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01.06.13 / Desillusionierter Souverän / Sinkende Wahlbeteiligung zeigt: Die Demokratie hat ihre Gestalter verloren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-13 vom 01. Juni 2013

Desillusionierter Souverän
Sinkende Wahlbeteiligung zeigt: Die Demokratie hat ihre Gestalter verloren

Die dramatisch niedrige Wahlbeteiligung ist das zentrale Ergebnis der Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein. Sie zeigt, wie weit sich die Politik selbst auf unterster Ebene von den Bürgern entfernt hat.

Das Recht, durch freie, gleiche und geheime Wahlen an der politischen Willensbildung mitzuwirken, ist ein wichtiges Merkmal der Demokratie. Doch die hat die Menschen verloren, die sie eigentlich gestalten sollen. Denn die Wahlbeteiligung bei allen Urnengängen sinkt stetig. Begonnen hat diese Entwicklung bei den Europawahlen. Lag die Wahlbeteiligung 1989 noch bei über 62 Prozent, ist sie mittlerweile auf gut 43 Prozent gesunken. Die europäischen Institutionen in Brüssel und Straßburg sind für viele Bürger so weit weg wie einst Rom von seinen Provinzen. Zudem sind ihre Entscheidungsprozesse unübersichtlich. Obwohl von dort eine Unmenge von Verordnungen kommt, die unser Leben bestimmen, interessiert Europa die Menschen nicht weiter. Berlin liegt da schon näher. Doch auch bei den Bundestagswahlen hat die Wahlbeteiligung 2009 einen historischen Tiefststand von 72,2 Prozent erreicht. Hier dürfte der Grund die Erkenntnis sein, mit seiner Wahlentscheidung nichts mehr beeinflussen zu können. Die sich wie Blockparteien gerierenden Union, SPD, FDP und Grüne unterscheiden sich in ihrer Programmatik und ihrem Handeln nur noch graduell voneinander. Ihre Mobilisierungskraft ist geschwunden. Da geht es für viele nur noch um die Entscheidung für das kleinere Übel, denn ein Kreuz bei einer der kleinen Parteien gilt als verschenkte Stimme.

Vor allem die mit nur knapp 47 Prozent dramatisch niedrige Wahlbeteiligung bei der Kommunalwahl in Schleswig-Holstein ist ein Alarmsignal für die Politik. Sie hat gezeigt, dass die Menschen sich nicht einmal mehr dann zur Wahl aufraffen können, wenn es um die Gestaltung ihres unmittelbaren Lebensraumes geht. Politik erreicht die Menschen nicht einmal mehr hier. Die Politiker geben sich auch pflichtschuldig betroffen. Gleichzeitig aber üben sie bornierte Kritik an den Nichtwählern und Politikverdrossenen, indem sie die Schuld an dem Desaster pauschal den Bürger zuweisen. Die seien nämlich politisch unzureichend gebildet und deshalb an Politik nicht interessiert. Das dürften die so Gescholtenen anders sehen: Nicht die Bürger interessieren sich nicht mehr für die Politik, sondern die Politiker interessieren sich nicht mehr für die Bürger.

Politiker und Parteien sollten sich also fragen, was sie falsch machen und dem Bürger wieder die Aufmerksamkeit schenken, die ihm zusteht. Denn die Regierten sind kein Störfaktor, sondern der Souverän, der die Regierenden auf Zeit mit der Mandatsausübung zu ihrem Wohle beauftragt hat. Dann werden die Wähler wieder Vertrauen in die Politik fassen und ihre Stimme abgeben. Denn so herum, wie Bertolt Brecht es 1953 ironisch formuliert hat, geht es in der Demokratie eben nicht: „Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“ Jan Heitmann


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