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08.06.13 / Inspiriert vom Vater / Eine Nachkriegskindheit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-13 vom 08. Juni 2013

Inspiriert vom Vater
Eine Nachkriegskindheit

Ein Berliner Junge, Jahrgang 1933, wächst als Einzelkind im Berliner Bezirk Weißensee auf, wo sein Vater ein Kurzwarengeschäft mit Weißnäherei betreibt. Dabei steht diesem seine zweite Ehefrau Annemarie zur Seite, Egons Stiefmutter. Bis zum Alter von fünf Jahren hatte Egon in nicht weniger als acht Pflegefamilien gelebt, da seine leibliche Mutter bei der Geburt gestorben war. Mit dieser Situation hoffnungslos überfordert, war seinem Vater nichts übrig geblieben, als den Sohn zu Verwandten zu geben, die sich aber ebenfalls nicht ausreichend um ihn kümmern konnten oder wollten, und so fort. Schließlich hatte ihn sein Vater bei sich aufgenommen. Verständlich also, dass Egon, von Verlust-ängsten geplagt, seine liebevolle Ersatzmutter Annemarie kaum aus den Augen lassen mag, da er nun endlich ein Familienleben hat wie andere Kinder auch. Egon schließt nach einigem Geplänkel Freundschaft mit seinem etwas älteren Mitschüler Kalle, der sich wie er fast jeden Tag auf dem Bolzplatz im Park tummelt, wo die männliche Jugend ihre Kräfte im Balltreten misst. Diese unbeschwerte Zeit endet aber kurz darauf, als sein Vater bald nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges eingezogen wird.

Mit dieser Geschichte als Auftakt beginnt Barbara Schillings liebenswürdiger und trotz des ernsten Hintergrunds heiterer Roman „Mit Erbsen auf Soldaten. Eine Freundschaft zwischen Fußball und Fliegeralarm“. Nach ihrem ersten Buch, das von der Kindheit und Jugend ihrer Mutter handelt, hat die in Potsdam lebende Autorin und Werbetexterin nun ihren zweiten biografisch gefärbten Berlin-Roman veröffentlicht, der die Kindheit ihres Vaters zum Thema hat und im gleichen Zeitraum spielt. Dazu hat sie wiederum „Familienlegenden“ herangezogen, die in ihrer, jedenfalls damals, großen und weit verzweigten Verwandtschaft väterlicherseits kursierten. Und: „Die Geschichte von Egon und Kalle ist größtenteils frei erfunden.“ Schade eigentlich, denn die aus Egons Perspektive glaubhaft erzählte Geschichte von der unverbrüchlichen Freundschaft zweier Jungen, die sich trotz der Schrecken des Bombenkrieges an die Idee klammern, später, wenn wieder Frieden herrscht, als Fußballspieler groß herauszukommen, bildet den Kern des Romans. Auch mit den Milieuschilderungen kann die Autorin überzeugen.

Grundsätzlich wendet sich diese unterhaltsame Lektüre an jede Altersklasse ab zwölf Jahren und ist geeignet, das Geschichtsverständnis junger Menschen zu schärfen und die Mentalität der Vorkriegsgesellschaft wahrzunehmen, die sich seit der Nachkriegszeit vollkommen verändert hat. Es hat allerdings manchmal den Anschein, dass es sich hier ebenso um ein Jugendbuch aus den 1950er oder 1960er Jahren handeln könnte, denn der Tonfall mutet seltsam antiquiert und konventionell an. In der gegenwärtigen Literatur werden solche Aussagen durchweg anders formuliert: „Seit Wochen war ohnehin Schmalhans Küchenmeister bei uns, oft gab es nur Bratkartoffel(n) – ohne alles“ Aus dem Rahmen fallen zudem Formulierungen wie „strukturierte Ballübungen“. So könnte es also sein, dass der Roman kein größeres Publikum findet, was bedauerlich wäre.  Dagmar Jestrzemski

Barbara Schilling: „Mit Erbsen auf Soldaten. Eine Freundschaft zwischen Fußball und Fliegeralarm“, Rosenheimer Verlagshaus, Rosenheim 2013, broschiert, 224 Seiten, 12,95 Euro


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