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29.06.13 / Von Berlin stiefmütterlich versorgt / Porträt der Königsberger Universität zeigt, dass die einst renommierte Hochschule im Deutschen Reich vernachlässigt wurde

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-13 vom 29. Juni 2013

Von Berlin stiefmütterlich versorgt
Porträt der Königsberger Universität zeigt, dass die einst renommierte Hochschule im Deutschen Reich vernachlässigt wurde

Die im Jahr 1544 gegründete Universität Königsberg war nach Rostock (1419) die älteste deutsche Hochschule an der Ostsee. Ihr berühmtester Gelehrter war Immanuel Kant, der den Ruhm der „Albertina“ in alle Welt trug und sie für Studenten gerade aus den östlichen Ländern Europas zu einem zeitweise fast magischen Anziehungspunkt machte.

Der Berliner Wissenschaftshistoriker Christian Tilitzki hat vor zwölf Jahren eine zweibändige, ebenso gerühmte wie auch kritisierte Philosophiegeschichte vorgelegt. Ebenso voluminös wird nun auch sein neues Vorhaben, eine Geschichte der Universität Königsberg von 1871 bis 1945, ausfallen. Jetzt liegt der erste, mehr als 800 Seiten umfassende Band für die Jahre 1871 bis 1918 vor; der zweite soll bis Ende 2014 folgen.

Der Autor hat das Buch nach einer kursorischen Einleitung zur Geschichte der allgemeinen Hochschulforschung in Deutschland in drei Kapitel unterteilt: In die Jahre von der Reichsgründung bis zur Jahrhundertwende, dann von 1900 bis zum Kriegsausbruch 1914, am Ende die Kriegsjahre bis 1918. Jedes Kapitel ist annähernd gleich strukturiert: Einer allgemeinen Darstellung zur geistigen Situation der Zeit folgen Kapitel zur personellen und institutionellen Ent- wicklung an der Universität.

Die interessantesten Kapitel sind jene zur inneruniversitären Entwicklung, also zu den einzelnen Fakultäten und zu deren Strukturen, zur Besetzung der Lehrstühle und zur Berufungspolitik des Kultusministeriums in Berlin. In unglaublicher Quellen- und Archiv-arbeit hat Tilitzki mit detektivischem Gespür den Werdegang fast jedes einzelnen Wissenschaftlers verfolgt und oft über biografische Angaben hinaus eine Beurteilung jeweils der wissenschaftlichen Leistung und der politischen Haltung vorgenommen. Der immense Anmerkungsteil lässt nur ahnen, wie intensiv der Autor hier – 586 Personen zählt der „Catalogus Professorum“ (übrigens nur Männer!) – recherchiert hat, eine Leistung, die allein unter dem Aspekt „Fleißarbeit“ kaum ihresgleichen hat.

Das Fazit ist einigermaßen ernüchternd: Ihre Blütezeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnte die Universität nicht halten; im Gegenteil, sie geriet nach 1870 mehr und mehr gegenüber anderen Hochschulen ins Hintertreffen. Nach einem, wie man heute sagt, „Ranking“ aus der Zeit um 1900 nahm Königsberg unter den 20 deutschen Universitäten nur den 14. Rang und unter den neun preußischen Hochschulen den sechsten Rang ein. Selbstredend war Berlin die Nummer Eins, aber auch Hochschulen wie Bonn, Breslau, Göttingen (in der Physik), ja sogar Kiel und Greifswald schnitten besser ab. Allerdings: das Landwirtschaftliche Institut in Königsberg erhielt beispielsweise 1898/99 rund 22600 Mark, das in Bonn-Poppelsdorf bekam 227000 Mark, dicht gefolgt von Berlin (233000 Mark), Halle (156000 Mark) und Breslau (48000 Mark).

Das vielgerühmte „System Althoff“, also die Politik des Preußischen Ministeriums unter der bestimmenden Ägide des Ministerialdirektors Althoff, zeigte hier seine hässliche Kehrseite: Königsberg interessierte in Berlin nicht, die Hochschule wurde knapp gehalten, erreichte bestenfalls Mittelmaß. Berichte, die Tilitzki bringt, schildern geradezu haarsträubende Zustände in Instituten und Bibliotheken; er erwähnt aber auch uralte, geradezu abschreckend verknöcherte Wissenschaftler. Königsberg war, so Tilitzkis Fazit, ein „stagnierender Bildungsstandort“.

Das auch vom Preis her außerordentliche Buch wird vermutlich nur in wenige Haushalte Eingang finden, wohl aber doch an größeren Bibliotheken, in Instituten und bei regionenbezogenen Vereinigungen. Sollte der zweite Band ebenso materialreich ausfallen, haben wir die einigermaßen kuriose Situation, dass jetzt die Universität Königsberg zu den am besten erforschten deutschen Hochschulen gehört, obwohl es sie als solche gar nicht mehr gibt. Dirk Klose

Christian Tilitzki: „Die Albertus-Universität Königsberg. Ihre Geschichte von der Reichsgründung bis zum Untergang der Provinz Ostpreußen“, Band 1: 1871 bis 1918, Akademie Verlag, Berlin 2012, 813 Seiten, 148 Euro


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