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08.06.13 / Die Lunte brennt / Protest in Europas Metropolen kommt längst aus der Mitte der Gesellschaft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-13 vom 08. Juni 2013

Die Lunte brennt
Protest in Europas Metropolen kommt längst aus der Mitte der Gesellschaft

Die Krawalle in Istanbul, Athen oder Rom sind ein Warnsignal an die Politik. Denn der Protest kommt nicht vom politischen Rand, sondern aus der Mitte der Gesellschaft.

Brennende Autos, verwüstete Geschäfte, Tote und Verletzte bei Demonstrationen. Die Weltarbeitsorganisation ILO kommt in ihrem Jahresbericht zu dem Schluss, dass dieses Szenario schon bald in der Europäischen Union Wirklichkeit werden könnte. Grund seien die durch die Sparpolitik hervorgerufenen sozialen Spannungen. Das Risiko von Unruhen steige weiter, wenn die Politik die Staatsschuldenkrise und deren Auswirkungen auf das Leben der Menschen nicht in den Griff bekomme, so die UN-Organisation weiter.

Doch es ist nicht nur soziale Benachteiligung, die die Menschen auf die Straße treibt, sondern vor allem verlorenes Vertrauen in die Politik. Beides zusammen erzeugt ein explosives Gemisch. In der Türkei liefern sich die Menschen aus allen Schichten blutige Straßenschlachten mit der Polizei. Sie demonstrieren schon längst nicht mehr für den Erhalt einer Grünanlage, sondern protestieren gegen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der sich wie ein Pascha aufführt und immer mehr in ihr Leben eingreift. In Frankreich gehen Hunderttausende gegen die Homoehe auf die Straße, in Italien mobilisieren die Gewerkschaften die Menschen gegen die Sparpolitik und in Griechenland sind die Bürger wegen der repressiven Arbeitsgesetze aufgebracht.

Die Protestierer als Mob oder irregeleitete Wutbürger zu diffamieren, wie es in den meisten Medienberichten geschieht, geht fehl. Denn der Protest kommt längst aus der Mitte der Gesellschaft. Hier formiert sich langsam eine bürgerliche Bewegung, die nicht mehr gewillt ist, staatliche Bevormundung, die Erosion des Mittelstandes, Inflation, steigende Steuern und Abgaben, sinkende Zinserträge, gekürzte Sozialleistungen und schon gar nicht Enteignungen zur Bankenrettung hinzunehmen. Sie wird die Politik zwingen, sich wieder dem Wahlvolk und dessen Bedürfnissen zuzuwenden. Einsicht ist bei dem Kartell aus Politikern, Finanzjongleuren und Lobbyisten nicht zu erwarten. Sie werden aber auf den Druck des Volkes reagieren und alsbald Reformen auf den Weg bringen müssen. Denn so, das ist das Signal der Proteste, können sie nicht auf Dauer weitermachen, ohne am Ende ihre Position ganz zu verlieren.

Die Besorgnis der ILO gilt in Europa vor allem den südeuropäischen Ländern, auch wenn sie in der EU ein grundsätzliches Unruhepotenzial sehen. Deutschland gilt den UN-Experten hingegen noch als stabile Ausnahme. Bürgerlicher Protest beschränkt sich hier auf Demonstrationen gegen vergleichsweise weniger essenzielle Dinge wie Infrastrukturvorhaben. Aber auch das könnte sich ändern, wenn es dem Mittelstand als dem wichtigsten Träger der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wirklich an die Existenz geht. Jan Heitmann


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