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01.06.13 / Alternative zur EU ohne Deutschland / Philosoph belebt Nachkriegsüberlegungen zum Lateinischen Reich neu – Union aus Frankreich, Italien und Spanien

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-13 vom 01. Juni 2013

Alternative zur EU ohne Deutschland
Philosoph belebt Nachkriegsüberlegungen zum Lateinischen Reich neu – Union aus Frankreich, Italien und Spanien

In Frankreich und Italien sorgte ein Vorschlag des italienischen Philosophen Giorgio Agamben zur Neuordnung Europas für Furore. Ein Lateinisches Reich soll Franzosen, Italiener, Spanier und Griechen vor dem deutschen Lebensstil bewahren.

Angeknüpft hat Agamben mit seinen Überlegungen an Alexandre Kojève, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Pariser Wirtschaftsministerium Gedanken über die Rolle Frankreichs und dessen Stellung in Europa gemacht hatte. Gefahr für das Nachkriegsfrankreich sah Kojève durch mehrere Entwick-lungen. Zum einen prognostizierte er einen Wiederaufstieg Deutschlands. Mit Sorge sah er allerdings auch die Konfrontation zweier Imperien: des „slawisch-sowjetischen“ und des „anglo-amerikanischen“ Machtblocks. Wollten die Franzosen ihre kulturelle Eigenart bewahren, dann müssten sie sich an die Spitze eines dritten Imperiums setzen, so die Schlussfolgerung Kojèves. Umfassen sollte das „Empire Latin“ Franzosen, Italiener und Spanier, denen Kojève eine gemeinsame Mentalität zuschrieb. Grundlage sollte die lateinische Lebenskunst und eine Wirtschaftsweise zwischen Markt- und Planwirtschaft sein.

Dass Kojèves Ideen nun wieder aus der Schublade geholt worden sind, kann durchaus ernst genommen werden. Giorgio Agamben gilt immerhin als einer der meistgelesenen Philosophen der Gegenwart. Ihm zufolge ist genau das eingetreten, was Kojève vorhergesagt hat. Das protestantische Deutschland ist wieder mächtig und zwinge nun anderen Ländern seine Interessen und seine Lebensform auf. Agambens Schlussfolgerung: Das europäische Projekt ist gescheitert, nun muss eine Union der südlichen EU-Ländern gegründet werden. Die Führung solle diesmal aber nicht bei Deutschland, sondern bei Frankreich liegen, so Agambes Vorschlag.

Der Befund, dass die EU in einer tiefen Krise steckt, dürfte unstrittig sein. Weniger eindeutig ist allerdings, ob es tatsächlich ein „deutsches“ Europa ist, das nun Schiffbruch erleidet. Jean Monnet und Jacques Delors, die als die einflussreichsten Europa-Politiker der Nachkriegszeit gelten, sind immerhin Vertreter Frankreichs. Ohne den Sozialisten Delors wäre die EU, wie wir sie derzeit kennen, wahrscheinlich überhaupt nicht denkbar. Als Präsident der Europäischen Kommission hat der Mitstreiter von François Mitterands zwischen 1985 bis 1995 sowohl die Weichen zur europäischen Währungsunion als auch zum Dirigismus und zur Regelungswut der heutigen EU-Kommission gestellt. Beinah genial zu nennen ist Delors Schachzug, dazu die Vollendung des Binnenmarktes als Hebel anzusetzen. Das Stichwort „Binnenmarkt“ – später kombiniert mit der Allzweckwaffe „EU-Grundrechte“ – hat es Brüssel möglich gemacht, sich nach Belieben in alles einzumischen, was bisher auf nationaler Ebene geregelt wurde. Damit wurde das von den Deutschen verfochtene Subsidiaritätsprinzip wirkungsvoll ausgehebelt. Durch die EU geregelt werden sollte ursprünglich nur das, was die Mitgliedstaaten in eigener Verantwortung nicht lösen können.

Das Resultat dieser schleichenden Machtergreifung durch die EU: In Brüssel hat sich ein Zentralismus etabliert, bei dem das französische Staatsverständnis Pate stand, nicht aber der deutsche Föderalismus. Verloren hat Deutschland ebenso den Kampf um die Stabilität der gemeinsamen Währung. Die Maastricht-Kriterien, die Deutschland im Gegenzug zur Aufgabe der D-Mark gegeben wurden, haben sich als luftige Versprechen entpuppt.

Die Unabhängigkeit, die der EZB eingeräumt wurde, haben der Franzose Jean-Claude Trichet und sein italienischer Nachfolger Mario Draghi wiederum dazu genutzt, die Zentralbank schleichend nach französischen und italienischen Vorstellungen umzubauen. Die Liraisierung des Euro schreitet inzwischen zügig voran. Die Demontage des EU-Fiskalpaktes, den Kanzlerin Merkel im Gegenzug für Rettungsmilliarden eingefordert hatte, ist ebenfalls längst angelaufen. Frankreich ist auf bestem Wege, in diesem Jahr prozentual ein höheres Haushaltsdefizit als Griechenland aufzutürmen, die EU-Kommission macht aber keinerlei Anstalten, die Einhaltung der vereinbarten Schuldenbremse einzufordern. Von EU-Währungskommissar Olli Rehn wurde stattdessen sogar die Bereitschaft signalisiert, Paris einen weiteren Aufschub bis 2014 zu gewähren. Aktuell brütet die EU-Kommission sogar noch über Plänen, staatliche Investitionen künftig aus den Haushaltsdefiziten heraus zu rechnen.

Derweil verschlechtert sich die Lage Frankreichs zusehends. Während Präsident François Hollande sich zur Geisel seiner unsinnigen Wahlversprechen gemacht hat, rutsch Frankreich immer tiefer in eine Wirtschaftskrise. Nicht mehr zu kaschieren ist inzwischen, dass sich die „Grand Nation“ längst nicht mehr auf Augenhöhe mit Deutschland befindet. Dass in dieser Situation Gedankenspiele von einem „Lateinischen Imperium“ unter französischer Führung Wiederauferstehung feiern, ist kaum verwunderlich.

Tatsächlich bleibt aber der Philosoph Agamben die Antwort auf die wichtigste Frage im Zusammenhang mit seiner Idee einer Union der Südeuropäer schuldig: Auf welchen wirtschaftlichen Grundlagen soll der Traum vom Lateinischen Imperium stehen? Wer soll für das Experiment zur Konservierung der südeuropäischen Lebensweise bezahlen? Präsident Charles de Gaulles war bei seiner Machtübernahme immerhin klug genug, Kojèves Pläne im Schubfach verschwinden zu lassen. Richtig erkannt hatte er, dass sich Frankreich über die „europäische Integration“ Zugriff auf die deutsche Wirtschaftskraft sichern muss, wenn es als Weltmacht auftreten will. N.H.


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