19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
15.06.13 / Kleine Entmachtung Brüssels / Mit dem Ziel, dass Verträge besser eingehalten werden, stimmt Merkel für Sonderweg der Euro-Gruppe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-13 vom 15. Juni 2013

Kleine Entmachtung Brüssels
Mit dem Ziel, dass Verträge besser eingehalten werden, stimmt Merkel für Sonderweg der Euro-Gruppe

Sowohl bei Frankreichs Präsident François Hollande als auch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel deutet alles auf einen spektakulären Kurswechsel in der Europa-Politik hin. Werden die Pläne wahr, ist die EU-Kommission der große Verlierer.

Völlig neue Töne sind neuerdings von Kanzlerin Merkel zu hören. Die europäische Einigung sei an einem guten Zwischenstand angekommen. Mehr Macht für Brüssel sei nicht nötig. Auch von der Direktwahl des EU-Kommissionspräsidenten halte sie nichts, so Merkel in einem Interview mit dem „Spiegel“. Naheliegend ist die Vermutung, dass es sich bei Merkels Äußerungen um nichts anderes als Wahlkampfgetöse handele, mit der EU-Skeptiker unter den CDU-Wählern bei den Bundestagswahlen in wenigen Wochen bei der Stange gehalten werden sollen. Tatsächlich spricht aber einiges dafür, dass Merkels Absage an mehr Macht für die EU ernst gemeint ist, dass in der deutschen Europa-Politik die Würfel zu einem Kurswechsel gefallen sind.

Hintergrund für ein Umdenken Merkels dürften gleich zwei Entwick-lungen sein. Ihr bisheriges Europa-Konzept befindet sich unübersehbar in der Auflösung. Der von Merkel initiierte Fiskal-pakt für Europa – deutsches Geld für Krisenländer im Gegenzug zu Spar- und Reformzusagen – wird gerade von der EU-Kommission komplett demontiert. Reihenweise gewährt Brüssel Defizitsündern bei deren Sparplänen großzügig Aufschub. Sechs Länder – darunter die Problemfälle Frankreich und Spanien – haben zum Teil bis 2015 die Erlaubnis erhalten, sich nicht mehr an die vereinbarte Drei-Prozent-Neuverschuldungsgrenze halten zu müssen – sowohl Sparpläne als auch Geldbußen sind für diese Defizitsünder damit in weite Ferne gerückt. Parallel hat Brüssel mehrere Defizitverfahren, die bereits am Laufen waren, – etwa gegen Italien – wieder eingestellt. Brüskiert ist damit Kanzlerin Merkel, für die der Fiskalpakt das Feigenblatt war, mit dem sie die Zahlung von Milliarden deutscher Steuergelder zur Euro-Rettung gerechtfertigt hat.

Noch entscheidender dürfte allerdings sein, was sich in Paris tut. Er lasse sich von Brüssel nicht „diktieren“, was er zu tun habe, so die Reaktion von Staatspräsident Hollande auf die Brüsseler Forderungen, Frankreichs Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen. Kurz danach präsentierten Merkel und Hollande den Vorschlag, den Posten des Euro-Gruppenchefs in ein Vollzeitamt umzuwandeln – bisher haben Jean Claude Juncker und nun der Niederländer Jeroen Dijsselbloem die Aufgabe nebenbei erledigt.

Der Vorschlag hat es in sich. Er ist eine deutsch-französische Kampfansage an Brüssel. In der Praxis würde ein vollwertiger Präsident für die Euro-Gruppe nämlich einen Machtverlust für Kommissionspräsident José Manuel Barroso bedeuten. Im Zuge der Schuldenkrise hat sich die sogenannte Euro-Gruppe zu einer der wichtigsten Schaltstelle der Macht in der EU entwickelt – unabhängig von der EU-Kommission. Kommt der Vorschlag zur Stärkung der Euro-Gruppe durch, werden damit die Parallestrukturen zu Barrosos Kommission weiter verfestigt. Die Folge wäre eine Machtverlagerung; weg von der EU-Kommission, hin zur Euro-Gruppe.

Mit dem Vorschlag, der bei Merkels Paris-Besuch präsentiert wurde, ist klar, wohin nach dem Willen Hollandes künftig die Reise in der EU gehen soll. Die EU-Kommission wird entmachtet, stattdessen gibt es mehr zwischenstaatliche Wirtschaftspolitik, ausgehandelt von den Regierungschefs im Rahmen der Euro-Gruppe. Was auf den ersten Blick wie ein abrupter Wandel in Frankreichs Europa-Politik aussieht, ist tatsächlich ein Festhalten an einer Grundkonstante französischer Nachkriegspolitik unter geänderten Bedingungen. Bei dem Projekt Europäische Integration ging es Paris stets um den Zugewinn von Einfluss und Macht, nicht um die Abgabe von Souveränität. Mit der EU-Erweiterungspolitik und Brüsseler Allmachtsphantasien sind die Einflussmöglichkeiten von Frankreich in den letzten Jahren allerdings massiv gesunken.

Indem nun die Macht der Euro-Gruppe auf Kosten der EU-Kommission gestärkt wird, hofft Paris in dem kleineren Rahmen, verloren gegangenes Terrain zurückzugewinnen, vor allem aber die Vormachtstellung Frankreichs in Europa neben Deutschland wieder herzustellen.

Die Reaktionen Brüssels auf die Pläne Hollandes und Merkels sind bereits angelaufen. Wie sich die EU-Kommission die Zukunft Europas vorstellt, kann exemplarisch an Plänen zur Ban-kenaufsicht abgelesen werden. Wie die „Financial Times“ berichtet, sollen die Schalthebel der EU-Bankenaufsicht vor allem durch die Kommission und die EZB besetzt werden. Die Mitgliedsstaaten sollen dagegen nicht einmal ein Vetorecht erhalten. Kommt der Plan durch, kann die EU-Kommission europaweit Banken dichtmachen, während die betroffenen nationalen Regierungen bei den Entscheidungen ausgebootet sind.

Ohne Gefahr für Deutschland sind freilich auch die Pläne zur Stärkung der Euro-Gruppe, die Frankreichs Präsident vorschweben, nicht. Die Länder, die auf der Linie der stabilitätsorientierten Bundesbank liegen, lassen sich an einer Hand abzählen. Mehrheiten gegen Deutschland werden sich somit so leicht wie im bisherigen System organisieren lassen. Nach bisherigen Erfahrungen wird Frankreich auf die Macht des Faktischen setzen. Wichtige Schaltstellen werden mit eigenen Leuten besetzt, informelle Absprachen sichern gewünschte Abstimmungsergebnisse. Die deutsche Europa-Politik wird währenddessen erneut weltfremd von der Hoffnung leben, dass Vereinbarungen und Verträge eingehalten werden. Norman Hanert


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren