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13.07.13 / Wider die vegetarischen Eiferer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-13 vom 13. Juli 2013

Gastkommentar
Wider die vegetarischen Eiferer
von Tahir Chaudhry

Verwahrloste Tiere auf den Straßen der Dritten Welt rühren uns zu Tränen, aber wie das Tier auf unseren Teller kommt, verdrängen wir einfach. Ja, aus dem Supermarkt, oder etwa nicht? Und vielleicht hat ja der knuddelige Grinse-Bär auf der Wurstverpackung etwas mit der Erzeugung zu tun? Hingegen fragt sich niemand, warum der Grinse-Bär eigentlich so fröhlich grinst. Er grinst ganz bestimmt, weil er sich eine goldene Nase an der Massenproduktion verdient. Bevor Sie jetzt dem Grinse-Bären grollen, muss man ihn irgendwo auch in Schutz nehmen. Er muss doch irgendwie seine Familie ernähren! Außerdem leisten sich viele andere mindestens genauso große Verfehlungen!

Ach, was haben wir nicht alles in der letzten Zeit erlebt! Das Pferd mischt sich ins Rinderhack, Dioxin in das Ei, Gammelfleisch in den Döner, Mäusekot ins Brot, Ehec in die Tomate. Ach nein, stopp ... Wir reden hier nur über Fleisch! Ja, es braucht Skandale, damit der Mensch über seine Gewohnheiten nachdenkt. Und siehe da! Ganz plötzlich prangern immer mehr Menschen die Abnahme der Fleischqualität an und finden sogar moralische Gründe für eine radikale Abkehr vom Fleischkonsum. Vor 50 Jahren hat die Moral noch niemanden interessiert. Denn meist wurde die Frage, ob man moralisch gesehen Tiere essen darf – wie es der Arzt und Psychologe Johann August Unzer treffend formulierte – von den Gelehrten „bei einem Rinderbraten entschieden“. Vegetarismus scheint eine Luxuserscheinung zu sein. Fragen Sie doch mal einen Bewohner der afrikanischen Savanne oder einen Inuit, ob er auf Fleisch verzichten möchte? Ja, auch heute gibt es Menschen, die auf das Fleisch von Tieren angewiesen sind.

In unserer Gesellschaft ersetzen Tiere für viele Menschen das Kind oder den Freund. Doch jedes Tier, das wir halten, wird zum „Haustier“. Somit verliert es alles Tierische, sobald es verzärtelt wird, einen Namen oder ein kleines Jäckchen bekommt. Für dieselben Menschen können Tiere gleichzeitig wohlschmeckende Lebewesen sein, die als ein käufliches Objekt, als eine Sache, betrachtet werden. Tiere im Zoo, die hinter dem Zaun wild sind,

werden ehrfürchtig bestaunt. Tiere in Zeichentrickfilmen treten zu Unterhaltungszwecken in menschlicher Form und Fähigkeit auf. Allerdings kann der knuddelige Grinse-Bär aus dem Supermarkt etwas, was Nemo und Bambi nicht können. Er drängt sich in den Vordergrund, schickt den Schlachter in seinem Schatten zum Huhn, um es zur leckeren Geflügelwurst werden zu lassen. Beißt der Konsument nun in die Wurst, denkt er nicht mehr ans Huhn, sondern an die leckere Wurst vom fröhlichen Bären auf der Verpackung.

Ganz egal, wie grausam sich das anhören mag, ein vollkommener Verzicht auf Fleisch ist nicht begründbar. Die Art, wie wir an das Fleisch kommen, ist dagegen höchst bedenklich. „Das ist inhuman! Das ist ja nicht zumutbar“, klagen Tierschützer wie einfache Bürger, aber allen voran Vegetarier. Indes sind diese emotionalen Ausrufe keinerlei Argumente. So etwas wie „Zumutbarkeit“ ist dem Tier gänzlich fremd und „inhuman“ sind Tiere selbst. Daher tut es mir leid, liebe Vegetaristen. Tiere gehören genauso wie Pflanzen oder Bakterien nicht unserer Personengemeinschaft, unserer Menschenfamilie an. Religiöse, Naturwissenschaftler und Philosophen sind sich generell einig: Tiere sind instinktgebundene Wesen. Auch wenn sie eine Intelligenz und Gefühle haben, grübeln sie nicht lange vor sich hin und Leben im Hier und Jetzt. Sie haben im Vergleich zum Menschen kein Potenzial, welches es zu verwirklichen gäbe. Sie können zwar Erfahrungen speichern, aber nicht „wissen“ im menschlichen Sinne, wie beispielsweise das Wissen darum, dass sie irgendwann einmal sterben werden. Demgegenüber ist der Mensch dazu in der Lage, mit seiner Vernunft zu reflektieren und sich selbst in Beziehung zu anderen zu setzen. Genau diese Fähigkeit macht ihn für sein Handeln verantwortlich. In letzter Zeit mehren sich Stimmen derer, die gegen eine Grenzziehung zwischen dem nur-ani­malischen und dem menschlichen sind. Doch was ist deren Ziel? Sie schwärmen von einer Welt, in der sich der Mensch weder als eigenartiges Tier verhält noch den gemeinsamen Ursprung verdrängt. Jemand, der die Werte-Unterschiede zwischen der menschlichen Gesellschaft und dem Tierreich nicht unterscheiden kann, der sollte zurück in den Dschungel. An einen Ort, der weder „gut“ noch „böse“, weder Dankbarkeit noch Hass, weder Neid noch Machthunger kennt. Ein Ort, wo das Recht des Stärkeren gilt und Mord aus reinem Selbsterhaltungstrieb geschieht.

Bei aller Sensibilität sollte doch eines im Auge behalten werden. Der Mensch wäre ohne das Verlangen nach Fleisch und das damit verbundene Töten von Tieren nie so weit gekommen. Hinzu kommt, dass der Mensch, egal wo er einen Lebensraum beansprucht, Tiere tötet. Ist es praktikabel, wenn Öko-Hippie-Vegetaristen fordern, dass kein Lebewesen jemals sterben dürfe? Aber heute ist es Köchen verboten, Desinfektionsmittel gegen Bakterien einzusetzen. Kindern ist es verboten, im Garten zu spielen, da Pflanzen zertreten werden. Der Bauer darf für seine Ernte kein Ungeziefer, keine Feldhasen oder Wühlmäuse mehr töten. Es darf kein Transportmittel genutzt werden, da Kröten und Insekten getötet werden. Auf Ökostrom muss auch verzichtet werden, da Windräder Vögel und Fledermäuse töten. Bye-bye, Fortschritt!

Der Tötungsakt selbst kann nicht problematisiert werden. Denn dieser stellt für die Tiere, die wir für gewöhnlich verzehren, lediglich einen Augenblicksschmerz dar. Wie lange es existiert, spielt für das Tier selbst überhaupt keine Rolle. Dagegen aber sicher, wie es am Leben ist. Auch wenn Tiere keine Rechte haben, die sie einfordern könnten, haben wir dennoch Pflichten ihnen gegenüber. Aus philosophischer Sicht ergibt sich die Verpflichtung aus der Handlungsfreiheit des Menschen und der Fähigkeit, Mitleid oder Glück überhaupt zu verspüren. Aus religiöser Sicht wird der Mensch zum respektvollen Umgang mit der Schöpfung Gottes verpflichtet. Und es ist nicht die Ethik der monotheistischen Religionen, die den Menschen zum legitimen Machthaber über die Umwelt zum Zwecke der Ausbeutung erhoben hat. Sie macht dem Menschen den Vorrang vor dem Tier lediglich bewusst, damit der Mensch Verantwortung übernimmt.

Stattdessen haben wir unsere Verantwortung längst von uns gewiesen und brutale Praktiken hinter hohen Zäunen und in abgelegenen Lagerhallen weiterentwickelt. Die Folgen der brutalen Tierhaltung und der gigantischen Fleischproduktion müssen sichtbar werden, damit zur Bewusstseinsbildung des Einzelnen beigetragen wird. Kontrolle oder Zwang werden keine Veränderung des Essverhaltens herbeiführen. In Nordamerika und Europa wird am meisten Fleisch auf der Welt gegessen, in anderen Teilen der Welt ist Fleisch ein Luxusgut. Schon eine minimale Reduktion des Fleischkonsums bei uns würde die Fleischproduktion entschleunigen, die Massentierhaltung abbauen, die Umweltbelastungen reduzieren und den Auftritt von Zivilisationskrankheiten mindern. Teilzeit-Vegetarier braucht die Welt!

Tahir Chaudhry, geboren 1989 in Rendsburg als Sohn indischer Einwanderer, ist Journalist, Blogger und Dokumentarfilmer. Er studiert Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität Kiel.


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