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10.08.13 / Mehr als nur Gedankenspiele / In der britischen Wirtschaft wird immer lauter über einen EU-Austritt nachgedacht – Premier unter Druck

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-13 vom 10. August 2013

Mehr als nur Gedankenspiele
In der britischen Wirtschaft wird immer lauter über einen EU-Austritt nachgedacht – Premier unter Druck

Trotz medialen Sommerlochs verschweigen die deutschen Medien, dass eine der in der britischen Wirtschaft präsentesten Frauen im „Daily Telegraph“ ihr Land zum Austritt aus der Europäischen Union aufgefordert hatte. Das hat gewichtige Gründe.

„Genug ist genug, lasst uns die EU verlassen“ war der Beitrag von Helena Morrissey überschrieben. Darin erklärt sie ausführlich, warum die EU für sie ein veraltetes Modell darstellt. Die Mittvierzigerin und Finanzmanagerin des Fonds Newton Investment Management, der umgerechnet rund 50 Milliarden Euro verwaltet, schildert, warum ihr die EU nicht nur zu bürokratisch, sondern auch zu weltfremd sei. Geschichte, regionale Bedingungen und Kompetenzen würden in Brüssel ignoriert, das zwanghaft versuche, alles zu vereinheitlichen. Und während immer mehr Manager und Wissenschaftler jeglicher politischer Couleur zu der Erkenntnis gelangten, dass Größe allein kein alles überragendes Kriterium sei, hingegen kleinere Einheiten viel flexibler seien, zähle für Brüssel nur die Größe.

Morrissey betont, dass sie bei ihrem Job, aber auch ihrem gesellschaftlichen Engagement beim „Club 30 Prozent“, der für einen höheren Frauenanteil in Aufsichtsräten wirbt, festgestellt habe, wie wichtig Zusammenarbeit, Flexibilität und die Arbeit auf einer persönlichen, zwischenmenschlichen Ebene sei. Doch davon verspüre sie bei der EU nichts. Dort würde von oben entschieden, was sie am Beispiel einer von EU-Kommissarin Viviane Reding propagierten gesetzlichen Frauenquote festmacht. Reding behaupte, dass drei Viertel der EU-Bürger für eine feste Frauenquote seien. Als Morrissey, die zwar für mehr Frauen in der Wirtschaft aber gegen eine starre Quote ist, nachfragte, welchen Europäern man denn welche Fragen gestellt habe, und feststellte, dass Reding mit unredlichen Zahlen agierte, war ihre sowieso schon geringe Begeisterung für die EU auf den Nullpunkt gesunken. Für sie ist die EU mit ihren undemokratischen Strukturen ein Modell der Vergangenheit.

Angesichts solcher Positionen darf es dann letztendlich auch nicht überraschen, dass die deutschen Medien über Morrisseys Plädoyer für einen EU-Austritt Großbritanniens schweigen. Und das, obwohl die Managerin deutschen Medien definitiv keine Unbekannte ist. So berichtete die „Welt“ bereits über die mächtige Frau der britischen Finanzbranche, allerdings in einem anderen Zusammenhang. In jenem ging es darum, dass sie sich für mehr Frauen in der Wirtschaft einsetze, neun Kinder zur Welt gebracht habe und trotzdem beruflich erfolgreich sei. Jene Morrissey passt in die deutsche Medienwelt, die EU-kritische hingegen keineswegs.

Aber auch in London selbst dürfte sich die Begeisterung über die neuen Töne aus dem Munde der zuvor von der Politik umworbenen Managerin in Grenzen halten. Zwar hat Premier David Cameron selbst ein Referendum über einen EU-Austritt des Landes für 2017 in Aussicht gestellt, doch tut er das nicht, weil es ihm ein Herzensanliegen ist, sondern weil der Druck aus seiner Partei, den Tories, und der mehr und mehr aufgrund der Unzufriedenheit im Land an Einfluss gewinnenden UK Independence Party von Nigel Farage stärker wird. Cameron selbst ist durchaus für einen Verbleib Großbritanniens in der EU, aber in einer anderen. Während die regierenden Politiker auf dem Kontinent nach mehr EU rufen, ist er für weniger. Diese solle seiner Meinung nach wie ein Netzwerk funktionieren und jedem Land erlauben, sich je nach Bedarf dort zu beteiligen, wo es dies für sinnvoll hält.

Befürworter der jetzigen EU unterstellen Cameron, er wolle sich die Rosinen rauspicken und ansonsten sein Ding durchziehen, was wohl auch der Wahrheit entspricht, aber nicht unredlich ist. Schon jetzt will London eine flexiblere Zusammenarbeit auf europäischer Ebene im Bereich der Polizei und Justiz. Von 133 Kooperationen hält die britische Regierung nur 35 (wie den europäischen Haftbefehl oder Europol) für sinnvoll. Doch ein einfaches Aussteigen erlaubt Brüssel dem Nettozahler Großbritannien nicht. Erst müsse die gesamte Zusammenarbeit aufgekündigt werden und alles andere dann Punkt für Punkt neu verhandelt werden.

So erklärt sich dann auch das Ergebnis der ersten Zwischenbilanz zu Großbritanniens Beziehungen zur EU. Beamte des Außenministeriums kamen zu dem Schluss, dass die Zusammenarbeit in den sechs bereits untersuchten Politikfeldern, insgesamt sind es 32, eher positiv sei. „Ist dieses Tauschgeschäft zwischen Kosten und Nutzen, zwischen Ökonomie und Politik insgesamt vorteilhaft für das Vereinigte Königreich“, fragte Außenminister William Hague. „Die meisten Beobachter, und in der Tat auch die meisten für diesen Bericht untersuchten Belege, beantworten die Frage mit einem Ja.“ Als Hauptbeleg wurde der europäische Binnenmarkt angeführt, von dem die Briten massiv profitieren würden. Unerwähnt blieb jedoch, dass auch Nicht-EU-Mitglieder wie Norwegen und die Schweiz am EU-Binnenmarkt teilnehmen und ein EU-Austritt somit nicht zugleich das Ausscheiden aus diesem mit sich bringen würde. Doch London braucht Argumente für einen Verbleib. Schon jetzt weisen die USA und auch Japan darauf hin, dass zahlreiche Firmen aus diesen Ländern ihre Europa-Zentralen nur in der britischen Hauptstadt hätten, weil sie von dort den europäischen Markt bedienen könnten. Ein Zerwürfnis der Briten mit der EU würde angeblich tausende von Jobs in diesen Zentralen kosten. Da die britische Wirtschaft aber zugleich wenig von Brüsseler Segnungen wie Bankenunion und Finanzmarktregulierung hält, ist alles auch eine Kosten-Nutzen-Rechnung.

Zudem ist Morrisseys Stellungnahme nicht der einzige Warnschuss aus der Wirtschaft. Auch das marktliberale Institut of Economic Affairs macht Druck. So hat es einen mit 100000 Euro Preisgeld dotierten Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem es darum geht, den besten Ausstiegsplan aus der EU zu entwickeln. Die angesehene Denkfabrik, deren Gründer von der Queen geadelt wurde, gilt als wichtige Stütze der britischen Premierministerin Margaret Thatcher bei ihren gesellschaftlichen Umwälzungen in der 80er Jahren. Rebecca Bellano


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