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08.06.13 / Aufnahmeprüfung mit Irrungen / Eine neue Gumbinner Geschichte von Dieter Dziobaka

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-13 vom 08. Juni 2013

Aufnahmeprüfung mit Irrungen
Eine neue Gumbinner Geschichte von Dieter Dziobaka

Du sollst nicht mehr alleine sein!“ Unter diesem Trostwort startete im Jahr 1972 die „Ostpreußische Familie“ im Ostpreußenblatt, und es galt vor allem den Vertriebenen, die sich nach der Vertreibung in einer ihnen völlig fremden Welt befanden und sich einsam und verlassen fühlten. Aber es hat noch heute seine Berechtigung, wie ich manchen Zuschriften entnehmen kann, die vor allem die Erinnerungen an eine ostpreußische Kindheit betreffen. Sie vermitteln Heimatgefühle, Geborgenheit, Eingebunden sein in eine gemeinsame Vergangenheit, über die man vielleicht nie oder nur selten sprechen konnte. So erhielt auch Herr Dieter Dziobaka auf seine in Folge 17 erschienene Fahrradgeschichte die Zuschrift einer Gumbinnerin, die dies bestätigt: „Ich habe den Beitrag mit großem Interesse gelesen. Solche Erzählungen wie die Ihre sind eine Bereicherung. Gibt es noch weitere Geschichten?“ Wo­rauf sich Herr Dziobaka motiviert fühlte, eine andere Episode aus seiner Kindheit nieder zu schreiben und sie an uns zu senden. Da sie Einblicke in das damalige Schulwesen gewährt und manche Leser sich auch an diese Zeit erinnern werden, wollen wir sie gerne bringen. So ein bisschen als „leichte Kost“ zwischen den uns oft sehr bewegenden Schicksalsfragen. Herr Dziobaka nennt seine kleine Geschichte „Die Aufnahmeprüfung“, und den Titel wollen wir stehen lassen.

„Mit dem Versetzungszeugnis in die 5. Klasse wurde ich im Jahr 1939 zur Aufnahmeprüfung an der Friedrichsschule, Gymnasium und Oberschule zu Gumbinnen, angemeldet. Die Prüfung war auf zwei Tage angesetzt. Mit meinem Vater, der zu dem prüfenden Lehrerkollegium gehörte, betrat ich die Aula der Friedrichsschule, wo sich die angemeldeten Schüler mit ihren Eltern und etlichen Lehrern versammelten. Direktor Fink hielt eine kurze Begrüßungsansprache. Dann wurden die Schüler auf mehrere Prüfgruppen aufgeteilt. Ich war zum ersten Mal in der Friedrichsschule. Das neugotische Gebäude mit dem mächtigen, spitzbogigen Deckengewölbe im Eingangsbereich beeindruckte mich schon sehr. Und erst recht die große Aula mit dem riesigen Wandgemälde an der Stirnfront, das den Empfang Salzburger Vertriebener im Gumbinner Raum durch König Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1732 zeigte.

Die Schüler, deren Namen aufgerufen wurde, erhoben sich und gingen nach vorne, um sich zu einer Prüfgruppe zusammen zu schließen. Ich war gespannt: Wann würde Direktor Fink meinen Namen nennen? Nach einer Weile war es so weit: „Dziobaka“, der Name klang durch die Aula. Wer außer mir hieß denn schon so? Ich stand also auf und ging nach vorne auf Direktor Fink zu. Der sah mich kommen und schien reichlich irritiert. Da sah ich meinen Vater auf mich zukommen, der mir klar machte, dass der Namensaufruf ihm, dem Prüflehrer, gegolten habe. Es wurden nämlich nicht nur die Schüler eingeteilt, sondern auch die zu der betreffenden Gruppe gehörenden Pädagogen. Mein Vater sagte leise, dass ich mich wieder auf meinen Platz setzen sollte, was ich auch tat. Auch ich war etwas irritiert gewesen, denn ich hatte gemeint, bei dem Aufruf vor der Namensnennung ein ,Herr‘ gehört zu haben. Einen angehenden Sextaner so respektvoll anzureden – das wäre kaum denkbar gewesen.

Nach meiner Erinnerung wurde in den Fächern Deutsch, Mathematik und einer Fremdsprache geprüft, aber nicht in Englisch, das als erste Fremdsprache ab Sexta unterrichtet wurde. Mit Latein begann man erst in der Quarta, weil man verhindern wollte, dass Schüler, deren Eltern sie auf eine solche Fremdsprache vorbereitet hatten, damit sie ja die Prüfung bestanden, in diesem Punkt nicht richtig zu beurteilen gewesen wären. Jede Gruppe wurde von zwei Lehrern – einem von der Fried­richsschule und einem von den beiden Volksschulen – geführt. Während der eine unterrichtete, bewertete der andere Begabung und die Mitarbeit der Prüflinge. Am Ende der Prüfung wurden ein Diktat und ein Aufsatz geschrieben, ebenso eine Rechenarbeit. Schließlich gab es noch einen sportlichen Test: Wir mussten mehrmals um den an die Schule grenzenden kleinen Sportplatz laufen. Wie viele Schüler die Prüfung nicht bestanden hatten, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis. Ich jedenfalls war durch und somit ein Sextaner geworden.“

Und wir freuen uns, diese kleine Geschichte mit dem Wandgemälde illustrieren zu können, das die Aula der Friedrichsschule schmückte. „Mir neue Söhne – Euch ein neues Vaterland“ lautete der darunter stehenden Ausspruch des Preußenkönigs. Es wurde ein gutes Vaterland für die Exulanten. R.G.


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