kaum vorhanden, das Eisenbahnnetz wenig ausgebaut.

Auch politisch war die Türkei gelähmt. Im sogenannten Mürzsteger Programm hatte sie 1903 Russland und Österreich-Ungarn zwar umfangreiche innere Reformen zugesagt, aber den Worten keine Taten folgen lassen und so Aufstände in Makedonien und anderen Gebieten des Balkans provoziert. 1908 breitete sich mit der „jungtürkischen Revolution“ ein militanter Chauvinismus aus, der die nichttürkischen Untertanen weiter reizen musste. Das Imperium war am Ende. Schon damals prophezeite der deutsche Militär Helmut Graf von Moltke, 1836/39 Instrukteur der türkischen Armee, dass die Türkei nur fortbestehen könne, wenn man sie radikal auf ihre „naturgemäßen Grenzen“ zurückstutzte, etwa ihr „in Europa nur Konstantinopel“ ließe.

Die Balkanvölker, formal noch Untertanen der Hohen Pforte, hatten von ihr genug, da sie von korrupten Steuerpächtern und Banden räuberischer „Bashi-bozuk“ gleich mehrfach bedrängt wurden. Diese Schwäche der Türkei nutzte Russland, wo davon geträumt wurde, endlich das „Griechische Projekt“ Katharinas der Großen realisieren zu können, die Restitution von Byzanz – unter russischer Herrschaft. Nicht umsonst hatten die russischen Zaren den Kaisertitel vom oströmischen Reich übernommen, sahen sich in der Tradition des oströmischen Reiches wie die römisch-deutschen Kaiser in der Tradition des weströmischen. Sankt Petersburg brachte die Balkanvölker auf seine Seite und stoppte so das Vordringen der Habsburgermonarchie, die 1908 Bosnien annektiert hatte. 1912 initiierte es ein Netzwerk von Bündnissen zwischen Bulgarien, Serbien, Montenegro und Griechenland, den „Balkanbund“. Zudem bot es sich als Vermittler für absehbare Territorialkonflikte an, was nur das franko- und anglophile Griechenland ablehnte.

Der Krieg war vorbereitet, nun bedurfte es nur noch eines Anlasses. Von Katharina der Großen, ab 1774 „Protektorin der slawischen Balkan-Christen“, wusste man, dass Osmanen auf Machtansprüche in religiöser Verpackung höchst gereizt reagierten. Ergo forderten die Balkanstaaten 1912 ultimativ Autonomie für Makedonien, Albanien, Epirus und andere Gebiete mit „christlichen Gouverneuren“ an der Spitze. Das lehnten die Osmanen entrüstet ab, worauf am 30. September Mobilmachungen von Sofia bis Athen erfolgten.

Von den Mobilmachungen war jene Montenegros als erste abgeschlossen. Am darauffolgenden Tag, dem 8. Ok­tober 1912, erklärte der Kleinstaat dem Osmanischen Reich den Krieg. Serbien, Bulgarien und Griechenland folgten neun Tage später. Auf dem Balkan standen 25000 bis 40000 Montenegriner, 350000 Bulgaren, 250000 Serben und 100000 Griechen nur 290000 Osmanen gegenüber. Nichtsdestotrotz waren die Türken in den Schlachten von Kumanovo, Thessaloniki, Lüleburgas und Kirk-Kilisse zahlenmäßig überlegen – was ihnen aber nichts nützte, denn sie verloren sie trotzdem. Zigtausende von ihnen fielen oder gerieten in Gefangenschaft.

Im Grunde hätte der Krieg nach vier, fünf Wochen mit einem Sieg der osmanischen Gegner beendet sein können, aber in Sankt Petersburg und London ging die Angst um, dass die Meerengen am Bosporus unter bulgarische Kontrolle gerieten, falls der einseitige Kampf so weiterginge. Durch Waffenstillstandsabkommen und Friedensverhandlungen, die am 16. Dezember in London begannen, versuchten die „Großmächte“ den Siegeslauf der Balkanheere zu stoppen. Der Versuch scheiterte jedoch. Ende Januar 1913 nahmen die Bulgaren die Kampfhandlungen wieder auf und eroberten zusammen mit den Serben die starke Festung Adrianopel. Der Krieg loderte erneut auf, erstmals auch in verlustreichen Seegefechten, vor allem zwischen Griechen und Osmanen.

Am 1. Mai 1913 erreichten dann die Osmanen einen Waffenstillstand, der länger hielt. Am selben Tag wurden im Londoner Saint James Palace die Friedensverhandlungen wieder aufgenommen. Sie mündeten in den Londoner Friedensvertrag vom 30. Mai 1913. Der Kriegsverlierer Ostmanisches Reich wurde bis zu einer Linie zwischen Midia am Schwarzen Meer und Enez an der Ägäisküste aus Europa zurückgedrängt. Albanien erhielt seine Unabhängigkeit und Serbien, Griechenland sowie Montenegro konnten ihr Territorium ungefähr verdoppeln. Bulgarien erhielt Thrakien, wünschte darüber hinaus allerdings weite Teile des vormals osmanischen Makedonien, die statt ihm aber Serbien zugeteilt wurden. Keine zwei Monate später reagierte Sofia hierauf mit der Entfesselung des Zweiten Balkankrieges. Wolf Oschlies


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