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22.06.13 / »Ich bin in tiefe Wasser geraten« / Nach der Flut wird angepackt – Die Bewohner in den vom Hochwasser gebeutelten Regionen lassen nicht die Köpfe hängen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-13 vom 22. Juni 2013

»Ich bin in tiefe Wasser geraten«
Nach der Flut wird angepackt – Die Bewohner in den vom Hochwasser gebeutelten Regionen lassen nicht die Köpfe hängen

So schlimm die neue „Jahrhundertflut“ auch war, so hatte sie doch eine gute Seite: Wildfremde Menschen halfen einander. Das Aufräumen danach glich einem Fest an Solidarität. Jetzt hofft man, dass nach der Flut auch die Touristen solidarisch bleiben und ihre geplanten Reisen in die betroffenen Gebiete nicht stornieren.

Der Reiz der Stadtansicht von Dresden ergibt sich aus dem Zusammenspiel der feierlichen Kuppeln und Türme mit der ruhigen Horizontale der Elbe und ihren natürlichen Auen. Dort lagert sonst in den hellen Sommernächten die Jugend und gibt inmitten der Stadt ein ahnungsvolles Bild friedlich gebundener Lebenskraft. Gerade im Juni erblüht das „deutsche Florenz“ (Herder) besonders anmutig.

Doch in diesem Jahr peitschte ein Sturzregen zu Beginn des Monats die frische Blüte der Robinien auf den Asphalt der Straßenränder. Anstatt unter einem duftenden Blütendach zu spazieren, war Achtsamkeit nötig, um nicht in einem fingerdicken, bald faulig riechenden Brei auszugleiten. Das war nur der Vorbote eines anderen übelriechenden Schlamms. Bald darauf waren die Elbwiesen in den Fluten verschwunden. Langsam stieg mit dem Wasser die dumpfe Ahnung, wie schlimm das werden könnte. Die sonst so anmutige Elbschleife in der Dresdner Talweitung verschwamm zwischen Pirna und Meißen zu einem braunen Amazonas. Die Flutrinne bei Kaditz wirkte wie ein riesiger Strom.

Wie 2002 versammelten sich die Menschen zu fröhlicher Hilfsbereitschaft. Während in Dresden-Laubegast ein wiederbelebter alter Elbarm ein ganzes Stadtgebiet zu einer Insel ohne Stromversorgung machte, herrschte an der Leipziger Straße im Norden der Stadt eine Art Festivalstimmung. Schüler befüllten Sandsäcke und reichten sie in langer Reihe weiter. Die Straßenbahn entließ Jungen und Mädchen in Gummistiefeln, die sich der Reihe anschlossen.

Das war die schöne Seite des Ausnahmezustandes. Jeder machte sich Gedanken, wie er dem ge­meinsamen Werk nützlich werden konnte. Es wurden kernige Parolen verbreitet. Vom Widerstand gegen die Flut war die Rede. Aber je brauner und übelriechender diese sich zeigte, umso deutlicher wurde, das alles Widerstehen nur zu einem Aufschub führte.

An vielen Stellen durchdrangen bald Rinnsale die durchnässten Dämme. Fluss­abwärts sollte in der gesamten Meißener Altstadt an diesem Wochenende ein Literaturfest ge­feiert werden. Einen Tag zuvor musste allen Teilnehmern ab­gesagt werden. Ein Festkonzert der Elbland Philharmonie Sachsen mit Opernchören von Wagner und Verdi, das auf dem Burgberg über der Elbe stattfinden sollte, wurde kurzfristig in die Lutherkirche ins nahe Radebeul verlegt.

Auch in Radebeul stand das Wasser in den elbnahen Ortsteilen und Pfarrer Heinze begrüßte seine unerwarteten Gäste mit der Klage aus dem 69. Psalm: „Ich bin in tiefe Wasser geraten und die Flut will mich verschlingen.“ Bemerkte aber auch, dass es einige Verse später heißt: „Den Namen Gottes will ich preisen im Lied.“ Also gab der Dirigent das Zeichen und mit der Ouvertüre zum „Fliegenden Holländer“ schwappten diesmal die musikalischen Wogen lautmalerisch durchs Kirchenschiff. Die Kollekte wurde spontan zugunsten der Hochwassergeschädigten umgewidmet.

Eine Wetterwarnung für das Wochenende spannte dann die Nerven bis zum Zerreißen. Während im Erzgebirge weitere Gewitterschäden entstanden, waren die Niederschläge im Prager Becken geringer als erwartet und damit blieb der Elbpegel weiter rückläufig. Aber wo die Dämme standgehalten haben und der Fluss nun zu sinken begann, stieg inzwischen das Grundwasser aus den Gullys.

So auch gegenüber Radebeul, im zu Dresden eingemeindeten Elbdorf Gohlis, wo Angehörige des herbeigeeilten Technischen Hilfswerks aus dem hessischen Biedenkopf im Verein mit der Ortsfeuerwehr das Wasser aus den Grundstücken hinter dem Damm zurückpumpten. In manchen der preisgegebenen Häuser stand es bereits bis zur Decke des ersten Stocks. Leichtfertig wurde hier nach 1990 ein Wohngebiet in die Niederung gebaut. An vielen elbnahen Ortsteilen ließ die Überflutung deutlich werden, was im Normalzustand nur der Fachmann sieht: Unsere Vorfahren wussten, wo sich sicher bauen ließ. Alte Ortskerne bleiben oft bis zuletzt verschont.

Mit dem Rück­gang des Wassers begann erst die richtige Arbeit. Die Brücken wurden nach und nach wieder freigegeben. Mehrere Tage zogen sich die Absperrungen für den privaten Kraftverkehr noch hin. Ein großes Aufgebot an Polizei blieb an den Straßen postiert. Das Stadtwerk schickte seine Elektriker und warnte vor unsachgemäßer Selbsthilfe. Die Amtsärzte mahnten zur Hygiene und auf einen wirksamen Tetanusschutz zu achten. Das Wasser wich, aber der Schlamm bleibt zurück und die Bürokratie machte sich geltend. Von den Ortsämtern und Rathäusern wurden sogenannte Hochwasserbescheinigungen ausgeteilt.

Doch naheliegend sind jetzt erst einmal wahre „Handgreiflichkeiten“. Mit Wasserschlauch, Druck­strahlgeräten, Besen und Schaufel werden die Schlammschichten abgetragen. Wenn sie erst einmal aushärtet, ist ihr kaum noch beizukommen. Ein weiteres Problem ist auch der Grundwasserdruck in den Kellern. Viele Hausbesitzer wollen schnell das Wasser aus ihren Kellern haben. Doch dadurch kann unter ungünstigen Umständen wegen des Gegendrucks eines hohen Grundwasserspiegels der Schaden am Bauwerk vermehrt werden. In Meißen steigen entlang der Elbe an vielen Stellen die Fontänen des abgepumpten Wassers zurück in den Fluss. In den Gassen der unteren Stadt liegen überall Kabel. Notstromaggregate rauschen vor den Häusern, Sperrmüllhaufen türmen sich auf.

Zwischen den leergeräumten Ladengeschäften im Erdgeschoss hat ein Gemüseladen provisorisch geöffnet. An den Tischen vor einem Café rasten die erschöpften Meißner Bürger mit ihren Helfern. Am späten Nachmittag stellen sich dann die ersten Touristen wieder ein. Und das ist gut so. Denn bereits 2002 klaffte eine gefährliche Schere zwischen zwei gegenläufigen Anliegen: Eindringlich wurde um Unterstützung bei der Beseitigung der Hochwasserfolgen geworben. Dabei spielte die Bildberichterstattung eine große Rolle, um emotionale Anteilnahme zu erwecken. Doch den Bildern von der Flut ist bereits eine Stornierungswelle so mancher Reisenden gefolgt.

Der Geschäftsführer des sächsischen Hotel- und Gaststättenverbands, Frank Lehmann, beklagt einen Eindruck, als würde ganz Sachsen in einer Sintflut versunken sein. Er befürchtet, dass die Folgeschäden der Ka­tastrophen-Berichterstattung für sein Gewerbe unterm Strich bedrohlicher werden könnten als die direkten Flutschäden. Sebastian Hennig


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