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15.06.13 / Man wollte es nicht wissen / Berlin: Höhere Einwohnerzahlen waren politisch erwünscht – Zensus 2001 wurde ignoriert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-13 vom 15. Juni 2013

Man wollte es nicht wissen
Berlin: Höhere Einwohnerzahlen waren politisch erwünscht – Zensus 2001 wurde ignoriert

Die jüngste Volkszählung beschert der Stadt Mindereinnahmen, denn sie hat 180000 Bewohner oder rund fünf Prozent weniger als offiziell gedacht. Die hoch verschuldete Stadt erhält daher 470 Millionen Euro weniger aus dem Länderfinanzausgleich.

Diese Zensus-Krise zeigt Berlins Abhängigkeit von föderalen Transfers, dabei hat Berlin noch Glück: Der Stichtag für die rückwärtige Neuberechnung ist der 9. Mai 2011. So betrifft das Finanzierungsloch vor allem die nahe Zukunft – eine große Herausforderung, und das in einem Jahr mit wirtschaftlichem Wachstum. Für 2013 rechnet der Senat mit 374 Millionen und 2015 mit 345 Millionen Euro, die nun extra aufzubringen sind.

Der Senat, der eigentlich mit Mehreinnahmen und geringerem Zinsdienst für Altschulden kalkulierte, droht nun den Überblick zu verlieren: Erst sprach Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) von 940 Millionen Euro, die dieses Haushaltsjahr fehlten. Darauf rechnete er Einnahmen gegen und kam auf ein Defizit von 446 Millionen Euro. Der Doppelhaushalt 2014/2015 ist jedenfalls akut in Gefahr, Neuverschuldung droht.

Doch Berlins Politik ist selbst schuld. Meldeämter wurden jahrelang nicht angewiesen, Karteileichen zu beseitigen. Bei Verstößen gegen das Meldegesetz gab es „kein massives Interesse, diese zu bereinigen“, kritisiert nun das unabhängige Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Warnungen vor fehlerhaften Zahlen gab es genug, auch von Wirtschaftsforschern. Das Landesamt für Statistik räumte zudem schon zum Testlauf des Zensus 2001 starke Unterschiede von über fünf Prozent zwischen den politischen Einwohnererwartungen und den Ergebnissen ein. Die Politik reagierte nicht. Sie ignorierte, dass sich vorwiegend Ausländer nicht abmeldeten. Von den 180000 statistisch Verschwundenen sind 60 Prozent Menschen ausländischer Herkunft, weitere 30 Prozent Zuwanderer mit deutschem Pass und nur zehn Prozent ausgewanderte Deutsche, so der für den Zensus zuständige Landesstatistiker Karsten Wenzel. Selbst die in Berlin zahlreich nicht zustellbaren neuen Steuernummern des Bundes weckten die Landespolitik nicht auf.

Doch das nun entstehende Haushaltsloch über neue Schulden zu schließen, kann sich Berlin nicht leisten: „Wir haben die klare Absicht, die Nettobelastung nicht durch zusätzliche Kreditaufnahme zu finanzieren“, sagte Nußbaum. Er muss jetzt neue Sparziele mit den Ressorts durchfechten. Für diese Haushaltsberatungen sei „kreatives Brainstorming“ gefragt, so der Senator. Träume des linken SPD-Flügels von der Förderung landeseigener Wohnungsbaugesellschaften und SPD-Programme für „bezahlbare Mieten“ stehen auf der Kippe, noch bevor sie Gestalt annehmen. Der SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß kündigte als Stimme der Parteilinken immerhin noch jüngst „Wohnungsbaufonds in Höhe von 320 Millionen Euro“ aus Bundes- und Landesmitteln an. Er hält sich jetzt bedeckt. Sein Kalkül zum Zensus ist klar: Noch-Bürgermeister Klaus Wowereit muss mit Rot-Schwarz eisern sparen, während er später mit Rot-Grün wieder Wohltaten verteilt.

Der Konflikt um die Spielräume künftiger sozialdemokratischer Politik dürfte die Partei schwer belasten, sobald die junge Garde um Stöß keine finanziellen Verfügungsrahmen mehr in Aussicht hat. Nußbaum machte seinen Senatskollegen klar, dass im zweiten Halbjahr „haushaltswirtschaftliche Steuerungsmaßnahmen“, sprich eine Haushaltssperre, verordnet werden, wenn nicht alle ihren Sparbeitrag leisten. Ende des Monats will der Senat auf der Grundlage eines Statusberichts zum Haushalt über die unmittelbaren Schritte entscheiden: Entweder sparen oder mehr einnehmen. Berliner dürfen sich also im Bundestagswahlherbst auf neue Abgaben gefasst machen, zur Unzeit für die Politik. Sverre Gutschmidt


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