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25.05.13 / Ein Schluck ist schon zu viel / Alkohol während der Schwangerschaft kann Leben zerstören – Das Hamburger Ehepaar Rosenke informiert über die Folgen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-13 vom 25. Mai 2013

Ein Schluck ist schon zu viel
Alkohol während der Schwangerschaft kann Leben zerstören – Das Hamburger Ehepaar Rosenke informiert über die Folgen

Manchmal sieht man den Säuglingen schon gleich nach der Geburt an, dass ihre Mutter während der Schwangerschaft zu viel Alkohol getrunken hat, manche Kinder brauchen Jahre, bis sie verstehen, warum sie anders sind. Die Folgen des Fetalen Alkoholsyndroms sind vielfältig, aber in jedem Fall eine Belastung.

Die 39-jährige Jana schwebt auf Wolke Sieben. Endlich erfüllt sich ihr Kinderwunsch, wenn auch nicht in Form einer eigenen Schwangerschaft oder Adoption. Aber das örtliche Jugendamt hat sie gefragt, ob sie den kleinen Matteo als Pflegekind aufnehmen möchte. Da die leibliche Mutter Alkoholikerin ist, sei sie nicht in der Lage, für den Kleinen zu sorgen. „Aber sie müssen sich keine Sorgen machen, weil die Mutter Alkoholikerin ist, Matteo zeigt keine Anzeichen von FASD“, ist einer der vielen Sätze, die das Jugendamt im Rahmen der Pflegeübernahme sagt. Erst viel später denkt sie über den Satz nach. FASD?

„Fetal Alcohol Spectrum Disorder, auf Deutsch Fetales Alkoholsyndrom, bezeichnet man die verschiedenen Störungen, unter denen ein Kind leiden kann, wenn die Mutter während der Schwangerschaft Alkohol getrunken hat“, so Inis und Achim Rosenke von der Regionalgruppe Hamburg und Umgebung, deren Ziel es ist, über die Folgen des Alkoholgenusses während der Schwangerschaft aufzuklären, Betroffene zu beraten und ihnen zu helfen. Die Rosenkes wissen aus eigener Erfahrung, wovon sie sprechen, haben die Pflegeeltern doch bei ihrem Zögling zahlreiche Facetten von FASD erlebt. Auch Inis Rosenke erklärt, dass, nur weil ein Baby nach der Geburt nicht die typischen Auffälligkeiten aufweist wie Minderwuchs, Untergewicht, Kleinköpfigkeit, Gesichtsveränderungen, Augenfehlbildung, fehlendes Lippenrot oder eine wenig ausgeprägte Mundpartie, man FASD nicht gleich ausschließen könne. Andere Schäden wie geistige und motorische Entwicklungsstörungen, Verhaltensstörungen, Orientierungslosigkeit, Gedächtnisschwierigkeiten und ein verminderter Intelligenzquotient würden erst im Laufe der ersten Lebensjahre erkennbar. Und auch dann wird nur selten FASD diagnostiziert. „Häufig heißt es dann, die Kinder leiden unter dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADHS), doch das ist zu kurz gegriffen. 80 Prozent der FASD-Kinder leiden zwar auch unter ADHS, doch das ist nur eine von vielen Komorbiditäten bei FASD“, so Inis Rosenke. Nur wenige Ärzte seien in Deutschland in der Lage, FASD bei älteren Kindern zu diagnostizieren, gibt die engagierte Hamburgerin zu bedenken. Vor allem in Münster, Berlin und München könne man Experten finden. Bei der Suche nach dem geeigneten Mediziner hilft zudem fasd Deutschland.

Doch selbst wenn FASD diagnostiziert ist, gibt es keine Heilung. Trinkt eine Schwangere Alkohol, lagert sich dieser auch in der Pla-zenta ab, die dem Embryo die Nährstoffe liefert. Da dieser noch keine richtige ausgebildete Leber hat, kann er Alkohol nicht richtig oder gar nicht abbauen. Da Alkohol ein teratogenes Gift ist und so direkt über die Nabelschnur in den Blutkreislauf des Kindes gelangt, kommt es zu besagten Fehlbildungen, die das ganze Leben des Kindes negativ beeinflussen können. Da es keine Heilung gibt, kann man nur lernen, damit zu leben und das Umfeld des betroffenen Kindes demensprechend zu präparieren. Unbekannte Situationen führen zu Verunsicherungen der Betroffenen, weshalb feste Abläufe helfen, das Leben zu erleichtern.

Aussagen, wie jene, dass ein striktes Alkoholverbot während der Schwangerschaft eine Legende sei, sieht Familie Rosenke äußerst kritisch. So wird in dem Buch „Stimmt’s Baby? 100 Mythen übers Kinderkriegen“, das aus der Feder des „Zeit“-Redakteurs Christoph Drösser stammt, und im rororo-Verlag erschienen ist, behauptet, dass wer ein Gläschen Sekt während der Schwangerschaft trinke, kein schlechtes Gewissen haben müsse. Zwar sollten Schwangere nicht mehr als ein oder zwei Gläschen pro Woche trinken, doch die würden Stress abbauen und dieser sei schlecht für das Baby im Bauch, so die Autoren, die sich auf eine englische Studie aus dem Jahr 2010 berufen.

Doch die Theorie des Gläschens in Ehren sieht selbst der Spirituosen-Konzern Pernod Ricard, der die Marken Ramazzotti, Havana Club, Absolut Vodka und Malibu vertreibt, kritisch und hat deswegen bereits 2010 die Kampagne „Mein Kind will keinen Alkohol“ ins Leben gerufen. Hier werben prominente Frauen dafür, während der Schwangerschaft komplett auf Alkohol zu verzichten. Aktuell wirbt die Schauspielerin Sophie Schütt für das Anliegen.

Und auch Inis Rosenke weiß, dass eine Frau keine Alkoholikerin sein muss, um ein Kind mit FASD auf die Welt zu bringen. Die Mutter eines ihrer Pflegekinder war während der Schwangerschaft nur zweimal feucht-fröhlich feiern, aber diese zwei Ausrutscher haben gereicht, um das Kind auf ewig zu schädigen. Interessant ist es hier zu wissen, dass der Großteil jener Kinder, bei denen FASD diagnostiziert ist, Pflegekinder sind, denn nur wenige leibliche Mütter stehen dazu, in der Schwangerschaft getrunken zu haben, und bitten um Hilfe und Unterstützung. Oft wird es erst dann problematisch, wenn das Verhalten der betroffenen Kinder auffällig wird. Aus diesem Grunde melden sich immer öfter (junge) Erwachsene bei Inis und Achim Rosenke und wollen wissen, ob vielleicht FASD der Grund dafür ist, dass sie so anders sind.

Mit ihnen wird dann in einem Gespräch erörtert, was diese als nächstes tun können, um Klarheit zu erlangen, ob bei ihnen FASD vorliegen könnte. Die Rosenkes sind dabei behilflich, alle erforderlichen Unterlagen zusammenzustellen, den Betroffenen bei weiteren Schritten unter die Arme zu greifen. Das geht von Anträge stellen, zur Begleitung zu Gesprächen bei der Arge, dem Ausbilder oder auch Angehörige, um das Umfeld für diese Diagnose zu sensibilisieren. Mit Bedauern stellen Inis Rosenke und ihr Mann jedoch immer wieder fest, dass nicht jeder ihr Engagement als wichtig empfindet. Weder in Schulen, wo sie bereits zukünftige Schwangere für das Thema sensibilisieren könnten, noch bei Gynäkologen oder Hebammen stießen sie bisher auf offene Ohren. Doch das schreckt die beiden nicht ab. Und trotz aller Rückschläge, die die beiden bisher auch bei ihrem inzwischen erwachsenem Pflegekind erlebt haben, sagen sie: „Es lohnt, sich weiterhin, für Aufklärung einzusetzen. Jetzt erst recht, denn wer nicht kämpft, kann auch nichts bewegen.“ Rebecca Bellano

www.fasd-hh.rosenke.de, www.mein-kind-will-keinen-alkohol.de und www.fasd-deutschland.de


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