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29.06.13 / Russische Villen, deutscher Stil / Neue Architektur in Rauschen und Neukuhren orientiert sich an historischen Vorbildern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-13 vom 29. Juni 2013

Russische Villen, deutscher Stil
Neue Architektur in Rauschen und Neukuhren orientiert sich an historischen Vorbildern

Bis vor wenigen Jahren war die Architektur im Königsberger Gebiet geordnet: Die deutschen Häuser, welche die Zeiten überstanden hatten, blieben als Ruinen hübsch und sehenswert, die nach 1945 entstandenen Bauten hingegen glichen Baracken – alte Schönheit stand neben sowjetischer Hässlichkeit.

Wer heute die neue Autobahn von Königsberg nimmt und die Kurorte an der samländischen Küste besichtigt, kann überraschend feststellen, dass sich deren Schönheit vermehrt. Plötzlich verfallen und verschwinden die Anfang des vorigen Jahrhunderts errichteten Sommerhäuser und Strandvillen nicht mehr, nein, sie vermehren sich auf wundersame Weise. Bauherren der neuen Villen, deren Fachwerk-Elemente, Gauben und Erker an Schöpfungen von Königsberger Architekten wie Max Schoenwald oder Otto Walter Kuckuck erinnern, sind reiche Russen aus Königsberg oder Mos­kau. Normalerweise bauen sie anders: bunt und protzig. Doch an der Samlandküste sind ihre Häuser bescheiden, angepasst und auf den ersten Blick irgendwie deutsch. Rauschen und die anderen Badeorte an der Küste werden inzwischen so weitergebaut, als ob es die sowjetische und nachsowjetische Zeit nicht gegeben hätte – deutsche Landhaus- und Villenarchitektur wird nahtlos fortgesetzt. Bei manchen Privathäusern handelt es sich um detailgetreue Rekonstruktionen alter Vorbilder. Andere Neubauten – vor allem Geschäftshäuser und Gaststätten – sind (oftmals recht freie) Interpretationen mittelalterlicher Ordensarchitektur.

Vor wenigen Jahrzehnten haben die Russen noch anders gebaut. Damals sollte die Herrschaft über das Land auch durch eine neue, sowjetische Architektur bekräftigt werden. Das Königsberger Schloss musste fallen, damit das Haus der Räte errichtet werden konnte. Jedes Anknüpfen an ein deutsches Vorbild wäre undenkbar gewesen.

Und heute? Moderne Russen sind nicht weniger stolz auf ihr Land als es die Menschen in der Sowjetunion waren, vermutlich sind sie stolzer. Sie können ihr Land lieben – und gleichzeitig deutsch bauen. Das Freund-Feind-Denken gehört – zumindest in künstlerischen Dingen – der Vergangenheit an. Heute ist deutsche Architektur eine Attraktion im Königsberger Gebiet, schätzen die Russen in der Enklave gerade den deutschen Stil.

Zu den Bauherren, die sich auf deutsche Architekturtradition berufen, gehört selbst der Präsident. Wladimir Putin hat sich in Neukuhren [Pionerskij] eine Residenz direkt am Strand errichten lassen, einen umgerechnet 140 Millionen Euro teuren Bau mit 5000 Quadratmetern Wohnfläche. Ecktürme und gotische Zitate im zentralen Giebelfeld sollen offenbar an deutsche Ordensarchitektur erinnern. Die kompakte, burgartige Anlage des 2012 fertiggestellten Gästehauses unterstreicht diesen Eindruck noch. Aber auch auf alte ostelbische Gutshäuser bezieht sich die Residenz; allein die großflächigen Fenster verweisen auf das 21. Jahrhundert.

Russische Quellen berichten, dass das Gästehaus auf den Grundmauern eines Anwesens entstand, das einst, vor über 100 Jahren Reichskanzler Otto von Bismarck zur Verfügung gestanden hatte. Offenbar wurde der Ort bewusst gewählt – eine historische Linie von den Ordensrittern über den deutschen Reichskanzler zum russischen Präsidenten. Zum Strand begrenzt ein hoher Zaun das Anwesen; die neue Promenade steht allerdings der Allgemeinheit offen.

Die Natur meinte es mit der Residenz in Neukuhren nicht gut. Nur Monate nach der Fertigstellung, im März 2013, wurde die neue Promenade vom Hochwasser unterspült. Mit Millionenaufwand muss das Gästehaus nun gesichert und saniert werden. Aber an Geld, so scheint es, herrscht heute in Russland kein Mangel.

Mit Putin kommen inzwischen auch die Moskauer Oligarchen in die westliche russische Enklave und suchen einen Ort für ihr Investment. In Rauschen, Neukuhren und Palmnicken werden die Grundstücke knapp. Aber natürlich zieht es auch Touristen an die Bernsteinküste, die im großen russischen Reich ihresgleichen sucht. Attraktionen sind der Ostseestrand, die wilden Schluchten, die sehenswerte Kurorte – und nicht zuletzt die deutsche Architektur. Nils Aschenbeck


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