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27.07.13 / Alles nur geschönt / Alte Aufnahmen faszinieren mehr als neue

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-13 vom 27. Juli 2013

Alles nur geschönt
Alte Aufnahmen faszinieren mehr als neue

Zum 75. Geburtstag gab es den neuesten Bildband über die Heimat. Auf Hochglanzkarton strahlen Ruinen wie Kostbarkeiten in einem Licht, das außerirdisch zu sein scheint. Fremdgefühl stellt sich ein. Was soll hier bewundert werden? Das Können der „Hightech“-Kamera oder die Sichtweise des Knipsers? Damit kann man keinem alten Ostpreußen imponieren. Da hat das alte Album mit seinen Schwarz-Weiß-Aufnahmen ein ganz anderes Gewicht, auch wenn einige davon unscharf sind. Aber vielleicht sind gerade das die interessantesten. Alle noch vor der Ruinenzeit aufgenommen. Wie aussagekräftig sie sind! Sofort taucht man in das damalige Leben ein. Da sitzen welche vorm Krug, man sieht Anwesen, Gutshöfe, auch Schlösser. Man sieht die gegen „Deputat“ arbeitenden Leute. Auf einem Foto ist ein Feierabendhaus abgebildet. Davor alte Leute, die von einer Schwester betreut werden. „Fortschrittlich“ wird dies Altersheim für damalige Zeit genannt. War es sicherlich auch.

„Hauptsache kein Passlack sein“, pflegte die Großmutter zu sagen, mit einem gewissen Stolz in der Stimme. Wer von uns wurde schon im Schloss geboren? Oder in der Kutsche zur Schule gefahren und vom Kutscher wieder abgeholt?

Auf einem Bild sieht man Kinder am Fluß. Überhaupt die Kinder, für die das Leben aus den Jahreszeiten mit ihren Festen und Freuden bestand. Ferien, die Freiheit von der Schule brachten, Freizeit, die aber erst verdient werden musste: Melde und Brennesseln für die Schweine im großen Garten suchen, frisches Gras und Löwenzahn für die Kaninchen, Entenflot vom Fluß holen, Ähren sammeln und Beeren, Tiere hüten.

Am späten Nachmittag, wenn die Gefahr des Fremdlegens der Eier nicht mehr bestand, ließen alle Anlieger das Federvieh aus den Gehegen auf den großen Platz. Einige hundert Stück waren es bestimmt, die sich da mischten unten den Bäumen an der Pumpe. Und jeden Abend geschah das Wunder, dass, wenn sie gerufen wurden, jedes Tier das „Putt, putt, putt“ seiner Hausfrau erkannte, und spornstreichs flatternd und stakend durchs Kraut strebte, um sich auf die gestreuten Körner zu stürzen. Jedes wusste, wo seine Stange war, und wo es die Nacht verbringen würde. Ein Wunder.

Längst ist das alles vergangen und nur diejenigen erinnern sich noch, die damals Kinder waren. Die anderen sind eben nur noch auf Fotos präsent. Die Kinder sind wir, wir wissen noch von der Fülle, die im einfachen Leben lag. „Noch denket, dass mir wohl ...“, sagt Hölderlin in einem seiner späten Gedichte. So ist das auch mit uns. Beim Erinnern ist uns wohl, auch wenn manches, wie auf den Hochglanzfotos, geschönt scheint.

Die Aufnahme von der „Heiligen Linde“ geht über zwei Seiten, im Abendlicht aufgenommen. Welch ein Bild! Wir, die wir kaum 20 Kilometer von ihr entfernt wohnten, ahnten nicht einmal von ihrer Existenz. Wie leicht wäre man mit dem Rad dorthin gekommen. Auch auf der Krutinna wurden wir nicht gestakt. Masuren, zum Land der „Seensucht“ geworden, lag gleich um die Ecke und blieb uns ebenfalls verschlossen. Das alles war so nebelhaft für uns Kinder wie die „weißen Flecken“ auf der Landkarte, die in der Schule an der Wand hing, und von denen es hieß, sie seien unerforscht. Erforscht haben wir unsere Heimat erst nach dem Krieg. Auch wenn man kein Passlack war, zum Vergnügen reiste man nicht. Vielleicht wollten wir deshalb alle Forscher werden. Schön zu wissen, dass es das alles gab und noch gibt. Christel Bethke


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