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22.06.13 / Anfang und Ende eines Traums / Nachdenken über John F. Kennedys Besuch in Berlin, seinen Tod und den Vergleich mit Barack Obama

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-13 vom 22. Juni 2013

Anfang und Ende eines Traums
Nachdenken über John F. Kennedys Besuch in Berlin, seinen Tod und den Vergleich mit Barack Obama

US-Präsidenten zu Besuch in Berlin: Wie war die Stimmung damals bei John F. Kennedy und wie ist sie heute, 50 Jahre danach, bei Barack Obama?

Wir waren wie elektrifiziert. Er kommt, tatsächlich, leibhaftig, endlich. Fast zwei Jahre lang hatten wir gehofft und gebangt, hatten sein lasches Desinteresse am Bau des kommunistischen Mauermonstrums kritisiert. Und dann endlich die erlösende Nachricht aus Washington: JFK, Hoffnungsträger der westlichen Welt und Botschafter der Freiheit, kommt Ende Juni 1963 nach Berlin.

Keine Spur mehr von Kritik, Skepsis oder gar Amerikafeindlichkeit. Der Ruf des jugendlich-dynamischen Weltenretters, der John F. Kennedy voraneilte, bemächtigte sich auch der Studentenschaft in Berlin. Wir waren damals im ersten Semester, hatten gerade unser Abitur gemacht. Seit wir politisch denken konnten, prägten ältere Herren à la Adenauer, Lübke, Eisenhower oder de Gaulle unser Politikerbild. Aus dieser Perspektive war der 46 Jahre junge Kennedy geradezu „einer von uns“. Dass auch er der Kriegsgeneration angehörte, als Marineoffizier im Pazifik gedient hatte und in seiner Heimat als Held gefeiert wurde, spielte damals noch keine Rolle; an deutschen Universitäten (und Gerichten!) galten Soldaten noch nicht generell als „Mörder“. (Dieses schreckliche Fehlurteil sollte übrigens auch angesichts der Fluthelfer in Bundeswehruniform noch einmal gründlich überdacht werden.)

Für uns junge Studenten jedenfalls war es ganz selbstverständlich, dass wir dabei sein wollten. Und wir standen mittendrin unter all diesen Zigtausenden, die Kennedy zujubelten. Wir spürten: Da ist nichts inszeniert, organisiert, angeordnet. Da ist alles echt. Da sind Menschen, die noch wissen, wem sie in den Hungerwintern nach dem Kriege und während der Berlin-Blockade das nackte Überleben zu verdanken hatten.

In ganz frischer Erinnerung hatten wir auch die Bewältigung der Kuba-Krise. Kennedy stand für „Freiheit statt Sozialismus“ – was wir bei Adenauers „alter“ CDU bespöttelten, ließ uns bei Kennedys „jungem“ Amerika jubeln.

Wir sahen nur die „Schokoladenseite“ Amerikas (in den eigenen Kindheitserinnerungen durchaus auch wörtlich), weil es so schön zu unseren Hoffnungen passte. Wer sonst sollte unsere Freiheit, unser zart heranwachsenden Pflänzchen namens Demokratie, unseren als Wirtschaftswunder verklärten Wohlstand schützen und bewahren, wenn nicht der jugendliche Kennedy, das junge Amerika?

Und noch etwas bewegte uns: ein fast ungebrochener Fortschrittsglaube. Die USA waren für uns das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, ließen uns davon träumen, dass Technik in Diensten der Menschheit alles möglich mache. Das war unsere vorweggenommene Version von Obamas „Yes we can“. Dieser 29. Juni 1963 sollte uns bestätigen und ermutigen. Ein stolzes „Ich war dabei“ begleitet noch heute die Erinnerungen an den Platz vor dem Schöneberger Rathaus, wo der aus Düsseldorf stammende Student sich, eins mit „seinem“ Traum-Präsidenten, als „Berliner“ fühlen durfte. Erst recht im abgesperrten US-Areal in Dahlem, wo dieser Student dank seines Nebenjobs in der GI-Snack-bar sich JFK bis auf zwei Meter nähern konnte – welch ein Erlebnis!

Fünf Monate später dann die brutale Ernüchterung. Unsere Clique hatte sich gerade bei einem Freund versammelt, um das nahende Wochenende mit einem Bierchen einzuleiten, da kam die Sondermeldung „Anschlag auf Kennedy“. Spontan zog es uns wieder zum Schöneberger Rathaus. Ganz ohne Facebook und Twitter trafen wir uns zu Tausenden zum Trauerzug. Auf dem Balkon, wo JFK uns begeistert hatte, suchte Willy Brandt – vergebens – nach würdevollen Worten; er war bei der „Einleitung“ des Wochenendes wohl schon einige Gläschen weiter gewesen als wir.

In unsere Trauer mischte sich Zorn. Das hässliche Amerika, diese Fratze sinnloser Gewalt, hatte in wenigen Minuten unseren schönen „american dream“ jäh zerstört. Mit dem jugendlich strahlenden JFK war auch unser Glauben an eine bessere Zukunft gestorben. Die USA waren nicht mehr das Vorbild, repräsentierten nicht mehr unsere Ziele. Auf einmal sahen wir ein Amerika voller archaischer Gewalt, in dem Freiheit zu Verantwortungslosigkeit entartete, Leistung zu Rücksichtslosigkeit und Vaterlandsliebe zu Nationalismus und Rassismus.

Nun schlug die Stunde der „Reichsbedenkenträger“. Überzogene Begeisterung schlug um in maßlosen Antiamerikanismus. Die Weltkriegsieger und Besatzer, die für viele Deutsche inzwischen zu Freunden geworden waren, wurden wieder zu Feinden.

Seither bewegt sich das deutsch-amerikanische Verhältnis auf diesem schmalen Grad. Daran ändert auch der Besuch des heutigen US-Präsidenten in Berlin nichts. Kennedy und Obama – ein Vergleich ist nur sehr begrenzt möglich. Sicher wurde Obama vor fünf Jahren, als Kandidat, mit ähnlich erwartungsvoller Verehrung empfangen wie einst JFK. Aber eben auch mit Protesten und Demonstrationen, im Gegensatz zu JFK.

Enttäuschungen gab es damals wie heute. Der Unterschied: Dass Obama die hochgesteckten Erwartungen gar nicht erfüllen konnte, war absehbar. Seine erste Amtszeit bestätigte, was sachlich urteilende Skeptiker längst angekündigt hatten: trotz aller Sympathie zum Scheitern verurteilt.

Kennedy hingegen verkörperte bis zuletzt ein Bild, das erst durch die brutale Endgültigkeit des Todes zerstört wurde. Am 26. Juni 1963 wollte JFK ein „Berliner“ sein. Am 22. November 1963 aber wollten wir keine „Amerikaner“ mehr sein. Hans-Jürgen Mahlitz


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