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06.07.13 / Sagenumwobene Heimat: Der »Heilige Stein« / Fahrt auf den Spuren der Haffuferbahn

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-13 vom 06. Juli 2013

Sagenumwobene Heimat: Der »Heilige Stein«
Fahrt auf den Spuren der Haffuferbahn

Auch der „Heilige Stein“, den wir in unserer Vergangenheitsreise mit der Haffuferbahn – die übrigens früher von ihren Benutzern respektlos „der Stint“ genannt wurde – in Folge 24 erwähnten, hat Erinnerungen geweckt, die gar nicht so weit zurück liegen, denn Herr Rainer Claaßen konnte ihn vor zwei Jahren bewundern, als er mit einer Gruppe Eisenbahnerkollegen diese Strecke zwischen Elbing und Frauenburg bereiste. Und zwar mit einem Streckenunterhaltungsfahrzeug, einer Art schwerer Rottenkraftwagen, das ihnen – samt Fahrer – der Direktor des Streckenbezirks Elbing zur Verfügung gestellt hatte. Als Beweis für diese ungewöhnliche Fahrt übersandte uns Herr Claaßen ein Foto vom Halt am Heiligen Stein. Nach der Aufnahme ging die Gruppe zum Haff und bewunderten den sagenhaften Stein, der trotz Krieg- und Kampfgeschehen noch immer da liegt, wohin er einmal hingebracht worden ist.

Von wem und wann – darüber haben sich schon unsere prussischen Vorfahren den Kopf zerbrochen. Viele Sagen ranken sich um den Riesenstein, sie standen in unserer Heimatfibel und stehen auch heute in deutschen Sagenbüchern. Eine Version ist besonders aufschlussreich, denn sie berücksichtigt Historie wie Legende und bietet zugleich ein Bild von dieser „gebirgigen Landschaft“ am Frischen Haff. Louis (Ludwig) Passarge hat sie verfasst, und da wir schon oft den Namen dieses bedeutenden Schriftstellers in unserer Kolumne erwähnt haben, bieten wir mit dieser Veröffentlichung unserer Leserschaft zugleich einen Einblick in sein Schaffen. Wir entnehmen diese Stelle dem Kapitel „Wanderungen am Frischen Haff“ aus seinem 1878 erschienenen Buch „Aus Baltischen Landen“.

„Nunmehr stieg ich die Waldterrasse hinab zum Haffufer. Der Vorstrand – der Raum zwischen Haff und Höhe – ist mit Steinen bedeckt, war es aber früher in einem noch höheren Grade; denn schon seit Jahren bildet die Küste den Steinbruch für die steinarmen Umgegenden, namentlich für die Nehrung und die Marschen der Weichselniederung. Jetzt ist sie an größeren Blöcken so ziemlich erschöpft. Nur am Haff liegen noch einige, darunter der sogenannte Heilige Stein. Derselbe mag 18 Fuß lang und ebenso breit sein. Über das Wasser steigt er langsam mit senkrechten Flächen, dann schrägen dieselben sich in einem Rücken ab, so dass er den Eindruck eines Grabes macht. Wahrscheinlich hat dieser Stein seine Bezeichnung als ,heiliger‘ davon, dass die alten Preußen auf demselben ihrem Gott Kurche die Erstlingsopfer des Fischfanges brachten. Vor 600 Jahren mag er auch nicht im Wasser selber, sondern auf dem Strande des nun mehr und mehr abgestürzten Ufers sich befunden haben. Wie an die meisten Steine von kolossalen Dimensionen knüpft sich auch hier eine Sage an. In jener Zeit nämlich, als Riesen die Erde bewohnten, von denen nach Kasper Steins (geboren 1592 zu Königsberg) preußischen Memorabilien ein paar Knochenüberreste an der Pfarrkirche der Altstadt Braunsberg aufgehängt gewesen seien, hauste einer derselben auf der Frischen Nehrung, ein zweiter am gegenüberliegenden Ufer des Frischen Haffes bei Tolkemit. Beide hatten nur ein Beil, welches sie sich zum Fällen des Holzes gegenseitig zuwarfen. Als einmal der auf der Nehrung Wohnende das Beil haben wollte, der Andere aber sich weigerte, es ihm zu geben, ergriff Jener den mächtigen Stein und warf nach Diesem. Der Stein glitt aber an seinem Daumen um etwas ab, und so erreichte er nicht ganz das diesseitige Ufer.“

Passarge vermerkt allerdings nicht, dass der Stein deutlich den Griff einer mächtigen Riesenhand zeigen soll – wenn man der Phantasie freien Spielraum lässt! So oder ähnlich ist diese altpreußische Mär in vielen Sagenbüchern verzeichnet. Eine von S. E. Krollmann aufgezeichnete Version aus dem 1915 im Insel-Verlag erschienenen „Ostpreußischen Sagenbuch“ enthält allerdings eine andere Deutung der „Heiligkeit“ des Riesensteines. Nach dieser sollen die Fischer, denen der im Haff liegende, zehn bis 15 Fuß über die Oberfläche ragende Stein gefährlich werden konnte, ihm den Namen gegeben haben, um die Kraft des Bösen zu beseitigen. Jedenfalls spielt bei ihm – wie bei vielen anderen ostpreußischen Sagen über sonderbare Steine – nicht der Teufel eine Rolle. So gibt Louis Passarge mit seiner vorchristlichen Version von den prussischen Opfergaben eine glaubhaft klingende Erklärung, zumal sich hier am Frischen Haff noch lange uraltes Brauchtum erhalten hatte. R.G.


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