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22.06.13 / Geschwister auf Zeit – wo sind sie geblieben? / Die Geschichte einer wunderbaren Hilfe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-13 vom 22. Juni 2013

Geschwister auf Zeit – wo sind sie geblieben?
Die Geschichte einer wunderbaren Hilfe

Es gibt Suchfragen, die gehen nicht mit wenigen Sätzen zu übermitteln, sondern verlangen Erläuterungen. Wenn es gleich drei verschiedene Fragen sind, die von Pfarrer i. R. Klaus Plorin gestellt werden, würde nicht einmal unsere ganze Familienseite für eine Veröffentlichung reichen. Wiederum sind die Fragen so außergewöhnlich, da sie kaum bekannte Vorfälle betreffen, dass sie unbedingt nach einer Weitergabe verlangen. So heißt die Lösung: aufteilen! Also wählen wir für heute einen Suchwunsch aus dem langen Schreiben von Herrn Klaus Plorin, bayerischer Pfarrer im Ruhestand, der allein schon den Platz für einen Extrabeitrag füllt. Die anderen beiden Fälle müssen warten, wobei sich bereits die Verbindung der einen Frage mit einer fast gleichzeitigen Zuschrift von anderer Seite ergeben hat. Der Zufall spielt eben bei uns eine große Rolle – vielleicht auch bei der Lösung dieser so ungewöhnlichen Suchfrage.

Der Königsberger Klaus Plorin, *1937 in Königsberg geboren, blieb mit seiner Mutter und einem jüngeren Bruder in der zerstörten Heimatstadt zurück. Frau Plorin ernährte als selbständig praktizierende Dentistin und Zahntechnikerin die Familie, ihr Arbeitsplatz war die Küche ihrer Wohnung. Deshalb galt sie als „nicht berufstätig“, als sich im Frühjahr 1947 die Möglichkeit für eine Auswanderung Richtung Westen ergab. Das war weit vor der Zwangsaussiedlung, die dann im Herbst 1947 erfolgte. Frau Plorin reichte also ihren Antrag auf Auswanderung für sich und ihre beiden Kinder ein. Nach bangem Warten hielt sie endlich Ende Mai die Genehmigung in den Händen. Sie musste den Prospekt von der russischen Verwaltung abholen, die sich in der ehemaligen Mädchengewerbeschule befand. Dort wartete bereits eine lange Schlange von Antragstellern, denn viele in Königsberg und Umgebung verbliebene Deutsche wollten ausreisen, etwa 1000 erhielten eine Genehmigung. Neben Frau Plorin und ihren Kindern stand ein etwa 14 Jahre alter Junge. Sie kamen ins Gespräch und der Junge erzählte, dass seine Mutter vor einer Woche verstorben sei. Nun hole er die Papiere für sich und seine beiden jüngeren Geschwister ab, um nach Berlin zu ihrer Oma ausreisen zu können. „Kann ich euch helfen?“, fragte Frau Plorin. Das sei nicht nötig, antwortete der Junge, er habe ja schon seit Monaten seine kranke Mutter und die beiden Geschwister versorgt. Als der Junge aufgerufen wurde, fragte ihn die russische Beamtin am Schalter, wo denn seine Mutter sei. Als sie von ihrem Tod erfuhr, sagte sie, es tue ihr leid, aber Minderjährige dürften nicht allein auswandern, sie müssten ins Waisenhaus.

Der Junge brach darauf in Tränen aus und erklärte, dass in Berlin seine Großmutter doch auf ihre Enkel warte. Frau Plorin mischte sich ein und fragte, ob sie bei dem Problem helfen könne. „Ja“, sagte die Beamtin, „wenn es Ihre Kinder wären, könnten Sie die Drei mitnehmen.“ Wie das denn möglich sei, fragte Frau Plorin. „Ich schreibe einfach die Namen in Ihre Papiere“, antwortete die freundliche Frau. Weil der Junge sofort dankbar zustimmte und die Beamtin ohne Zögern die Fälschung vollzog, hatte Frau Plorin plötzlich fünf Kinder. Ihr Sohn erinnert sich noch heute daran: „Ich hatte einen großen Bruder und erstmals auch eine Schwester, jedenfalls für die Zeit der Fahrt bis zur Ankunft in Berlin. Am 4. Juni 1947 bei mehrere Stunden dauernder Filzung – mit dem Raub alles bis dahin gerettetem Wertvollen und aller Papiere! – durch die Russen an der Grenze in Preußisch Eylau sagte ein Offizier, als er unsere Mutter mit uns fünf Kinder sah, anerkennend: „Gliickliche Mutter!“

Da ahnten die sieben „Auswanderer“ noch nicht, was ihnen bevorstand. Der Fahrt war nur bis Korschen organisiert. Mit etwa 40 anderen Müttern, Kindern und alten Leuten flehten sie den deutschen Lokomotivführer eines leeren Beutezuges aus Moskau an, sie auf seiner Rückfahrt nach Berlin in den beiden Viehwaggons mitzunehmen. Das geschah auch, aber der Zug konnte wegen der eingleisigen Strecke nur nachts und sehr langsam fahren, so dass die Reise bis Schneidemühl vier Tage dauerte. Da war der Proviant verbraucht, und fünf hungrige Schnäbel wollten gestopft werden! Polnische Streckenarbeiter halfen mit Brot und Speck. „Als wir am frühen Morgen auf einem Berliner Bahnhof ankamen, nahmen Frauen der Bahnhofsmission die drei Geschwister in Empfang“, erinnert sich Pfarrer Plorin, „Wir haben sie seitdem nie mehr gesehen. Weil wir dann mit der schwierigen Weiterreise nach Köln zu unserem Vater voll beschäftigt waren, vergaßen wir leider auch ihre Namen. Aber jetzt im Alter frage ich mich, wie es den drei Geschwistern weiter ergangen sein mag. Ob sie noch leben und sich vielleicht an uns erinnern?“

Ja, das ist eine schwierige Frage. Der große, damals schon sehr selbständige Junge müsste sich als heute 80-Jähriger an die Ausreise im Todesjahr seiner Mutter erinnern – wenn er noch lebt und unsere PAZ in die Hände bekommt. Da die Großmutter in Berlin wohnte, dürften die Kinder auch dort geblieben sein. Mehr ist im Augenblick nicht zu tun, als zu hoffen, dass hier wieder einmal ein Wunder geschieht. (Pfr. i. R. Klaus Plorin, Waldstraße 15 in 90607 Rückersdorf, Telefon 0911/5700509, Fax 0911/5404064.) R.G.


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