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13.07.13 / Wo das Volk Weichen stellt / Anders als in Stuttgart: Wie Zürich seinen Bahnhof tieferlegt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-13 vom 13. Juli 2013

Wo das Volk Weichen stellt
Anders als in Stuttgart: Wie Zürich seinen Bahnhof tieferlegt

Den Reisenden, der in Zürich auf Gleis 7 mit dem Rail Jet ankommt, empfängt ein tiefes Loch. Große Schilder verkünden, wohin es dort demnächst gehen wird: 16 Meter in die Tiefe. Dort unten entsteht der neue Löwenbahnhof, dessen vier Durchgangsgleise den altehrwürdigen, seit nunmehr 166 Jahren bestehenden Kopfbahnhof entlasten sollen.

Bei täglich über 3000 Zugankünften und -abfahrten mit rund 400000 Reisenden standen die Zürcher Anfang dieses Jahrhunderts vor ähnlichen Problemen wie die Stuttgarter: Der alte oberirdische Kopfbahnhof war dem heutigen Verkehr nicht mehr gewachsen, verbrauchte zudem viel wertvollen innerstädtischen Raum, verlängerte Fahrt- und Abfertigungszeiten. So reifte etwa zeitgleich in beiden Städten die Idee, mit der Bahn unter die Erde zu gehen.

Bald aber trennten sich die (Schienen-)Wege. Im Schwäbischen stellten Planer, Politiker und allzu oft auch Ideologen die Weichen, in der Schweiz das Volk. Am 23. September 2001 befanden die Stimmbürger des Kantons Zürich über das kühne Projekt – und genehmigten mit satten 82 Prozent Ja-Stimmen den Staatsvertrag, der auch die Finanzierung festschrieb. Danach übernimmt die Eidgenossenschaft zwei Drittel der Kosten, ein Drittel trägt der Kanton. Ursprünglich waren 1,45 Millionen Franken veranschlagt. Durch erhebliche Erweiterungen des Projekts (unter anderem Ausbau des Bahnhofs Oerlikon) stiegen die Gesamtkosten aber auf knapp über zwei Milliarden Franken (rund 1,6 Milliarden Euro).

Anders als in Stuttgart wollten die Zürcher ihren Hauptbahnhof nicht fast vollständig unter der Erde verschwinden lassen. Die bestehenden 16 Gleise des Kopfbahnhofs sollen weiterhin den Regionalverkehr und einen Teil der hier endenden Züge aufnehmen. Der nationale und internationale Verkehr hingegen wandert ebenso nach unten wie bereits ein Teil der Zürcher S-Bahn.

Das Tageslicht erspähen Reisende Richtung Nordwesten in diesen Zügen erst nach fünf Kilometern im neuen Bahnhof Oerlikon. So lang nämlich ist der S-förmig geschwungene Weinbergtunnel, der den Limmat, Teile der Innenstadt und die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) unterquert. Und natürlich die denkmalgeschützte alte Bahnhofshalle, die 1871 im prunkvollen Neorenaissance-Stil errichtet wurde. Damals kam man noch mit sechs Gleisen aus. Bereits 1902 wurde mit dem Bau zusätzlicher Gleise begonnen, 1933 entstand die heute noch genutzte Querhalle mit 16 Gleisen. Die alte Halle aber blieb erhalten und bildet heute den architektonischen Abschluss der Nobelmeile Bahnhofstrasse. Unter anderem beherbergt sie den alljährlichen Zürcher Weihnachtsmarkt.

Es passt natürlich zum Ruf der Limmat-Metropole, dass dieses neue Bahnhofsensemble sich auch als gigantisches Geschäfts- und Einkaufszentrum über mehrere Etagen präsentiert. Und es passt erst recht zum demokratischen Selbstverständnis der Schweizer, dass sie zu den vom Volk getroffenen Entscheidungen stehen, diese nicht in einer Flut von Prozessen und Protesten in frage stellen, sondern darauf achten, dass durch sorgfältige Planung und Ausführung Volkes Wille auch durchgesetzt wird. So kommt Zürich mit bemerkenswert kurzen Bauzeiten zurecht: 2007 wurde mit den Arbeiten an Bahnhof und Tunnel begonnen, im Juni 2014 rollen die ersten Züge. Hans-Jürgen Mahlitz


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