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06.07.13 / Deutsche waren unsere Förderer / Vizemarschall der Woiwodschaft Ermland und Masuren über gelebte deutsch-polnische Freundschaft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-13 vom 06. Juli 2013

Deutsche waren unsere Förderer
Vizemarschall der Woiwodschaft Ermland und Masuren über gelebte deutsch-polnische Freundschaft

Anlässlich einer Reise nach Norddeutschland besuchte Jaroslaw Sloma, Vizemarschall der Woi­wodschaft Ermland und Masuren im südlichen Ostpreußen, die Bundesgeschäftsstelle der Landsmannschaft Ostpreußen (LO) und die Redaktion der Preußischen Allgemeinen Zeitung. Außerdem traf er sich zu einem Gedankenaustausch mit Stephan Grigat, Sprecher der LO und Kreisvertreter von Goldap. Das Interview führte PAZ-Chefredakteur Jan Heitmann.

PAZ: Ist das Ihr erster Besuch in Norddeutschland und was führt Sie hierher?

Sloma: Das ist mein erster privater Besuch. Wir sind auf Einladung von unseren Freunden, der Familie Skierlo gekommen. Diese Familie hat in dem Haus gelebt, in dem wir jetzt wohnen. Wir haben also dasselbe Familienhaus. Seit wir dorthin gezogen sind, haben wir Kontakt mit Familie Skierlo. Wir haben sehr gute Beziehungen, hier kann sogar von Freundschaft oder einer familiären Beziehung gesprochen werden. Wir sind zur Geburtstagfeier von Wolfgang Skierlo gekommen. Meine Frau und meine Kinder sind zum ersten Mal hier. Ich war schon einmal als Vizebürgermeister von Goldap in Stade, weil Stade die Partnerstadt von Goldap ist.

PAZ: Das ist praktizierte deutsch-polnische Freundschaft auf persönlicher Ebene. Wie beurteilen Sie als Vizemarschall generell die Erfolge bei der deutsch-polnischen Versöhnung?

Sloma: Wenn wir von der Perspektive schauen, können wir von einem Wunder sprechen. Die Realität hat die Erwartungen übertroffen, wir hatten im Traum nicht gedacht, dass es zu so etwas kommt. Der Prozess hat mit dem Briefwechsel der deutschen und polnischen Bischöfe angefangen, später folgte den Besuch von Bundeskanzler Helmut Kohl in Warschau zur Zeit des Mauerfalls und wir können uns an die weiteren wichtigen historischen Ereignisse erinnern, die danach kamen. Es gab in Polen ein freundlicheres Klima in Bezug auf die Wiedervereinigung Deutschland als in den anderen Ländern. Ich kann mich auch an den Anfang der 90-er Jahre erinnern, als wir anlässlich der Wiedervereinigung Deutschlands die lokale Goldaper Zeitung „Initiative“ auf Deutsch herausgegeben haben, mit dem Artikel „Willkommen Deutschland“. Die spätere politische Realität hat unsere Hoffnungen bestätigt. Deutschland war der größte Fürsprecher bei der Versöhnung mit Polen aber auch beim Beitritt unseres Landes zur Europäischen Union. Die Polen haben es nicht vergessen, dass der Weg zur EU durch Deutschland führte, damit zitiere ich den polnischen Ministerpräsidenten Bielecki.

PAZ: Versöhnung spielt sich auch jenseits der großen Politik zwischen den Menschen ab. Welche Rolle spielt die deutsche Volksgruppe bei dieser doch sehr positiven Entwicklung?

Sloma: Natürlich müssen die internationalen Verträge und Abkommen auch von den Menschen erfüllt werden. In Ermland und Masuren versuchen wir, es auf verschiedenen Ebenen zu machen. Beispiel dafür sind zahlreiche deutsch-polnische Partnerschaftsverträge, aber auch wissenschaftlicher Austausch und die Beziehungen zwischen den Menschen, so wie zwischen meiner Familie und und Familie Skierlo. In Ermland und Masuren waren die Deutschen hunderte von Jahren ansässig und wir pflegen dieses Kulturerbe und versuchen die komplizierte Geschichte zu zeigen. Wir vergessen die Rolle der Deutschen nicht. Hier kann ich an den Goldaper Gedenkstein von 1991 erinnern. Es war der erste deutsche Gedenkstein mit der Aufschrift „Zum Gedenken an 16 Generationen der deutschen Bürger, die in der Stadt Goldap lebten und wirkten“. In unserer Region haben wir viele Nationen und Religionen und wir sind stolz darauf. Es ist kein Problem für uns, im Gegenteil, es ist Kern unserer Region. Im polnischen Senat fand eine Konferenz über die Probleme der nationalen Minderheiten statt. Ich vermeide übrigens den Begriff Minderheit und bevorzuge das Wort Volksgruppe. Ermland-Masuren wurde dort als Muster für andere im Bereich der Minderheitspolitik angegeben. Wir haben eine Kommission für die nationalen Minderheiten beim Parlament von Ermland und Masuren. Die meisten Einwohner von Ermland und Masuren sind Zuwanderer oder deren Nachkommen, die nach dem Zweiten Weltkrieg gekommen sind. Es gibt 1,5 Millionen Einwohner in Ermland und Masuren und die Autochthonen also Deutsche, Ermländer, Masuren sind nur ein kleiner Teil davon. Aber trotzdem ist es unsere Heimat. Wir leben unter dem gemeinsamen Himmel und wir sehen die gemeinsame Zukunft.

PAZ: Die Jugend wandert ab aus Ermland und Masuren, gelegentlich hört man auch das Wort von „Armenhaus Polens“. Welche ökonomischen Entwicklungschancen sehen Sie für die Region?

Sloma: Das ist das Schicksal der Peripherie-Regionen. Es ist sogar ein historisches Problem, hier kann ich an die Ostflucht aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erinnern. Tatsächlich sind wir eine der ärmsten Regionen in Polen, aber nicht die ärmste. Das größte Problem ist die Verkehrsinfrastruktur. Zahlreiche Investitionen sollen das Problem lösen, damit ist auch die Anlockung weiterer Investoren verbunden. Polen wird durch die Weichsel in Ost und West geteilt. Investoren in Ostpolen sind eine Seltenheit.

Dank EU-Unterstützung beginnen wir mit dem Bau des Flughafens. Wir hoffen, dass damit auch die Touristenzahl erhöht und der naturnahe Tourismus entwickelt wird. Wir verbessern auch die Internetinfrastruktur, indem wir 2300 Kilometer des neuen schnelleren Internetnetzes schaffen. Die neue Internetinfrastruktur und der Flughafen sollen in zwei Jahren fertig sein. Die anderen Investitionen werden wahrscheinlich länger dauern. Trotz allem sollte die Region keine Minderwertigkeitsgefühle haben, weil gerade von hier die Genies Nikolaus Kopernikus und Immanuel Kant kommen. Wir haben ein Kant-Denkmal zur Erinnerung an seinen Besuch in Goldap errichtet. Das war seine längste Reise.

Kant war mit seinem Werk „Zum ewigen Frieden“ der Vorläufer des gemeinsamen Europa. Das ist unser preußisches Kultur-erbe. Ermland-Masuren ist eine Region, wo man zu den Sternen schauen soll wie Kopernikus und Kant. Es lohnt sich, hierher zu kommen um den Himmel zu bewundern. Wir laden alle herzlich dazu ein.

PAZ: Wo genau soll der Flughafen gebaut werden und wie sehen die konkreten Pläne dafür aus?

Sloma: Der Flughafen existiert schon, weil es der Militärflughafen in Schimanen ist, in der Nähe von Ortelsburg. Wir haben die finanziellen Mittel und die Umwelterlaubnis, die unumgänglich ist. Wir werden einen kleinen Flughafen bauen, das unentbehrliche Element der regionalen Infrastruktur.

PAZ: Sie haben von Natur und Umwelt gesprochen. Naturnaher Tourismus ist Ihr wichtigster Wirtschaftszweig. Nicht nur deutschen Touristen fahren nach Ostpreußen, um die grandiose Natur zu erleben. Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur ist, wie Sie eben geschildert haben, unerlässlich. Wie werden Sie Natur- und Umweltschutz und Infrastruktur in Einklang bringen?

Sloma: Bei jeder Investition wird auch der Einfluss auf die Umwelt geprüft, die immer so weit wie möglich geschützt werden soll. Das macht die Sache aber auch teurer und dauert länger.

PAZ: Sie haben es eben erwähnt, Ihr Verwaltungsbereich liegt sozusagen an der Peripherie, grenzt direkt an das Königsberger Gebiet. Wie ist das Verhältnis zu Ihren nördlichen Nachbarn, den Russen?

Sloma: Vor einem Jahr wurde der kleine Grenzverkehr eingeführt. Er ist ein Erfolg, die Zahl der Grenzüberquerungen ist höher geworden. Das verbessert die zwischenmenschlichen Beziehungen. Wir sind sehr an einer guten Zusammenarbeit mit Russland interessiert. Wir sind die einzige Region, die an Russland grenzt. Wir haben die Strategie-entwicklung der Region bis 2025 aktualisiert. Eines der Ziele ist, die gute Nachbarschaft mit den Russen aus dem Königsberger Gebiet auszubauen.

PAZ: Zum Schluss die Frage, welche Wünsche Sie an die vertriebenen Ostpreußen haben?

Sloma: Sie sind immer herzlich willkommen in ihrer Heimat. Die Selbstverwaltung in Ermland und Masuren pflegt das regionale Kulturerbe unabhängig davon, ob es deutsch, litauisch, jüdisch oder polnisch ist. Es sind unsere gemeinsamen Wurzeln. Ich sehe die Ostpreußen immer durch die Perspektive von Familie Skierlo. In dem Haus, in dem ich wohne, ist der Vater von Wolfgang geboren worden. Es ist unser gemeinsames Haus und es ist auch unsere gemeinsame Heimat.


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