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25.05.13 / Geheimes Einverständnis / Ein sechsjähriger Knirps breitete vor Herrn Bergmann seine Sparbüchse aus und vertraute sich dem Kaufmann an

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-13 vom 25. Mai 2013

Geheimes Einverständnis
Ein sechsjähriger Knirps breitete vor Herrn Bergmann seine Sparbüchse aus und vertraute sich dem Kaufmann an

Zuerst sieht Herr Bergmann nur die Kinderhand, die nach der Klinke der Ladentür greift und sie langsam herunterzieht. Ein kleiner Junge zwängt sich durch den schmalen Spalt. Er lässt die Tür nicht offen stehen, sondern lehnt sich mit der Schulter dagegen und drückt sie zu. Der Knirps, etwa sechs Jahre alt, bleibt einen Moment stehen und schaut sich im Laden um. Dann geht er zögernd auf Herrn Bergmann zu. Seine Wangen leuchten frisch und rot. Die hellblauen Augen blicken den Inhaber des Kunstgewerbeladens geradewegs an.

Herr Bergmann beugt sich lächelnd über die Verkaufstheke. „Was soll’s denn sein, junger Mann?“ Der Kleine hält die linke Hand tief in der Jackentasche vergraben. Er zögert, weil er nicht so recht weiß, wie er beginnen soll. Doch dann fasst er einen Entschluss und sagt im Tonfall aufrichtigen Bedauerns: „Das kleine graue Eselchen ist kaputtgegangen.“ „Welches Eselchen?“ fragt Herr Bergmann interessiert. Der Knirps zieht die Hand aus der Tasche und stellt eine Tonplastik auf den Ladentisch. Es ist die zierlich geformte Figur eines Grautiers, das mit störrischer Geste die Vorderbeine von sich streckt. Aber auf dem vorgereckten Hals fehlt der Kopf. Er ist abgebrochen.

Herr Bergmann sieht den Jungen fragend an. „Ist es dein Eselchen?“ „Nein, es gehört meiner Mutter“, erklärt der Kleine mitteilsam. „Vati hat es ihr geschenkt, weil sie so lange nicht miteinander gesprochen hatten. Vorher war nämlich ein großer Krach zwischen ihnen.“ „Nun ja, das kommt schon mal vor“, meint Herr Bergmann verständnisvoll. „Es soll aber nicht mehr vorkommen, hat Vati gesagt“, widerspricht der Knirps entschieden. „Deshalb hat er ja das Eselchen für meine Mutter gekauft, damit sie es nicht vergisst.“

Herr Bergmann errät, was sich hinter der Andeutung verbirgt. Am Ehehimmel der Eltern des Kleinen war offenbar ein heftiges Gewitter aufgezogen. Dann entschloss sich der Vater, die Meinungsverschiedenheit endgültig beizulegen. Er schenkte seiner Frau den kleinen Esel – gewissermaßen als Symbol für ihre beiderseitige unnachgiebige Dickköpfigkeit. Ein hübscher Einfall, der auf Humor schließen ließ.

„Und nun hat deine Mutter das Eselchen versehentlich zerbrochen?“ vermutet Herr Bergmann. Der Junge schüttelt den Kopf. „Nein, mir ist es heruntergefallen, ganz plötzlich.“ Er zögert, bevor er mit der ganzen Wahrheit herausrückt. „Ich durfte doch nicht damit spielen, weil, weil es mir nicht gehört.“ Herr Bergmann schmunzelt nachsichtig. „Ich verstehe. Und deshalb brauchst du jetzt ein neues Eselchen, damit niemand merkt, was geschehen ist. Eines, das genauso aussieht wie dieses hier.“ Der Kleine nickt eifrig. „Im Schaufenster steht genau das gleiche. Ich will es kaufen.“

Er zieht eine Sparbüchse aus bunt bemaltem Blech hervor und schiebt sie auf die Ladentheke. Es scheppert hell. Ein Zeichen dafür, dass sich nicht allzu viele Münzen darin angesammelt haben. Vertrauensvoll reicht der Junge Herrn Bergmann einen winzigen Schlüssel. „Was kostet das Eselchen?“ will er wissen. „Nun, wir wollen erst einmal sehen, wieviel Geld in deiner Sparbüchse ist“, weicht Herr Bergmann aus. Er öffnet die Klappe am Boden und schüttet den Inhalt auf die Theke.

Ein paar Zehn- und einige Fünfzig-Cent-Stücke rollen über die Platte. Dazwischen blinkt einsam ein Zwei-Euro-Stück. Der Junge beobachtet aufmerksam die Handbewegung, mit der Herr Bergmann das Geld einsammelt. „Bleibt da noch etwas übrig?“ fragt er besorgt. „Wenn die Sparbüchse ganz leer ist, dann merken meine Eltern es bestimmt.“ „Du hast Recht“, bestätigt Herr Bergmann mit Verschwörermiene. „Das darf auf keinen Fall geschehen.“

Die Umsicht des kleinen Jungen beeindruckt ihn. Doch dann kommen ihm plötzlich Bedenken. „Weiß deine Mutter eigentlich, dass du von zu Hause fortgegangen bist?“ „Ich bin nicht allein gegangen“, sagt der Knirps. „Sie hat mich zum Friseur mitgenommen. Gleich hier nebenan. Mutti geht nämlich gern zum Friseur. Aber ich mag Haareschneiden überhaupt nicht. Man muss dabei immer so lange stillsitzen.“ Diesem Argument kann Herr Bergmann sich nicht verschließen.

Ohne dass der Junge etwas davon bemerkt, steckt Herr Bergmann die Münzen wieder in die Spardose zurück, nimmt das Grautier aus gefärbtem Ton aus dem Schaufenster und verpackt es sorgfältig in eine Pappschachtel. „Du musst aber Acht geben, dass das Eselchen nicht noch einmal zerbricht. Ich habe nämlich nur noch dieses eine.“

Der Junge nickt ernsthaft und lässt Sparbüchse und Pappschachtel in seinen Jackentaschen verschwinden. Herr Bergmann begleitet ihn hinaus und sieht ihm nach, als er eilig zum benachbarten Friseurladen hinüber stiefelt. Vor der Tür dreht der Knirps sich noch einmal um. Herr Bergmann winkt ihm zu und legt den Finger an die Lippen. Der Kleine lächelt verschmitzt. Er hebt ebenfalls die Hand zum Mund und erwidert die bedeutungsvolle Geste: Geheimes Einverständnis unter Männern, die sich ohne viele Worte verstehen. Albert Loesnau


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