29.03.2024

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20.07.13 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-13 vom 20. Juli 2013

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

es ist immer wieder erfreulich, wenn Anfragen aus unserem Leserkreis in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Das geschah mal wieder schneller als man glaubt, wie mir Frau Ute Eichler mitteilen konnte. Die Leiterin des Archivs der Kreisgemeinschaft Lötzen hatte uns über eine Entdeckung informiert, die ein Kollege ihres Mannes im Nachlass seines Vaters gemacht hatte. Es waren zwei Mappen mit 53 Berichten, die in den Jahren 1935/36 die älteren Schulkinder der Schule Sausgörken, Kreis Rastenburg, im Rahmen einer Austauschaktion mit Schülern der Schule Deichhausen bei Büsum angefertigt hatten. 31 Schülerinnen und Schüler schilderten darin das Leben in ihrem zum Kirchspiel Barten gehörenden Heimatort. Heute müssen diese Aufzeichnungen als authentische Schilderungen des Landlebens in einem kleinen ostpreußischen Dorf noch vor Krieg und Vertreibung angesehen werden. Sie erhalten somit dokumentarischen Wert weit über die Frage von Frau Eichler nach dem weiteren Schicksal der damaligen Schulkinder von Sausgörken hinaus. Sie meinte, dass dieser Fund vor allem für die Kreisgemeinschaft Rastenburg interessant sein dürfte – und lag damit vollkommen richtig. Denn nach der Veröffentlichung in Folge 24 trat ein, was Frau Eichler sich erhofft hatte: Eine aufmerksame Leserin unserer Ostpreußischen Familie, Frau Edith Kaes, aktiv in der Kreisgemeinschaft Rastenburg tätig, meldete sich sofort und meinte: „Das ist doch etwas für uns, für das Rastenburger Archiv und für den Heimatbrief.“ Wenig später ging der große Stapel von Aufsatzkopien einschließlich der Schriftübertragungen an Frau Kaes. Die Originale allerdings sollen und werden eines Tages nach Ellingen gehen, um dort im Archiv des Kulturzentrums ihren festen Platz zu finden. Zu der eigentlichen Frage von Frau Eichler, die sich auf das Auffinden der von uns in Folge 24 namentlich genannten Aufsatzschreiber bezieht, meinte Frau Kaes, dass mit den in der Kreisgemeinschaft vorhandenen Adressen ein Namensabgleich durchgeführt werden könne. In einem Fall hat sich leider schon herausgestellt, dass einer der Schreiber sieben Jahre später sein Leben verlor – in den Kämpfen des Zweiten Weltkrieges im Alter von 21 Jahren! Sicher werden wir von dieser Suchaktion noch weiter hören.

Wie wichtig für uns eine so aktive Mithelferin wie Ute Eichler ist, beweisen zwei weitere Suchaktionen. Da ist zuerst Frau Waltraud Wagner geborene Ptack aus Bad Breisig, die sich auf Empfehlung von Frau Eichler mit folgenden Zeilen an uns wendet: „Ich bin Jahrgang 1932 und bis zur Flucht am 23. Januar 1945 auf dem Lötzener Lyzeum zur Schule gegangen. Meine beiden Freundinnen waren in dieser Schulzeit Irmgard Scheller und Erika Zenthöfer, deren Familie ein Kolonialwarengeschäft in der Neuendorfer Straße hatte. Frau Zenthöfer stammte aus der Familie des Bootsbauers Schulz. Mit der Flucht verloren wir leider den Kontakt. Dagegen kam ich mit meiner Freundin Irmgard Scheller – jetzt Schwettlik – wieder in Verbindung. Ihre Familie wurde 1970 von Steintal nach Espelkamp ausgesiedelt. Zu meinem großen Bedauern habe ich nie eine Spur von meiner Freundin Erika Zenthöfer gefunden. Da ich jahrelang im Ausland lebte, konnte ich leider nie an einem Lötzener Treffen teilnehmen. Ich habe aber nun fest vor, beim nächsten Ostpreußentreffen 2014 in Kassel dabei zu sein!“ Bis dahin vergeht aber noch einige Zeit, und die Suche nach Personen, deren Spur man auf der Flucht verlor, kann man nicht auf die lange Bank schieben. Und so stellen wir für Frau Wagener geborene Ptack, die Frage: Wer kannte Erika Zenthöfer aus Lötzen und weiß etwas über ihr Schicksal? Sie müsste heute etwa 80 Jahre alt sein und wahrscheinlich durch Heirat einen anderen Namen tragen. (Waltraud Wagener, Parkstraße 46 in 53498 Bad Breisig, Telefon 02633/474983.)

Auch Herr Siegfried Thiel aus München wendet sich auf Empfehlung von Ute Eichler an uns, denn er versucht, die Herkunft seines verstorbenen Vaters zu durchleuchten, und die führt nach Ostpreußen. Genauer nach Tannenheim, Kreis Lötzen, wo Alfred Thiel am 1. Januar 1922 geboren wurde. So steht es im Führerschein des Verstorbenen, und diese Angabe kann als authentisch gelten, da sie ja zu dessen Lebzeiten gemacht wurde. Nun gibt es aber drei Ortschaften mit diesem Namen in Ostpreußen, und so kam es, dass Siegfried Thiel als Herkunftsort seines Vaters das im Kreis Johannisburg gelegene Tannenheim ansah, und somit auf der falschen Fährte war. Allerdings hatte das im Kreis Lötzen gelegene Tannenheim nur wenige Einwohner, so dass es schwer sein wird, hier noch Zeitzeugen zu finden, die eine Familie Thiel kannten. Sie bestand aus den Eltern Albert Thiel *1889, und Anna geborene Rußmann, *1886, und mehreren Kindern. Außer dem Sohn Alfred sind eine Tochter Martha und ein weiterer Sohn Paul namentlich bekannt. Alfred hat nach der Schulzeit Zimmermann gelernt und war im Krieg bei der Marine, zuletzt auf einem Kanonenboot. Nach der Vertreibung lebte er in Marktoberdorf, wo er 1950 Margarete Raab heiratete, und in Lengenwang. Der jahrelang schwer kranke Mann verstarb 1963 in Marktoberdorf, sein Sohn Siegfried war erst elf Jahre alt. So hat er seinen Vater nicht mehr nach dessen Heimat und Herkunft befragen können und hofft jetzt, dass sich in unserem Leserkreis noch Zeitzeugen finden, die Alfred Thiel irgendwann begegnet sind. Sei es in seinem Heimatort, während der Schulzeit, bei der Lehre, auf einer Arbeitsstelle oder bei der Marine. Da aber nähere Angaben gänzlich fehlen, wird es schwer sein, hier Spuren zu finden. Tannnenheim gehörte zur Gemeinde Spirgsten, hier dürfte Alfred Thiel zur Schule gegangen und in Lötzen konfirmiert worden sein. Da er mehrere Geschwister hatte, könnten noch Nachkommen von ihnen leben, aber auf eine Meldung von Verwandten wagt Siegfried Thiel kaum zu hoffen. Er wäre schon für jeden noch so kleinen Hinweis, der das frühe Leben seines Vaters erhellen könnte, sehr dankbar. (Siegfried Thiel, Pfeufer Straße 32 in 81373 München, Telefon 089/7252865, Fax 032121134733.)

In das südliche Ostpreußen führt auch die nächste Suchfrage, die unser langjähriger Leser Reinhold Kalisch aus Baden-Baden stellt. Sie hat ihn wohl sein ganzes bisheriges Leben beschäftigt, denn er wurde von seiner Mutter schon kurz nach der Geburt in andere Hände gegeben. Warum – der Frage wollen wir hier nicht nachgehen, das Kind wurde auf der Flucht geboren. In den Wirren der damaligen Zeit wurden Entscheidungen getroffen, die man heute nur schwer oder überhaupt nicht nachvollziehen kann. Reinholds Mutter wurde als Lieselotte Müller 1919 in Königsberg geboren, nach ihrer Verheiratung trug sie den Ehenamen Kalisch. Von ihrem Ehemann, dessen Name auch der Sohn trägt, weiß Reinhold so gut wie nichts, sogar den Vornamen kann er nicht nennen. Die Familie soll zumindest zeitweise in Allenstein gelebt haben. Einige ihrer vier Kinder – Klaus, Rosemarie, Günter, Hannelore – kamen zu Pflegefamilien. Herr Kalisch muss in Allenstein bekannt und beliebt gewesen sein, er verblieb auch in Allenstein und ist in den Nachkriegsjahren verstorben. Die Mutter Lieselotte Kalisch war in Ostpreußen zuletzt bei der Organisation Todt in Rastenburg (Wolfsschanze) dienstverpflichtet, musste hochschwanger fliehen und brachte am 30. Januar 1945 in Schweidnitz [Swidnica] ihren Sohn Reinhold zur Welt. Von Lieselotte Kalisch ist nur so viel bekannt, dass sie später allein nach Amerika ging und dort einen US-Bürger namens Bley oder Blei heiratete. Das sind die wenigen Informationen, die uns Reinhold Kalisch übermitteln konnte und mit denen er die Hoffnung verbindet, dass sich jemand aus unserem Leserkreis an die Familie Kalisch erinnern kann, ob aus der Kriegszeit oder den Jahren danach. (Reinhold Kalisch, Sonnenweg 7 in 76530 Baden-Baden, Telefon 07221/28719, E-Mail: wolfssky@aol.com)

Die russische Okkupation muss­te der Königsberger Klaus Plorin leider miterleben, wie wir ja bereits seiner in Folge 25 erschienenen Suche nach den drei Geschwistern, denen seine Mutter im Frühjahr 1947 zur Ausreise verhalf, entnehmen konnten. Der Pfarrer i. R. hatte in seinem Schreiben aber mehrere Fragen aufgeworfen, von denen wir heute eine bringen, die vor allem die ehemaligen Schüler der deutsch-russischen Schule in der Luisenallee betrifft. In dieser war auch damals die Schriftstellerin Lucy Falk als Lehrerin tätig, und Herr Plorin hatte gehofft, in ihrem Buch „Ich blieb in Königsberg“ etwas über jene missglückte Schulfeier zu lesen, die Anfang November 1946 anlässlich der russischen Oktoberrevolution abgehalten werden sollte. Leider erwähnt die Autorin diesen Zwischenfall mit keinem Wort, vielleicht war sie nicht dabei gewesen, aber Herr Plorin möchte doch wissen, ob es noch Zeugen jenes Vorfalls gibt, den er nie vergessen konnte. Denn so geschah es seiner Erinnerung nach:

„Da ich als Neunjähriger in der Zweiten Klasse längst lesen konnte, beauftragte mich meine Lehrerin, für diese Feier ein kurzes Lobgedicht auf Josef Stalin auswendig zu lernen. Von der holprigen Übersetzung aus dem Russischen weiß ich leider allein die – angesichts unseres Hungers und der nicht erfüllten Zusage, dass wir Schüler Brot bekommen sollten – nur mit Ironie zu lesende Zeile: ,Wer gibt uns unser täglich Brot? – Väterchen Stalin!‘ Meine Mutter protestierte, als ich ihr das erzählte. ,Das ist ja eine bewusste Gotteslästerung!‘ Aber weil ich es der Lehrerin fest versprochen hatte, lernte ich den Vers doch auswendig.

Am Festtag stand ich deshalb in der Reihe der Schüler, die alle etwas aufsagen sollten. Zunächst sang der Chor, dann hielt die Direktorin eine lange Rede auf Russisch, die ebenso lange übersetzt wurde, was unser Lampenfieber noch steigerte. Endlich waren wir Schüler an der Reihe. Da fing die Erstklässlerin links neben mir, die beginnen sollte, laut zu weinen an und brachte kein Wort heraus. Und vor Aufregung machte sie sich in die Hose und wurde von einer Lehrerin aus dem Raum geführt, eine andere wischte die Pfütze auf. Nun war ich an der Reihe, kam aber gar nicht zu Wort. Denn nun sackte die Drittklässerin rechts neben mir vor Schwäche ohnmächtig zu Boden. Und während sich zwei Lehrerinnen um das Mädchen kümmerten und alle Anwesenden laut durcheinander redeten, wurde die Feier durch ein lautes Machtwort der Direktorin abgebrochen. Die ,Gotteslästerung‘ musste ich also doch nicht öffentlich aussprechen. Unsere Mutter empfand das dankbar als ein Eingreifen von oben!“

Der Tag endete dann für den Neunjährigen recht versöhnlich, denn es gab ja schulfrei. Zwar wäre eine Straßenbahnfahrt nach Juditten fast schlimm ausgegangen – darüber berichten wir ein andermal, aber bei der Rückkehr konnte er am Nordbahnhof eine erfreuliche „Beute“ machen. Dort war die hölzerne Tribüne, auf der die Prominenz die Parade zum Feiertag abnehmen sollte, gerade fertig geworden. Da konnte der Junge sich einiges Restholz unter den Arm klemmen und in die kleine Wohnung in der Drummstraße bringen. Aber nun zu dem Suchwunsch von Pfarrer Plorin nach ehemaligen Mitschülern. Ob sich jemand an diese missglückte Feier erinnern wird, ist fraglich. Zu begrenzt ist doch der Kreis der möglichen Zeitzeugen. Und selbst wenn es keine Resonanz gibt: Diese Begebenheit aus den bösen Nachkriegsjahren der daheim gebliebenen Königsberger ist ein weiteres Steinchen in dem Mosaik, das unsere Leserinnen und Leser mit ihren Erinnerungen zusammensetzen. (Pfarrer i. R. Klaus Plorin, Waldstraße 15 in 90607 Rückersdorf, Telefon 0911/5700509.)

Eure Ruth Geede


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