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15.06.13 / Teilsieg mit Abstrichen / Eigentlich wollte Ägyptens Präsident durchregieren, doch die Justiz hat seine Pläne durchkreuzt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-13 vom 15. Juni 2013

Teilsieg mit Abstrichen
Eigentlich wollte Ägyptens Präsident durchregieren, doch die Justiz hat seine Pläne durchkreuzt

Ägyptens Verfassungsgericht hat nach dem Parlament auch den von Muslimbrüdern und Salafisten dominierten Senat für verfassungswidrig erklärt. Für Präsident Mohammed Mursi, der nicht nur die Wirtschaft zum Tiefstand geführt hat, wird es eng.

Der Machtkampf zwischen den Islamisten um Präsident Mursi und seiner Muslimbruderschaft und seinen Gegnern samt der Judikative geht in Ägypten in eine neue Runde. Noch vor der Wahl von Mursi zum Präsidenten war im Sommer letzten Jahres das demokratisch gewählte Parlament wegen formaler Fehler im Wahlgesetz noch vom Militärrat aufgelöst worden. Mursi war es trotz mehrmaliger Versuche nicht gelungen, das alte, von der Muslimbruderschaft dominierte Parlament wieder einzusetzen. Er versuchte stattdessen die Kompetenzen des Unterhauses an das ägyptische Oberhaus, die zweite Kammer der Volksvertretung, die ebenfalls von der Muslimbruderschaft beherrscht wird, zu übertragen. Jetzt wurde auch dieses Oberhaus vom Obersten Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Laut Gericht ist das Wahlrecht – auf dessen Grundlage das Oberhaus des Parlaments gewählt wurde – nicht verfassungsgemäß.

Nachdem in Ägypten bereits die Legislative und die Exekutive unter Kontrolle der Islamisten geraten waren, konnte zumindest die Judikative, die dritte Macht im Staate, trotz mehrmaliger Versuche Präsident Mursis, sie zu schwächen, ihre Unabhängigkeit behaupten. Nun hat das Verfassungsgericht auch die Zusammensetzung der verfassungsgebenden Versammlung für ungültig erklärt und somit auch indirekt die neue Verfassung, die bereits vom Volk angenommen war, wieder gekippt. Die Auswirkungen des Urteils sind jedoch nicht klar. Einige Experten geben zu bedenken, dass die Verfassung nicht juristisch angegriffen werden könne, da sie per Referendum von der Bevölkerung angenommen wurde. Das hat die politische Blockadesituation in Ägypten weiter verkompliziert.

Das Gericht hat jetzt die Empfehlung ausgesprochen, das von Islamisten dominierte Oberhaus so lange im Amt zu lassen, bis ein neues Parlament gewählt wird. Damit wächst nun der Druck auf die Regierung, Parlamentswahlen anzuberaumen. Geplant waren diese bereits im April. Angesichts von Wirtschaftskrise und Boykottaufrufen der Opposition waren die Wahlen aber abgesagt worden. Die Wahl wird frühestens im Herbst erwartet. Die große Frage ist, ob sich die liberale Opposition bis zu diesen Wahlen zusammenraufen kann, um die Mehrheitsverhältnisse im Parlament zu verschieben. Gelingt das nicht, wird das Land auf absehbare Zeit im Konflikt zwischen Islamisten und Liberalen sowie dem Präsidenten und der Justiz gelähmt bleiben.

Mehr als zwei Jahre nach dem „Arabischen Frühling“ in Ägypten sind die wichtigsten Errungenschaften dieses Frühlings durch die islamistische Führung zurückgenommen worden. Nur die Justiz hat einen Teilsieg erreicht. An der gegenwärtigen politischen Machtkonstellation ändert sich zunächst jedoch nichts. Solange das Oberhaus im Amt bleibt, wird weiter die islamistische Mehrheit die Gesetze machen. Hätte das oberste Gericht die sofortige Auflösung des Oberhauses gefordert, wäre die gesamte gesetzgeberische Macht an Mursi gegangen, was diesem im Endeffekt eine noch größere Machtfülle verliehen hätte als Ex-Diktator Husni Mubarak seinerzeit, gegen den die Facebook-Revolution vom Februar 2011 eigentlich gerichtet war.

In der Bevölkerung ist der Unmut über die Führung der Muslimbruderschaft groß. Die Zustimmungsraten für Mursi sinken. Dies will nach dem Durchmarsch der neuen islamistischen Verfassung eine Bürgerinitiative ausnutzen, die seitdem Unterschriften unzufriedener Ägypter gegen den Präsidenten sammelt. Das Ziel der Initiative Tamarod (Rebellion) ist nach deren eigenen Angaben mehr Unterschriften zu sammeln als die 13,2 Millionen Wählerstimmen, die Mursi in der Präsidentschaftswahl erreicht hatte, als er die Wahlen mit 51 Prozent bei 45 Prozent Wahlbeteiligung gewonnen hatte. Bis Ende Juni, dem ersten Jahrestag von Mursis Amtsantritt, wollen sie dieses Ziel erreichen. Dieses Beispiel beweist, dass sich trotz widriger Umstände in Ägypten erste zivilgesellschaftliche Strukturen bilden konnten. Großen Anteil daran hatten auch die von Mursi bekämpften ausländischen politischen Stiftungen.

Die islamistische Politik hat die Wirtschaftskrise Ägyptens noch verschärft. Der Versuch der Islamisten, die Macht zu monopolisieren, hat nicht nur die säkulare Opposition auf die Straßen getrieben. Die Straßenkämpfe haben auch dazu geführt, dass der Tourismus um bis zu 80 Prozent zurückgegangen ist. Das ambivalente Verhältnis der Muslimbrüder zu Recht und Gesetz ist auch ein Hindernis für die ordnungsliebende Geschäftswelt, die kein Vertrauen in die Regierung Mursi hat. Unpopuläre Sparmaßnahmen sollen jetzt das Land weiter kreditwürdig halten. Sogar die Verstaatlichung von Schlüsselunternehmen wird diskutiert. Allein mit dem für die Weltwirtschaft wichtigen Suez-Kanal, um den bereits einige Kriege ausgefochten wurden, verfügt Ägypten über eine zuverlässige Einkommensquelle, welche zu einer Stabilisierung beitragen könnte.

Fast die Hälfte der ägyptischen Wirtschaft liegt seit Jahrzehnten in den Händen der Generäle, ein Tabuthema, auch für den Internationalen Währungsfonds und die westlichen Regierungen, die in den Militärs einen Garanten der Stabilität sehen. Ohne eine Entmachtung der islamistischen und der militärischen Oligarchie kann die ägyptische Wirtschaft aber kaum an Fahrt gewinnen. Bodo Bost


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